Konzert in Berlin: Ziemlich geschmeidig

Flamenco trifft Noise und eingängige Hooks auf Klangforschung. Eine Doppel-Release-Show von La Tourette und Golden Diskó Ship.

Ein Mann und eine Frau im Wald blicken in die Kamera.

Wer La Tourette live hören will, muss sich ein Ticket im Vorverkauf sichern Foto: Mia Dyberg

Die Welt des Klangs ist bekanntlich weit, aber gibt es darin tatsächlich so etwas wie eine Schnittmenge von Flamenco und improvisiertem Noise? Ja, bei La Tourette, der Berliner Band, bei der sowieso auf ziemlich geschmeidige Weise zusammen geht, was man sich sonst nicht unbedingt zusammen denkt, schon.

Die Pianistin und Sängerin Tonia Reeh und der Schlagzeuger Rudi Fischerlehner, haben natürlich auch ein paar gemeinsame musikalische Nenner – experimentellen Neunziger-Indierock a la Shellac beispielsweise – aber eben auch viele Vorlieben, bei denen sie divergieren, in denen nur einer von beiden zu Hause ist.

Bei Fischerlehner ist das die eher abstraktere Instrumentalmusik, der er in anderen Projekten nachgeht, freie Improvisation oder eben Noise, bei Reeh dagegen zum Beispiel der Flamenco: „Naja, ich kann eigentlich gar keinen Flamenco“, schiebt sie hinterher. „Aber mir gefällt die Rhythmik. Und was an der Musik wirklich gut zu mir passt, ist der emotionale Gesang.“

Letzterer zieht sich durch ihre verschiedenen Projekten, angefangen bei den noisig-flächigem Soundwelten Monotekktoni, bis zu ihren beiden Soloalben „Boykiller“ (2011) und „Fight of The Stupid“ (2013), bei denen sie sich auf Klavier und Gesang fokussierte.

Expressiver Ausdruck

Auch auf den neuen La Tourette-Album „Future Kids“ sorgt ihre wandelbare Stimme, der Reeh unter anderem Vergleiche zu Amanda Palmer oder auch PJ Harvey einbrachte, für Wiedererkennungswert. Neben ihrem oft perkussiven Klavierspiel ist der expressiver Ausdruck, der mal schmerzerfüllt, dann wieder albern-verspielt daherkommt, zu ihrem Markenzeichen geworden.

La Tourette & Golden Diskó Ship: 19. 8., 19 Uhr, Humboldthain Club, Hochstr 46, Tickets nur im VVK (12 Euro)

„Meine Eltern waren beide Opernsänger, was mich sicher geprägt hat; auch wenn ich Oper früher doof und establishmentmäßig fand.“ Doch inzwischen mache es ihr Spaß, so zu singen, den Kopf mal nicht einzuschalten und die Stimme dafür „im ganzen Körper zu spüren“.

Erfreulicherweise kann das gerade erschienene Album mit einer Record Release Party nun sogar live gefeiert werden – keine Selbstverständlichkeit dieser Tage. Zwar ist das Gros der Songs vor Corona entstanden. Doch erst während das Lockdowns kamen die beiden dazu, das Album zu mischen – und ihm eine ziemliche eigene Klangfarbe zu verpassen

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„Wir hatten es zusammen im Studio mit E-Piano und Schlagzeug aufgenommen; zuhause habe ich dann mit meinem richtigen Klavier nochmal drüber gespielt. Dadurch klingt das so leierig, was wie ein gewollter Effekt wirkt, aber nur durch diese Dopplung der Klaviere zustande kam.“ Zwei Songs – das schön abgehangene „Rest In Jail“, mit seinem zur Selbst-Isolierung passenden Titel, und das flirrende „No Harm“ – sind in während der Lockdowns dann noch dazugekommen.

Rules to follow

Beim Hören staunt man allerdings eher, wie passend vor allem der Text des leicht elegischen „Rain“ wirkt. „Oh we did not learn/ disease is what we earn/(…) every thing has been contaminated/ first it was a friendly bet, now its the rules to follow here“. heißt es da an einer Stelle. Darüber staunte auch Reeh selbst, die Songschreiberin des Duos. „Krass, wie dieser Text und noch ein paar andere plötzlich total gut in die jetzige Zeit passen.“

„Future Kids“ erweist sich als wildes Konglomerat von Einflüssen, fast noch eklektizistischer als der Vorgänger, das ebenfalls recht überbordenden Debüt „The Great Mickey Mouse Swindle“ (2017). Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich Reeh und Fischerlehner beim Abmischen des Album bewusst Klangziele gesetzt hatten.

„`Rest in Jail´ etwa sollte nach Motown klingen“, erzählt der Schlagzeuger. „Dann haben wir uns gegenseitig Videos zugeschickt und ein bisschen recherchiert“. „No Harm“ sei dagegen klanglich eher so ein „Diskoding“ geworden.

Release nach dem Lockdown

Kennengelernt haben sich die beiden im Umfeld des Schokoladens in Mitte, der ja – passend zu den vielen Einflüssen, die La Tourette in ihren Sound einsickern lassen – ein ziemlich ambitioniertes, buntes Liveprogramm fährt. Wenn die beiden zusammen spielen, so erzählen sie, entsteht eben eine andere Dynamik als bei Reehs Soloschaffen. „Solo bestimme ich ganze allein, was passiert. Wenn wir zu zweit sind, pushen wir uns gegenseitig, es wird automatisch lauter. Mit Rudi spiele ich Klavier, als würde ich auf einer E-Gitarre rumdreschen.“

Gespannt darf man auch auf die Live-Präsentation des experimentell- elegischen Releases „Araceae“ von Theresa Stoetges alias Projekts Golden Diskó Ship. Das geplante Konzert zur Veröffentlichung im Mai fiel dem Lockdown zum Opfer.

Jetzt aber ist es soweit und man darf sich endlich zu dieser eigenwilligen Fusion aus eingängigen Hooks und Klangforschung im Abendlicht wiegen, nachdem La Tourette sich verausgabt haben. Und welches besseres Setting könnte es dafür geben als einen Sonnenuntergang im lauschigen Humboldthain?

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