: Menschen schliefen auf den Fluren
Das Papageienhaus diente lange als Zuflucht für Wohnungslose. Heute gilt das Konzept der Unterbringung an einem zentralen Ort als nicht mehr zeitgemäß
VonLukas Scharfenberger
Die Zukunft des Papageienhauses ist ungewiss. Als Zufluchtsort für Wohnungslose blickt es dabei auf eine lange und spannende Geschichte zurück.
Nach dem Krieg gab es in Bremen nur eine einzige Behelfsunterkunft für Wohnungslose in einem Bunker vor dem Bahnhof. Eine neue Unterkunft musste her. Doch viele Versuche scheiterten zunächst: „Insgesamt wurden zehn Bauplätze geprüft, doch es gab immer viel Widerstand von den Nachbarn gegen ein Männerwohnheim“, sagt die Pressesprecherin der Inneren Mission, Anke Mirsch. Bis man auf das Gelände in der Friedrich-Rauers-Straße kam, dauerte es gut 20 Jahre.
Mit Investitionen in Höhe von rund fünf Millionen Mark wurde das Jakobushaus ab 1974 errichtet. Die Bremische Evangelische Kirche steuerte 3,2 Millionen Mark bei, der Rest floss aus Mitteln des sozialen Wohnungsbaus. Im Februar 1976 wurde das Haus schließlich eingeweiht und die ersten wohnungslosen Menschen zogen ein. Neben der Notunterkunft bot das Haus auch ein Übergangswohnheim. Hier sollten Männer mit besonderen Schwierigkeiten „wohnfähig“ gemacht werden.
Eine Unterkunft – wenn auch überfüllt
Die Unterkünfte blieben auch in den Folgejahrzehnten bitter nötig: „Als die Grenzen der DDR geöffnet wurden, kamen viele rüber und hatten keine Arbeit. Da haben sie im Treppenhaus geschlafen, im Windfang“, sagt Bertold Reetz, der das Jakobushaus von 1996 bis zum Auszug der Inneren Mission 2014 geleitet hat. Die Lage war so schlimm, dass die Wohnungslosen auf Notpritschen oder sogar auf Plastikstühlen in den Fluren schliefen. Im Schnitt musste das Jakobushaus 1990 jeden Tag vier Leute abweisen, da nicht mehr genug Plätze vorhanden waren.
Ärztliche Versorgung für Wohnungslose war damals keineswegs selbstverständlich. Ein trauriges Ereignis brachte den Stein in Bremen schließlich ins Rollen: 1994 erfror ein kranker Wohnungsloser in der Nähe des Hauptbahnhofes: „Das hat viel Aufsehen erregt“, sagt Breetz „wir hatten ja schon lange eine medizinische Notversorgung gefordert.“ Die Notunterkunft bekam einen Arzt. Mittlerweile gibt es mehrere Stellen in Bremen, an denen Wohnungslose mehrmals die Woche in ärztliche Behandlung gehen können.
EU-Bürger ohne Arbeit, ohne Wohnung, ohne Hilfsansprüche
Ab 2007 tauchten immer wieder Zelte vor dem Jakobushaus auf. Bulgaren und Rumänen konnten damals als frische EU-Bürger zwar frei in der EU reisen, aber nicht überall arbeiten. Ohne Erwerb blieb vielen nur der Weg in die Wohnungslosigkeit. Auf Sozialleistungen und auch auf die Hilfe der Inneren Mission hatten sie kaum Anspruch. „Wir hatten eine Absprache mit den Behörden, damit die hier wenigstens für drei Tage aufgenommen werden konnten und ab 4 Grad Kälte durften wir sie dann alle aufnehmen. Niemand wollte, dass sie erfrieren“, sagt Reetz. Die Lage besserte sich etwas, als Bulgaren und Rumänen 2014 auch in der EU arbeiten durften.
Wohnheim nicht mehr zeitgemäß
Zu dieser Zeit verließ die Innere Mission das Jakobushaus bereits nach und nach. 2013 schloss das Übergangswohnheim und 2015 wurde das Haus dann ganz geschlossen. Der Grund für den Auszug: Die auf einen Ort beschränkte Betreuungsform galt nicht mehr als zeitgemäß: „Der Übergang von stationärer Betreuung in die eigenen vier Wände und zum selbstständigen Leben hat dort nicht so gut geklappt, wie wir uns das gewünscht haben“, so Reetz. Daher habe man auf ambulante Hilfe und dezentrale, kleinere Einrichtungen gesetzt. „Jetzt werden die Menschen in Wohnungen betreut, das ist uns mit den Jahren ganz gut gelungen“, sagt Reetz.
Auf der Straße ist das Jakobushaus als Institution noch bekannt. Ein Container als Drogenkonsumraum soll auch deshalb auf dem Parkplatz des Hauses aufgestellt werden.
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