„Bodenschätze spielten eine Rolle“

Als vor 40 Jahren das Alfred-Wegener-Institut gegründet wurde, dachte man mehr an mögliche Ölbohrungen in der Antarktis als an die Klimakatastrophe

Noch nicht am Ende des Wegs: Die „Polarstern“ sucht die Route, um aus der Klima­krise zu driften Foto: AWI/dpa

Interview Teresa Wolny

taz: Herr Miller, Sie sind fast seit seiner Gründung mit dem Alfred-Wegener-Institut (AWI) verbunden. Welche Momente sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Heinrich Miller: Da gibt es viele, aber einer der herausragendsten war sicher die Jungfernreise der „Polarstern“, des Forschungsschiffs des AWI. 1983 sind wir darauf von Kapstadt aus zur Neumayer-Polarstation in der Antarktis gefahren. Seitdem bin ich dem Schiff sehr verbunden geblieben und als Fahrtleiter viele weitere Expedi­tionen auf der „Polarstern“ gefahren – insgesamt war ich 17 Mal auf Polarexpedition. Ein anderer besonderer Moment waren die Tiefbohrungen im Eis des antarktischen Plateaus. In diesem Projekt, das von 1996 bis 2006 dauerte, wurde ein 3.200 Meter langer Eiskern erbohrt. Dadurch haben wir wichtige Erkenntnisse über die Klimaentwicklung der letzten 800.000 Jahre auf der Erde gewonnen.

War in den Anfangsjahren des AWI schon klar, wie es 40 Jahre später um das Weltklima stehen würde?

In dieser Form hat es sich noch nicht abgezeichnet. Es gab aber erste Hinweise darauf, dass das menschliche Handeln bei der Klimaveränderung eine große Rolle spielt. Es war dann natürlich unser Anliegen, genauer hinzuschauen, was da tatsächlich geschieht. Deshalb wurden Langzeitmessungen eingerichtet, die jahrzehntelang Daten über Temperaturentwicklungen liefern. Weitere wichtige Erkenntnisse darüber, wie die riesigen Eismassen in der Antarktis auf die Klimaveränderungen reagieren, gibt es aber erst seit Mitte der 90er Jahre. Seitdem geben uns Satellitensysteme ein besseres Bild über diese Veränderungen. Die fortschreitende Technologie hat im Laufe der Zeit zu Quantensprüngen in der Erkenntnis geführt, die vorher gar nicht absehbar waren.

Mit welchem Ziel wurde das AWI 1980 gegründet?

Die damalige Bundesregierung unter Helmut Schmidt wollte im Antarktisvertrag Konsultativstatus erreichen. Dafür musste man eine ständige Forschung in der Region vorweisen, und das bedeutete wiederum den Bau einer dauerhaft besetzten Forschungsstation. Um zur Neumayer-Station zu gelangen, wurde die „Polarstern“ gebaut. Und um Forschungsstation und Schiff zu betreiben, wurde das AWI als nationales und dauerhaftes Forschungsinstitut gegründet. Auch Energiesicherung spielte bei diesem Vorhaben nach der Ölkrise 1973 eine Rolle. Es gab etwa Überlegungen, wie man möglichen Bergbau in der Antarktis umweltverträglich umsetzen könnte.

Daraus wurde offenbar nichts.

Nein, diese Gespräche führten ins Nichts. Ich glaube aber, dass die Argumente, die damals ins Feld geführt wurden, legitime Argumente im Sinne der Zukunftsvorsorge waren. Neben Bodenschätzen spielten damals auch der Antarktische Krill und Fischerei eine Rolle.

Wie sieht diese Zukunftsvorsorge heute aus?

In den Forschungen des AWI geht es um ein besseres Verständnis der Umwelt. Die Beiträge, die dafür geleistet wurden, sind etwa auch Elemente im Abschlussbericht des Weltklimarats (IPCC) geworden.

Wie hat sich die Bedeutung des Instituts im Laufe der Zeit verändert?

Ursprünglich war das AWI als Einrichtung vorgesehen, die die Station betreiben sollte. Satzungsgemäß unterstützte es auch die universitäre Forschung, das hat sich bis heute nicht verändert. Allerdings hat sich das Institut, das mit wenig Personal anfing, im Laufe der Zeit auch mit eigenen Forschungsleistungen ein internationales Renommee erworben. So ist es quasi von einem reinen Dienstleister zur führenden Figur in der Forschung geworden. Das ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie sich eigenes Engagement über die eigentliche Aufgabe hinaus auszahlt.

Inwiefern?

Persönliche Motivation hat bei den Forschungen eine große Rolle gespielt, auch heute noch. Wer einmal in Grönland oder der Antarktis auf dem Eis gestanden hat oder mit der „Polarstern“ gefahren ist, vergisst das nie wieder.

Foto: AWI

Heinrich Miller,

76, Polarforscher, seit 1981 Professor für Glaziologie am 1980 gegründeten Alfred-Wegener-Institut

Welche Bedeutung hat das Institut heute?

Das AWI beschäftigt sich mit Polarregionen und Küstengebieten, die zeigen, wie die Zukunft auf der Erde aussehen wird. Die Erwärmung in der Nordpolregion ist mindestens doppelt so hoch wie im globalen Mittel. Das kann als eine Art Frühwarnsystem dienen, mit dem wir schneller belastbare Prognosen für die Zukunft machen können. Die Veränderungen haben nicht nur direkte Auswirkungen auf das Klima, sondern auch auf das Wetter. Unsere Forschung trägt unter anderem auch dazu bei, die Mittelfrist-Wettervorhersagen zu verbessern. Daran arbeitet unter anderem auch die große MOSAiC-Expedition, auf der sich die „Polarstern“ gerade befindet.

Davon können viele Menschen unmittelbar profitieren.

Ja, die bessere mittelfristige Vorhersage, die sich im Bereich von zwei, drei Monaten bewegt, hat erhebliche positive wirtschaftliche Konsequenzen. Eins von vielen Beispielen wäre etwa die Landwirtschaft, für die es eine große Hilfe ist, etwa Erntezeiten günstiger planen zu können.

Sie als Forscher sehen die Folgen der Erderwärmung sehr deutlich. Stellt sich da manchmal eine Art Resignation und Hoffnungslosigkeit ein?

Hoffnungslosigkeit nicht, Besorgnis aber durchaus. Ich bin optimistisch veranlagt und glaube, dass die Menschen – wenn auch erst drei Minuten vor zwölf – sehen, dass wir etwas ändern müssen. In der Politik und auch in der Wirtschaft gibt es dafür bereits erste Anzeichen, besonders bei der jüngeren Generation. Es stimmt mich auch optimistisch, dass die Ergebnisse, die wir erzielen, zu einem Umdenken führen können. Denn ganz schlicht: Je länger wir warten, desto schwieriger und schmerzhafter wird es.