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Rückkehr der Zuschauer in der BundesligaSingen, Hüpfen, Tralala

Der Präsident von Union Berlin träumt von einem vollen Stadion. Was verletzliche Menschen davon halten, braucht den Populisten nicht zu stören.

Ab zum Test! Für den Präsidenten von Union müssen Tribünen bald schon wieder so aussehen Foto: dpa

U nion Berlin wird häufig unterstellt, ein „etwas anderer“ Fußballverein zu sein. Kultig irgendwie, anachronistisch, traditionell, Fan-nah: ein Stück heile Welt in einer durchkommerzialisierten Bundesliga. Ein Bullerbü, durch das Gesänge hallen.

Union selbst wehrt sich gegen diesen Ruf (oder versucht, sich nicht von ihm definieren zu lassen). Ein solches Label ist ja auch ein Wettbewerbsnachteil: Es ist schwieriger, fragwürdige Sponsorendeals zu rechtfertigen zum Beispiel, also so zu handeln wie die Konkurrenz am Markt. Andererseits hat Union diesen Ruf, und das gibt manchen Forderungen mehr Gewicht.

Wenn jetzt Unions Präsident Dirk Zingler die Ansicht vertritt, dass zeitnah wieder in vollen Stadien gespielt werden müsse, kann er sich auch darauf berufen, dass es ihm nicht nur um die Bilanz geht. Sondern um einen Fußballverein, der sich eben auch über seine Fans definiert.

Dirk Zinglers Konzept ist im Grunde nur ein Wunschtraum: Man könne ja die Leute testen – auf Kosten des Vereins –, und wer ein negatives Testergebnis habe, könne dann ins Stadion, in dem dann für die Dauer des Spiels Normalität gespielt wird: ohne Abstandhalten, mit Singen und Hüpfen und Tralala.

Dirk Zinglers Verteidige­r'in­nen verweisen gern zurück auf das, was sie für die Sachebene halten: Machbarkeit und Finanzierbarkeit. Es sei schließlich erst mal nur eine Idee, und irgendwie müsse es ja doch weitergehen. Hundertprozentige Sicherheit gebe es ohnehin nicht (als hätte das je wer behauptet).

Zurück zur Normalität

Am Ende testet man die Unioner'innen alle zwei Wochen durch, obwohl nach aktuellem Stand vor allem Social Distancing hilft. Aber der Wunsch nach Rückkehr zu einer Normalität ist allgegenwärtig. Covid-19 ist von Anfang an als Krise gelabelt worden, die es zu überwinden gilt. Viele scharren mit den Hufen, und jetzt ist eben die Frage, wer lauter scharrt. Wer wie schnell zur Normalität zurückdarf, ist auch eine Frage der Verhandlungsposition.

Unioner'innen werden jetzt sagen, dass es ihr gutes Recht ist, zuallererst auf die Belange des eigenen Klubs zu gucken. Die anderen machen das ja auch. Viele scheinen ganz zufrieden damit, sich nach und nach „ihr Leben“ zurückzuholen, während sich Risikogruppen isolieren und immer weniger am wieder aufkeimenden gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Symptomatisch ist, dass der Vorschlag von einer Vor-Corona-Normalität aus gedacht ist. Damit holt er auch alle Corona-Leugner'innen und -Relativierer'innen ab. Das ist der populistische Anteil an diesem Vorschlag, verbunden mit Dirk Zinglers pathetischer Selbstbeweihräucherung: „Der einfache Weg war für Union noch nie eine Option.“ Gut hat es, wer sich solche Sätze glaubt.

Währenddessen werden die Risiken weiter privatisiert. Es ist jetzt kaum noch möglich, die Geschichte einer Corona-Erkrankung zu erzählen, ohne dass das Gegenüber innerhalb von drei Sätzen nach Alter und Vorerkrankungen fragt. Wer stirbt und Risikogruppe war, ist im Zweifel „schon auch ein Stück weit“ selbst schuld, weil halt alt oder krank oder beides. Wie auch immer die Realität für die anderen aussieht, darauf hat man sich schon mal geeinigt. Der Rest darf hüpfen und singen.

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6 Kommentare

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  • Einmal mehr gut dass Berlin von mir weit weg ist.

    • @sachmah:

      Ich sach mah, dass ist auch gut für Berlin.

  • Bislang bester Kommentar zu diesem Trauerspiel. Speziell der Aspekt der Risikoprivatisierung kam in der Debatte bislang zu kurz.

    Zingler ist in der Tat ein enormer Populist, möglicherweise der cleverste im aktuellen Profigeschäft. Anfangs fuhr er eine Weile das Widerstandsding, spielte die Mielke-Karte mittels mehrerer symbolischer Aktionen. Nachdem seine Wachregiment-Vergangenheit bekannt wurde, suchte er sich andere Themen, bevorzugt die Schiene mit Union als dem etwas anderen Verein, sich als einziges den Gesetzen des Kommerzes widersetzend. Auf diesem Ticket reiste man eine ganze Weile. Während man zeitgleich Deals mit Sponsoren eintütete, die wahrlich keinen Deut moralisch korrekter sind als die anderen im Geschäft. Eher im Gegenteil.

    In den vergangenen Jahren hat man sich etwas von dieser vordergründigen Anti-Kommerz-Identität verabschiedet.

    Die Konstante bei den diversen Kursänderungen seit Zinglers Amtsantritt bleibt der Populismus, nur mit nunmehr größerem öffentlichen Fokus als früher. Der Umgang mit der Corona-Krise fügt sich da nahtlos ein. Im März das Wüten gegen das Gesundheitsministerium, als man tönte, solange die BVG nicht dichtgemacht werde, werde man natürlich vor voller Hütte gegen den FC Bayern antreten. Und ihnen zeigen, dass das Berliner Bier das beste ist. Prost.

    Nun diese Nummer, die mit der heutigen Absage Spahns auch offiziell durch sein dürfte. Union hätte sich sicher selber am meisten erschrocken, wenn sie das Ding hätten durchziehen müssten, mit allen logistischen Herausforderungen. Was nur in einem Desaster hätte enden können. Nun kann man sagen, man hatte ein Konzept, aber durfte eben nicht. Und konnte sich einmal mehr als Widersacher gegen das Establishment gerieren.

    • @hypnos:

      Na toll, ein Hertha Fan hetzt mal wieder gegen Union. Hoffe, es fühlt sich gut an...

      @Autor: wie ist Ihre Lösung? Der Wunsch nach Rückkehr in die Normalität ist doch normaler als den Wunsch, den Krisenmodus aufrecht zu erhalten, oder? Wie weit soll denn die Rücksichtnahme auf die Verletzlichen gehen? Covid-19 ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, ja. Aber man muss Kompromisse finden, mit denen Alle leben können und eben nicht nur die Perspektive der Verletzlichen und Schwachen einnehmen. Es gibt eben Krankheiten und andere Risiken, die nicht beherrschbar sind. Das ist das Leben.

      • @mcjakob:

        "Wie weit soll denn die Rücksichtnahme auf die Verletzlichen gehen?"

        Nunja, vielleicht zumindest soweit, dass man deren Gesundheit nicht aufs Spiel setzt für ein potenzielles Superspreading-Event, nur weil man sich selbst für den Nabel der Welt und eine prallgefüllte Alte Försterei für wichtiger hält als alle anderen gesellschaftlichen Bereiche, die zurückstecken müssen?

        Glauben Sie allen Ernstes, das Union-"Konzept" würde sämtliche pandemischen Rahmenbedingungen außer Kraft setzen? Glauben Sie, 22 000 Leute auf allerengstem Raum (frische Luft rettet da auch nicht viel), singend, gröhlend, einander um den Hals fallend, wären kein massiver Risikofaktor gewesen?

        Sie werden selber wissen, was für ein unglaubliches Gequetsche rund um die Spiele am Bahnhof Köpenick herrscht, sowie in den S-Bahnen und Trams. Nach spätestens 20 Sekunden sind sämtliche Scheiben beschlagen.

        Mit Hertha kann man mich übrigens jagen, das ist nur die andere Medaille des "Hauptstadtfußballs". So sehr ich diese Stadt liebe, sie hätte echt andere Fußballklubs verdient. Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen.

        Aber bezeichnend zu glauben, die Kritik am Union-Konzept könne natürlich nur diesem Grund entspringen.

    • @hypnos:

      Eher im Gegenteil.? Weshalb?