Seenotrettung im Mittelmeer: Italiens kaltherziges Kalkül

Italien hält erneut ein Schiff von Seenotretter*innen fest. Das hört erst auf, wenn auch andere EU-Staaten zur Aufnahme von Geflüchteten bereit sind.

Erschöpfte Menschen mit Maske verlassen ein Schiff

Die „Ocean Viking“ rettete 180 Menschen aus Seenot. Italiens Behörden haben das Schiff festgesetzt Foto: Flavio Gasperini/SOS MEDITERRANEE/dpa

Genau drei Jahre, nachdem die Behörden Italiens das deutsche Rettungsschiff „Iuventa“ auf Lampedusa festgesetzt hatten, traf es am Mittwoch die „Ocean ­Viking“, mit der die NGO SOS Méditerranée im Mittelmeer Flüchtlinge aus Seenot rettet. Die Küstenwache legte es im Hafen von Porto Empedocle auf Sizilien für unbestimmte Zeit an die Kette.

Dies ist in Malta und Italien gängige Praxis geworden. In den letzten Monaten gab es die Festsetzungen der Rettungsschiffe „Alan Kurdi“ der deutschen NGO Sea-Eye, „Aita Mari“ der italienischen NGO Salvamento Marítimo Humanitario, „Sea-Watch 3“ der gleichnamigen deutschen NGO und jetzt der „Ocean Viking“. Die Begründungen waren meist angebliche Mängel bei der Registrierung oder Verstöße gegen Sicherheitsvorschriften. Die Folge: Auf dem Meer ertrinken Menschen, weil die, die sie retten würden, nicht ausfahren dürfen.

Die „Iuventa“ haben die Behörden bis heute nicht wieder freigegeben, der damaligen Crew werden monströse Strafen angedroht. Andere NGOs konnten ihre Schiffe behalten, auch wenn der Druck teils dazu führte, dass Organisationen aufgaben. Und genau das ist das Ziel der Angriffe durch die Behörden in Italien und Malta.

Dort weiß man: Die NGOs bringen die Geretteten nicht zurück nach Libyen, sondern in den nächstgelegenen EU-Hafen, also nach Italien oder Malta – auch wenn die beiden Länder die Einfahrt verbieten. Denn bald schon ist die Not auf den überfüllten Rettungsschiffen so groß, dass die Staaten nachgeben oder die Besatzungen sich über das Verbot hinwegsetzen müssen.

Moralisch verwerfliches Handeln

Und solange die EU sich nicht auf ein funktionierendes Verteilsystem einigt, müssen die beiden Länder damit rechnen, dass Flüchtlinge letztlich bei ihnen bleiben. Also versuchen sie zu unterbinden, dass die Rettungsschiffe losfahren – so moralisch verwerflich das ist.

Auf dem jüngsten EU-Gipfel war viel von europäischer Solidarität die Rede. Die Solidarität, die hier gefragt ist, kostet keine Milliarden. Italien und Malta wollen und brauchen in erster Linie verlässliche Zusagen, dass die Flüchtlinge, die sie an Land lassen, danach auch von anderen EU-Staaten aufgenommen werden. Für den Zusammenhalt der EU ist das kaum weniger wichtig als finanzieller Ausgleich.

Im Prinzip ist ein entsprechender Mechanismus schon seit dem vergangenen Herbst beschlossen. Er funktioniert allerdings nur höchst schleppend und gilt nicht für alle Ankommenden. Solange sich das nicht ändert, wird den Retter*innen das Leben weiter schwer gemacht werden. Und deshalb wird so lange auch das Sterben im Mittelmeer weitergehen.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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