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Ein paar Worte zur Kunst

Die Ausstellung „Neuspréch“ im Bremer Zentrum für Künstlerpublikationen an der Weserburg versammelt Kunst, die mit Sprache spielt. Das zeigt auf so unterhaltsame wie fordernde Weise, dass es mit der Eindeutigkeit der Worte so ganz weit nicht her ist

Von Jan-Paul Koopmann

Wenn Worte in abstrakten Kunstwerken auftauchen, geht deren Deutung leichter von der Hand – so sollte man meinen. Es braucht jedenfalls weniger Kunstverständnis, um mit Farbflächen etwas anzufangen, wenn sie nicht irgendwie wilde Geometrie, sondern ganz konkret die Buchstaben G, E, L und D formen – man muss das nicht sofort verstehen, bekommt aber doch mehr als nur eine Idee davon, worum es so ungefähr geht.

Dass es nicht immer so einfach ist und die vermeintlich vertraute Sprache die Sache mitunter sogar noch schwieriger macht, beweist die Gruppenausstellung „Neuspréch“, die derzeit im an der Bremer Weserburg beheimateten Zentrum für Künstlerpublikationen zu sehen ist. Die Hamburger Künstler Oliver Ross und Simon Starke haben (inklusive ihrer eigenen) zwölf Positionen zusammengestellt, die solche Sprachkunst zeigen, Kunst mit Sprache, oder um noch etwas genauer mit den Worten zu sein: Werke, in denen Sprache und Kunst einander wechselseitig durchdringen. Und das geht quer durch die Sparten: von Malerei, zur Zeichnung, zur Performance, zur Installation und – natürlich – zum Künstlerbuch.

Ein bisschen hilft das Wort dann tatsächlich bei der Deutung. Dass es etwa um Politik geht, verrät bereits der Titel „Neuspréch“, den Ross und Starke zwar wortwörtlich neu akzentuiert haben, der aber doch den George Orwell noch durchblicken lässt. Dem galt Neusprech als Inbegriff totalitärer Zurichtung der Welt, weil neue Worte neues Denken erzwingen.

Die Wahrheit verschleiern sie vor allem durch Abstriche dort, wo es kompliziert wird: Nur einfache Sätze sind erlaubt, Wortschatz und zulässige Wortverbindungen stark beschnitten. „1984“ ist lange her, das Entstehungsjahr des Romans, 1948, noch länger: und trotzdem ist das Thema aktuell wie nie – nur dass sich die Fronten inzwischen verschoben haben.

Denn natürlich denkt man an Trump, sagt Kurator Simon Starke, an Fake News und die immer neuen Euphemismen und Neologismen der Schönredner:innen. Nur gibt es heute auch höchst fortschrittliche Ansätze, unsere Sprache von kolianistischen, sexistischen und sonst wie grässlichen Altlasten zu befreien – weil inzwischen doch durchgesickert ist, dass dieser Weg vom gedankenlosen Sprechen zu ideologischem Denken keine Einbahnstraße ist.

Bibliothek der ungeschriebenen Bücher

Eine raumgreifende Absage an die Gleichung Sprache=Eindeutigkeit ist etwa die „Philoars Library“ der 2012 verstorbenen Künstlerin Andrea Tippel. Aus 108 Zeichnungen von Buchrücken hat sie überquellende Regale geschaffen, in denen sich die Bücher eng gedrängt und manchmal quer obendrauf stapeln.

Es sind Titel zur klassischen Philosophie und zur Kunstgeschichte – Bücher, die es nicht gibt, die sich aber dennoch alle miteinander um etwas drehen: Um Fragen der Weisheit nämlich und ihrer Abwesenheit. Der Witz ist natürlich, dass diese versammelten Werke auch hier nicht lesbar sind, sondern nur Hinweise ausstreuen auf die Forscherin, die sie zusammengetragen hat. Sprache steht hier vielleicht am ehesten für die Sehnsucht nach Bedeutung, was von der Zweidimensionalität der Druckbögen noch verstärkt wird. Man will hineingreifen und steht doch nur hilflos herum in der eingebildeten Überfülle.

„Gesundbrunnen“ beschäftigt sich mit der Alltagsesoterik der BRD und zeigt verfremdete Dokumentationen über Farbtherapien und Heilbäder

Sogar physisch eng wird’s hingegen in Oliver Ross’Beichtstuhl: „Gott ist pleite“, steht von außen dran, ist so richtig aber erst lesbar, wenn jemand drin ist und die Tür hinter sich geschlossen hat. Der bekommt’s dann psychedelisch auf die Augen zwischen grell bunt bemalten Styroporplatten und eingearbeiteten Plastik-Inlays von Kekspackungen.

Auf dem Boden in der Ecke liegt designter Müll: Starbucks-Becker, und hübsch bedruckte Verpackungen von Lindt-Schokolade. Dazwischen ein paar Kabel, bei denen nicht ganz klar ist, ob sie nun Wertstoffmüll, oder doch noch irgendwo angeschlossen sind und die Spektakelbude am Leuchten halten. Ökothemen drängen sich auf und Ernährungsfragen – aber letztlich muss man es allein im Kasten dann doch mit sich ausmachen. Selbst die Spiegel an den Wänden, die einen bedeutungsschwanger aufs eigene Selbst zurückwerfen könnten, sind verzerrt.

Aus dem Hamburger Sumpf

Für ihre Schau haben Oliver Ross und Simon Starke nach Gleichgesinnten gesucht und diese auch unter ihren alten Lehrer:innen gefunden. Die Keimzelle der Bremer Ausstellung liegt in Hamburg: Fast alle beteiligten Künstler:innen haben mit der Hochschule für bildende Künste (HfbK)zu tun, die bis in die 1990er-Jahrer als Hotspot für Sprachkunst galt. Das ist der „Hamburger Sumpf“, wie die beiden Kuratoren sagen.

Auch kein Zufall ist, dass Publikationen einiger der ausgewählten Künstler:innen auch vor „Neuspréch“ bereits im Bestand des Zentrums für Künstlerpublikationen vertreten waren. Der Weg vom Sprachbild zum Künstlerbuch ist eben nicht weit und wenn man das so platt sagen mag: Wer Bücher macht, bekommt vielleicht auch die Idee, beizeiten was hineinzuschreiben. Auch das ist hier an mehreren Stationen zu sehen: Künstlerbücher und Bücher über Kunst, die ihren Status noch aushandeln.

Dass Schrift und Bild eine längere gemeinsame Geschichte teilen, ist ja klar. Man könnte früh einsteigen bei der Kalligrafie, oder religiösen Bildnissen – wirklich wichtig wird für „Neuspréch“ aber der Schrift-Hype, den vor allem die Avantgardebewegungen der bildenden Kunst beschert haben: Pop Art, Nouveau Realisme, Fluxus, Konkrete Poesie ... Das ist das nicht gerade subtil verkleidete Fundament dieser Ausstellung. Bis hin zum Witz und vorsätzlichem Unernst der ganzen Geschichte.

Das gilt übrigens nichts nur fürs geschriebene (und gemalte) Wort, sondern betrifft in seinen besten Momenten auch die gesprochene Sprache: etwa in den Videos der Hamburger Künstlerformation Reproducts, die sich – so geht die Legende – den Tod von Fernsehikone Hans Rosenthal zum Anlass nahm, in „kollektiver Trauerarbeit“ die „Dalli Dalli!“-Show zu rekonstruieren. Danach haben sie direkt weitergemacht und sind auch in andere Formate der heute grotesk wirkenden Fernsehwelt der alten Bundesrepublik eingedrungen – die auch in Ocker und quietschbunt vor allem grau wirkt.

Ihre neue Arbeit „Gesundbrunnen“ beschäftigt sich mit der Alltagsesoterik der BRD und zeigt verfremdete Dokumentationen über Farbtherapien und Heilbäder. Erläutert wird das krude Geschehen aus dem Off, in einer schwer zu fassenden Sprache, dass man nie so recht weiß, ob die Nüchternheit nun Reenactment ist oder Persiflage. Bescheuert ist es jedenfalls, was Oma und Opa damals getrieben haben und sehr, sehr lustig.

Aggressive Ansprache

„Wir sind alle irgendwo halb-links“, sagt Simon Starke beim Rundgang durch eine poetisch aufgeladene und dadaistisch durchgeschaukelte Ausstellung. Und weil Starkes Verortung ausgerechnet durch die Präzision so nichtssagend wird, trifft sie doch den Nerv der Schau, die einen ununterbrochen aggressiv anspricht – und dabei doch kaum etwas sagt.

Offen bleibt selbstverständlich auch, ob all die Neusprechs unterm Strich nun gut oder schlecht ist. Es tritt einem hier als Spiel gegenüber und erscheint mitsamt seiner Vorgeschichte als ein Phänomen gesellschaftlicher Umbruchsituationen. Darin liegt wahrscheinlich auch der Kern aller Ängste vor und aller Hoffnungen auf das Neue Sprechen. Was auch wichtig ist, weil der Gedanke so schnell untergeht, wenn man ihn in Worte verpackt – und erst recht, weil es ein gutes, ehrliches oder am Ende gar wahres Altsprech in Wahrheit ja nie gegeben hat.

Neuspréch“: bis 13. Dezember, Bremen, Zentrum für Künstlerpublikationen, Weserburg

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