SPD-Fraktionschef über seine Ambitionen: „Wir werden stärkste Kraft“

SPD-Fraktionschef Raed Saleh will mit Franziska Giffey Parteichef werden. Er fordert grünes Umdenken beim U-Bahn-Ausbau – und Respekt vor der Polizei.

Geht doch ganz gut zusammen: Raed Saleh gemeinsam mit Franziska Giffey rudern über den Müggelsee Foto: Wolfgang Kumm/dpa

taz: Herr Saleh, wir wollten doch eigentlich mit dem Rad unterwegs sein?

Raed Saleh: Da ist was dazwischengekommen, ich bin nachher mit meinen Kindern noch mit dem Bus unterwegs.

Hätten Sie uns all die Pop-up-Radwege zeigen wollen, die Ihnen nicht gefallen?

Warum? Ich unterstütze die doch.

Raed Saleh

43, seit 2006 im Abgeordnetenhaus, seit 2011 SPD-Frak­tions­chef. 2014 bewarb er sich als Nachfolger des abtretenden Regierungschefs Klaus Wowereit, unterlag aber SPD-intern Michael Müller. (sta)

Na, vor ein paar Tagen haben Sie vor Aktionismus bei Pop-up-Radwegen gewarnt.

Hätten Sie den Text ganz gelesen, hätten Sie gesehen, dass ich ein großer Unterstützer der Pop-up-Radwege bin. Aber wie immer im Leben ist nicht alles schwarz-weiß – die sollen nur dorthin, wo sie Sinn machen.

das ist ja nun ganz subjektiv.

Für mich macht auf jeden Fall der Pop-up-Radweg in der Kantstraße so keinen Sinn.

Wieso?

In der Kantstraße hat es keine Bürgerbeteiligung gegeben, die wir uns als rot-rot-grüne Koalition doch auf die Fahne geschrieben haben. Freunde von mir bei der BVG sagen: Das funktioniert auch nicht richtig – die Busse stehen im Stau, und für die Radfahrer bleibt es gefährlich.Ganz anders als etwa am Schöneberger Ufer am Landwehrkanal. Dort schützt der Radweg die Radfahrer. Da funktioniert es gut.

Aber wenn man Platz im Verkehr neu verteilen will, dann können nicht alle alles behalten.

Das meine ich auch gar nicht. Aber man darf das nicht gegen die Leute machen: Wir als Sozialdemokraten wollen nicht verbieten, sondern durch ein gutes Angebot überzeugen. Nur weil man die Macht hat, muss man nicht alles machen – manchmal muss man auch in den Rückspiegel schauen und fragen: Nehmen wir hier die ganze Stadt mit, oder sind wir in der ein oder anderen Sache zu schnell?

Da müssen Sie aber mal ein Beispiel nennen.

Gerne. Die von den Grünen vorgeschlagene Flatrate für den ÖPNV – ich bin dagegen, einen Radfahrer zu zwingen, im Jahr bis zu 700 Euro für eine Fahrkarte zu bezahlen, die er gar nicht braucht. Und wer immer noch über den von der SPD geforderten U-Bahn-Ausbau sagt, dass der keinen Sinn macht, der betreibt reine Ideologie.

Jetzt sollten Sie noch hinzufügen, dass Sie auch damit Ihren grünen Koalitionspartner meinen.

Man muss immer schauen: Was ist das Beste für Berlin, was ist das Beste für die Stadt? Dann muss man auch mal über seinen eigenen Schatten springen. Politik läuft manchmal gerade dann gut, wenn man es auch mal den eigenen Leuten unbequem macht, wenn es beim eigenen Parteitag nicht gut ankommt. Deshalb sollten die Grünen ihre Position zum U-Bahn-Ausbau überdenken.

Sie hätten doch eines Ihrer Koppelgeschäfte vereinbaren können.

Was für Koppelgeschäfte?

Na, Zustimmung der Grünen für den U-Bahn-Ausbau im Gegenzug fürs Mitgehen der SPD-Fraktion beim neuen Antidiskriminierungsgesetz, von dem sich die Polizei unter Generalverdacht gesetzt sieht – davon waren ja nun wirklich nicht alle Ihre Fraktionskollegen begeistert.

Das eine mit dem anderen zu koppeln geht gar nicht. Das Antidiskriminierungsgesetz ist richtig, weil es notwendig ist …

Bei SPD-Innenpolitikern klang das etwas anders – das Gesetz hätte es nicht gebraucht, war etwa zu ­hören.

Der Entwurf von Justizsenator Behrendt, der quasi druckfrisch vom Grünen-Parteitag kam, den hätten wir echt nicht gebraucht, und den haben wir in der SPD-Fraktion geändert. Ich sag Ihnen: Gefühlt die Hälfte meiner Freunde sind Polizisten …

Sie tragen ja auch ganz offiziell den Titel „Ehrenkommissar“. Aber was sagen diese Freunde zu dem Gesetz?

Die haben natürlich auch geschimpft, aber ich habe es ihnen erklärt, und am Ende haben es viele von ihnen verstanden. Ich sage es ganz deutlich, gerade hier in den Räumen der taz: Die Polizei hat unseren Respekt verdient, wir können der Polizei gegenüber nicht genug Danke sagen. Aber natürlich gibt es auch dort und in den anderen öffentlichen Behörden Rassismus, und genau deshalb ist das Gesetz da. Doch eine Gesellschaft, die ihre eigene Polizei nicht respektiert, ist keine gute Gesellschaft.

Ende Oktober wollen Sie als Fraktionschef auch den SPD-Parteivorsitz übernehmen, gemeinsam mit Franziska Giffey. Bei Ihrer Werbetour dafür waren Sie beide jüngst auf einer Ruderbootfähre unterwegs – der Fährmann wurde danach mit dem Satz zitiert: „Zwei Kapitäne, das ist schwierig.“

Ich freue mich auf die Aufgabe.

Also nicht schwierig?

Wir sind zurzeit viel in der Partei unterwegs und erleben ganz, ganz viel Unterstützung, Optimismus und Aufbruchstimmung.

Optimismus? Ihre SPD liegt doch in der jüngsten Umfrage wieder nur bei 16 Prozent.

Lassen Sie mich erst mal beim Thema Doppelspitze bleiben. Franziska und ich kennen uns seit Langem, schon als sie Stadträtin in Neukölln war …

bei ihrem Ziehvater, Bürgermeister Heinz Buschkowsky. Den mochten und mögen viele SPD-Linke nicht, Sie aber sind mit ihm sogar auf Auslandsreise gegangen.

Ja, nach Rotterdam – ich wollte damals zeigen, dass diese permanente Einteilung einer Partei in Linke und Rechte am Ende nicht das Entscheidende ist. Die SPD ist eine Volkspartei, und eine Volkspartei muss versuchen, Positionen in einer Gesellschaft zusammenzubringen. Mit Franziska arbeite ich eng und vertrauensvoll zusammen – und ich hab wirklich das Gefühl, es wird gut.

Sie nennen die SPD weiter „Volkspartei“. Ist das nicht vermessen bei nur noch 16 Prozent Rückhalt in der Wählerschaft?

Die SPD ist die Volkspartei, und wir müssen diesen Anspruch ­erfüllen.

Den Anspruch kann man ja haben, aber die Wirklichkeit ist eben eine andere.

Ich glaube, dass wir es mit unseren Positionen, die Gesellschaft zusammenzuführen, im nächsten Jahr hinbekommen, bei der Abgeordnetenhauswahl wieder stärkste Kraft zu werden. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Franziska und ich sind beide leidenschaftliche Wahlkämpfer – und die SPD wird überraschen.

Aber noch mal zum Thema Doppelspitze – auf die gerade zitierte Einschätzung des Fährmanns sind Sie ja nicht so richtig eingegangen. Bei einem Ihrer letzten großen Vor-Corona-Termine haben Sie gesagt: „Franziska ist die Nummer 1.“ Wie passt das denn zu einer Doppelspitze?

Wir werden die Partei gemeinsam führen, wenn der Parteitag uns sein Vertrauen ausspricht. Die Frage bei diesem Termin war, ob Franziska gut ist für die Stadt, und da habe ich eben genau das gesagt. Sie geht hin, sie hört zu, sie packt an …

das sollte eigentlich jeder Politiker machen.

Aber sie macht das in besonderer Weise, ich schätze ihre Art, Politik zu machen, sehr.

Dann kann die SPD Franziska Giffey ja bei einem weiteren Parteitag am 19. Dezember tatsächlich und ganz offiziell zur Nummer 1 wählen, nämlich zur Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl. Wird das passieren?

Wir konzentrieren uns jetzt auf den Oktober mit der Vorstandswahl. Was dann kommt, werden wir gemeinsam als Partei kommunizieren. Ich gehe fest davon aus, es wird gut.

Bleibt denn Michael Müller bis zur Abgeordnetenhauswahl Regierender Bürgermeister?

Wir haben einen gewählten Regierenden Bürgermeister, der in der Coronakrise einen guten Job macht.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sieht das ganz anders: Der wirft Berlin lasches Vorgehen gegen Corona vor und sagt, Müller sei an vorderster Front der Lockerer gewesen. Allein für die in Berlin wiederholt kritisierte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci hat er lobende Worte.

Dass Dilek Kalayci einen außerordentlich guten Job gemacht hat, bezweifelt keiner …

Die Grünen etwa sehen das anders, und nicht nur die.

Die Grünen haben gerade interne Dinge zu klären, nämlich ihre Spitzenkandidatur, und versuchen mit so etwas von eigenen Problemen abzulenken. Dass Söder den Regierenden Bürgermeister Michael Müller so attackiert, empfinde ich als eine Frechheit. Der sollte sehen, dass er seinen eigenen Job macht, und nicht Noten verteilen. Das ist kein guter Charakterzug.

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