Gabriels Job bei Fleischfabrik Tönnies: Wo es stinkt

Der ehemalige SPD-Chef war bei Tönnies als hochbezahlter Berater tätig. Verboten ist das nicht. Aber die SPD wird dringend darüber sprechen müssen.

Portrait Sigmar Gabriel bei einer Bundespressekonferenz 2019

Sigmar Gabriel hat noch was zwischen den Zähnen Foto: Xander Heinl/photothek/imago images

Fairness muss sein: Etwas Illegales hat Sigmar Gabriel nicht gemacht. Dass sich der Ex-SPD-Chef, wie er selbst bestätigt, entschieden hat, von März bis Mai 2020 den mittlerweile höchst umstrittenen Fleischproduzenten Tönnies zu beraten; dass er dafür monatlich 10.000 Euro einstrich und dazu ein vierstelliges Honorar für jeden Reisetag – er darf das. Seine privatwirtschaftlichen Tätigkeiten nach seiner Politikkarriere unterliegen keiner Veröffentlichungspflicht. Aber da hört das Verständnis auch auf.

Sigmar Gabriel geißelte noch 2015, in seiner Zeit als Bundeswirtschaftsminister, das System der Fleischindustrie als „Schande für Deutschland“ und prangerte – zu Recht – die Ausbeutung osteuropäischer Arbeitskräfte an. Nur hat sich in den letzten fünf Jahren, wie wir alle am Beispiel Tönnies erfahren haben, an den miserablen Arbeitsbedingungen und Wohnverhältnissen der osteuropäischen Ar­bei­ter*in­nen wenig geändert. Dass Gabriel ausgerechnet für diesen Konzern gearbeitet hat, in dem Mensch und Tier für den maximalen Profit ausgebeutet werden, schadet auch rückwirkend seiner politischen Glaubwürdigkeit.

Der Grünen-Wirtschaftspolitiker Dieter Janecek bringt das so auf den Punkt: „Sigmar ­Gabriel hat bei Tönnies nach Schröder’scher Manier die Hand aufgehalten – nach dem Motto: Man nimmt mit, was man kriegen kann.“ Dass ausländische Arbeitskräfte Schweine schlachten, schlecht bezahlt und mies behandelt werden in Jobs, die sonst niemand machen will, während der Konzern für einen Ex-Politiker so tief in die Tasche greift, ist ein Sinnbild der so­zia­len Spaltung in diesem Land. Und das alles, während über Grundrente und Mindestlohnerhöhungen im Centbereich gestritten wird. Wer kann das noch nachvollziehen?

„Aufrechte Sozialdemokraten“

Sigmar Gabriel ist bei Weitem nicht der Erste, der nach seiner Politikkarriere durch kritikwürdige Wirtschaftsarbeit auffällt. Es ist erst einen Tag her, dass Ex-Kanzler Schröder als Gazprom-Lobbyist im Bundestag aufgetreten ist. Doch Gabriel verkörpert – ähnlich wie Schröder – das Dilemma der Sozialdemokraten. Auf dem SPD-Bundesparteitag 2009 in Dresden, wo sich Ga­briel dazumal als neuer starker Mann in der Partei feiern ließ, sagte er noch: „Wir dürfen uns nicht in die Vorstands­etagen und Sitzungsräume zurückziehen.“ Und: „Wir müssen dahin, wo es laut ist, dahin, wo es brodelt, dahin, wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt.“ Gewissermaßen ist Gabriel ja auch da hingegangen, wo es brodelt und stinkt, nur leider auf der falschen Seite.

Esken und Walter-Borjans distanzieren sich – damit machen sie es sich zu leicht

Tragisch ist, dass er, wie auch Schröder, nicht aus reichen Verhältnissen kommt. Beide hätten per Biografie Glaubwürdigkeit genießen, eine sozial gerechtere Politik verkörpern können. Für die SPD-Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die um einen mehr linken Kurs bemüht sind, bedeutet die Neuigkeit einen enormen Imageschaden. Sie distanzieren sich: „Für jeden aufrechten Sozialdemokraten ergibt sich dabei aus unseren Grundwerten, an wessen Seite man sich begibt und wo man besser Abstand hält.“

Ganz so einfach sollten die beiden es sich nicht machen. Denn die Sache berührt noch auf ganz andere Weise den Kern sozialdemokratischer Politik. Dass ausgerechnet Aufsteiger*innen den inneren Kompass verlieren, erzählt vielleicht etwas über gesellschaftliche Strukturen im Land. Warum ist Aufstieg hier so schwer? Warum ist er oft von Entfremdung begleitet? Wenn die SPD zukunftsfähig sein will als Partei, in der sich Ar­beiter*innen wiederfinden, dann muss sie sich diese Fragen stellen. Gabriel als Geist der Vergangenheit abzutun ist zu simpel.

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Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.

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