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Pimmelnasen-­Affäre noch nicht ausgestanden

Die SPD hat nach dem Rauswurf des Kieler Innenministers Hans-Joachim Grote (CDU) weitere Fragen. Die Gründe, die Ministerpräsident Günther angegeben hat, überzeugen Oppositionsführer Ralf Stegner nicht

Mit Polizistenvergleichen sollte man in diesen Tagen vorsichtig sein – auch als Polizist. Wenn mit „Pimmelnasen“ ein Vergleich mit dem Nasenaffen gemeint wäre, käme das strafverschärfend hinzu Foto: John Grafilo/dpa

Von Esther Geißlinger

Ende April musste der Kieler Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) gehen. Der Fall sorgt in der Landespolitik immer noch für Unruhe. Am Donnerstag stellte die SPD in Kiel einen Katalog aus Fragen und Antworten der Landesregierung vor. Für SPD-Fraktionschef Ralf Stegner steht fest: Die Gründe, die Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) für den kaum verbrämten Hinauswurf genannt hat, sind nicht stichhaltig.

Nach der Sommerpause sollen alle Beteiligten im Innen- und Rechtsausschuss befragt werden, wünscht sich die SPD. Bestens gelaunt trat Ralf Stegner am Donnerstag vor die Presse. Aus seiner Sicht habe Ministerpräsident Daniel Günther „die Chance nicht genutzt, die Unklarheiten aufzuklären“, die die SPD in den Akten gefunden hat. Die jetzt vorliegenden Antworten würden nicht alles klären, sie seien sogar „teilweise falsch“ oder würden einen falschen Eindruck vermitteln. So sei mitgeteilt worden, Grote habe sein Diensthandy gelöscht – doch tatsächlich seien alle Nachrichten über die Cloud des landeseigenen IT-Dienstleisters zu finden. „Dieses wissen wir nur, weil wir gefragt haben“, sagte Stegner. „Und wir werden weiter fragen.“

Im Zentrum steht die Frage, warum der Minister auf ungewöhnlich harsche Weise entlassen wurde. Lag es daran, dass Grote in den vergangenen Jahren mehrere Umbesetzungen in der Polizeiführung vorgenommen und damit „Zwist in der Landespolizei“ ausgelöst hatte? So hatte es in einem Entwurf einer Rücktrittserklärung gestanden, die dann nicht veröffentlicht wurde. Oder doch an „fehlendem Vertrauen“, von dem Regierungschef Günther gesprochen hatte – unter Verweis auf Chats des Ministers mit einem Journalisten.

Die Informationen über diese Chats stammten aus sogenannten Bestra-Berichten. Bestra steht für „Berichterstattung in Strafsachen“, die als Zwischenstände aus laufenden Ermittlungen angefertigt und an übergeordnete Behörden weitergeleitet werden. Allerdings geht es in der Regel um gravierende Straftaten, etwa organisiertes Verbrechen oder Wirtschaftskriminalität.

In diesem Fall beziehen sich die Berichte der Staatsanwaltschaft, die direkt an den Ministerpräsidenten gerichtet waren, auf Chat-Protokolle aus dem Smartphone eines Funktionärs der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), der mit einem Kieler Journalisten regelmäßig Nachrichten austauschte, einmal fiel auch das Wort „Pimmelnasen“ – gemünzt auf die Konkurrenz von der Gewerkschaft der Polizei. Von denen, so der Gewerkschafter, halte Grote viel weniger als von der DPolG. Gab es zu viel Nähe, hat der Minister vertrauliche Informationen ausgeplaudert?

Grote selbst erklärte, seine Beziehung zu dem Gewerkschaftler wie auch zu dem Journalisten sei rein professionell gewesen. Er habe, auch in Hintergrundgesprächen, nie Regierungsinterna verraten. Das bestätigte Stegner am Donnerstag: In den Chats habe es nur „drei triviale Sachverhalte“ gegeben, etwa die Freigabe eines Interviews. Der gravierendste Fall betraf ein Foto eines Polizisten. Unter dieses Bild hatte der Journalist später „Arschloch“ geschrieben – doch Grote versichert, dass er das Bild nur ohne die Beleidigung gesehen und sich von dem Journalisten „immer distanziert“ habe.

Unter das Foto eines Kollegen schrieb der Polizei­gewerkschafter „Arschloch“. Grote will das nicht gesehen haben

Irritiert über den Umgang mit dem Minister war anfangs nicht nur die Opposition, sondern es waren auch die Grünen und die FDP, die mit der CDU die Kieler Jamaika-Regierung bilden. Der Grünen-Polizeiexperte Burkhard Peters sprach von einer „Politisierung“ der Staatsanwaltshaft (taz berichtete).

Die Kieler Staatsanwaltschaft steht in der Kritik, weil sie in den vergangenen Jahren häufig spektakulär gegen Politiker*innen vorging, um die Untersuchungen nach jahrelangen Ermittlungen einzustellen. Für die Betroffenen bedeutete das lange Unsicherheit und einen beschädigten Ruf – jüngst ging die Leiterin des Datenschutzzentrums, Marit Hansen, als eine von mehreren Betroffenen juristisch gegen die Aktionsweise der Staatsanwaltschaft vor. Das Schleswiger Oberverwaltungsgericht gab Hansen recht: Das Verfahren habe zu lange gedauert.

Im Fall Grote habe die Staatsanwaltschaft ebenfalls eine Rolle gespielt, glaubt Stegner. So hat es vor Grotes Rücktritt mehrere Gespräche in der Staatskanzlei gegeben, an denen die Leitende Kieler Oberstaatsanwältin teilnahm. „Sie haben wohl nicht übers Wetter geredet“, sagte Stegner. Seine Vermutung: „Entweder, sie wurde ermutigt, Material gegen Grote zu sammeln, oder sie ist eigenverantwortlich tätig geworden.“ Beides würde „das Vertrauen in die Institutionen des Rechtsstaats“ erschüttern, sagte der Oppositionspolitiker. Er erhoffe sich nach der Sommerpause Aufklärung im Innen- und Rechtsausschuss.

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