piwik no script img

Fastallein im Schnuten­pulli

Heute öffnen die Kinos wieder. Dass das Erlebnis sich durch die Corona-Auflagen aber stark verändert, kann man am Beispiel des Bremer Kommunalkinos City 46 erleben. Dort wurde der erste Film schon vor einer Woche gezeigt – vor einem zahlenden Gast

Auf die Gemeinschaftserfahrung als Alleinstellungsmerkmal des Kinobesuchs muss man erst mal verzichten Foto: City 46

Von Wilfried Hippen

Von heute an kann man in Deutschland wieder ins Kino gehen. Die Coronabeschränkungen sind zwar in jedem Bundesland anders und so darf etwa zurzeit noch in Niedersachsen auch während der Vorstellung der Mundschutz nicht abgenommen werden. Aber die Erfahrung des Kinobesuchs dürfte nun überall ähnlich sein. In Bremen öffnete das Kommunalkino City 46 schon am Donnerstag vor einer Woche seine Türen, deshalb sind die Verhältnisse und die Erfahrungen der ZuschauerInnen dort exemplarisch.

Daran, dass man wie überall im öffentlichen Leben nur mit Mundschutz eingelassen wird, dass man an der Kasse den durch Markierungen auf dem Boden gekennzeichneten Sicherheitsabstand einhalten und seine persönlichen Daten angeben muss, hat man sich in den letzten Wochen ja schon gewöhnt. Dass die Erfahrung des Kinobesuchs nun aber eine grundlegend andere ist, merkt man spätestens, wenn man den Kinosaal betritt, denn die meisten Sitzplätze sind durch rot-weiße Plastikstreifen abgesperrt. Von den 151 Plätzen im großen Saal des City 46 dürfen nur 36 genutzt werden, die jeweils in Paaren zusammengelegt wurden. Von der Gemeinschaftserfahrung, die als Alleinstellungsmerkmal des Kinobesuchs so oft beschworen wird, ist da nur noch wenig zu spüren. Dazu zählt ebenfalls, dass im Foyer das Verweilen vor und nach der Vorstellung unmöglich gemacht wird. „Was das Kino ausmacht, fehlt“, sagt denn auch der Ko-Geschäftsleiter des City 46, Holger Tepe.

103 Tage lang war das Kino geschlossen. Anders als etwa im Hamburger Metropolis oder in den kommerziellen Kinos ging die Belegschaft nicht in Kurzarbeit und es wurde auch niemand entlassen. Dies passierte in Rücksprache mit dem Bremer Senat, der „soziale Verwerfungen verhindern“ wollte, erklärt die Geschäftsleiterin Johanna Melinkat. Kurzarbeit sei auch deshalb nicht sinnvoll gewesen, weil die fünfköpfige feste Belegschaft viele Überstunden habe, die sie nun abbauen könne. Und die meisten freien MitarbeiterInnen seien auf 450-Euro-Basis angestellt und hätten deshalb bei Kurzarbeit kein Geld bekommen.

Für die Neueröffnung gab es einige Umbauten. Gleich am Eingang steht einer der fünf Desinfektionsspender („von mir selber zusammengebaut“, sagt Tepe stolz), der Kassenbereich ist durch eine Plexiglasscheibe abgetrennt und auch vor dem Eingang zum Kinosaal gibt es einen Tisch mit Trennscheibe, hinter der die KartenabreißerInnen ihre Arbeit tun. Als Ausgang wurde der frühere Notausgang und Fahrstuhlzugang für RollstuhlfahrerInnen umfunktioniert. Der zweite, kleinere Kinosaal bleibt vorerst geschossen und abgesperrt, weil dort höchstens zehn Plätze erlaubt gewesen wären und der Ein- und Ausgang alles noch viel komplizierter gemacht hätte.

Immerhin können Getränke und Snacks am Tresen verkauft werden, aber dies so auch erst kurzfristig nach der Veröffentlichung der neusten, inzwischen neunten Coronabestimmung des Bremer Senats. Davor durften Speisen und Getränke nur auf einem Tablett serviert werden, aber diese für Fast-Food-Ketten maßgeschneiderte Bestimmung wurde nun kassiert.

Wer dann im Kinosaal ist, darf abgesehen vom Toilettengang nicht mehr den Raum verlassen und alle Flächen sowie Gegenstände, die berührt werden könnten, werden zwischen den Vorstellungen desinfiziert.

Mit dem plattdeutschen Hinweis „Tougang nur met Schnuttenpully“ am Eingang soll die Stimmung ein wenig gelockert werden. Im Gegensatz dazu klingt eine der Verhaltensregeln, die vor dem Film auf die Leinwand projiziert werden, eher beunruhigend: „Sollten Sie während der Vorstellung Symptome entwickeln, müssen Sie das Gebäude verlassen!“

Die erste Vorstellung am vergangenen Donnerstagnachmittag wurde nicht etwa mit Sekt gefeiert, aber Holger Tepe hielt eine kleine Ansprache vor dem einen zahlenden Gast, der gekommen war. Zur Abendvorstellung um 20 Uhr hatte sich die Zuschauerzahl dann mit einem Ehepaar schon verdoppelt.

Mit dem plattdeutschen Hinweis „Tougang nur met Schnuttenpully“ am Eingang soll die Stimmung ein wenig gelockert werden

In den ersten vier Tagen kamen schließlich rund 50 BesucherInnen ins Kino, angesichts des Sommerwetters ist Holger Tepe mit dieser Zahl auch gar nicht unzufrieden. Er und Johanna Melinkat haben sich für eine „softe“ Wiedereröffnung entschieden, also kein spektakuläres Programm, sondern jeweils zwei Arthouse-Filme pro Woche. Die beiden Filme in der Eröffnungswoche liefen schon im Frühjahr im Kino und in den nächsten Wochen werden dort vor allem Spielfilme und Dokumentationen gezeigt, die für das April- und Mai-Programm geplant waren. Mit dem kolumbianischen Spielfilm „Monos“ wird in der nächsten Woche aber auch zum Kinostart eine Bremer Erstaufführung präsentiert

Tepe und Melinkat verstehen die ersten Wochen des Kinobetriebs als eine Versuchsphase, denn die Verhältnisse ändern sich, wie überall, von Tag zu Tag. Auf ausverkaufte Vorstellungen hoffen sie in der kommenden Sommerflaute kaum, und so klingt die Senatsbestimmung, in der davon die Rede ist, dass „Publikumsströme“ möglichst nicht aufeinander treffen sollten, unfreiwillig komisch.

Zurzeit wird das Programm kurzfristig jeweils drei Wochen im Voraus zusammengestellt, doch im Herbst wird es dann wieder feste Monatsprogramme sowie Sondervorstellungen wie etwa die Stummfilmabende geben. Und die beiden hoffen auch auf weitere Lockerungen der Schutzverordnungen, denn die 1,5-Meter-Regel ist für Kinos besonders problematisch, weil ein Kinosessel etwa 65 Zentimeter breit ist, also ein Abstand von zwei Sitzen nicht reicht und die Auslastung deshalb sehr unvorteilhaft ist.

Die entscheidende Frage wird aber sein, ob das Publikum die nicht vermeidbaren Einschränkungen eines Kinobesuchs akzeptiert oder wegbleibt. Denn wie so vieles ist auch das Kino durch Corona kleiner geworden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen