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Ein Weltkulturerbe blickt in den Abgrund

Wo Paco de Lucia oder Rosalia spielten: Die Casa Patas, Madrids weltberühmte Flamenco-Kneipe, muss wegen der Coronakrise schließen

Geordneter Rückzug: Mariana Collado in der Casa Patas Foto: Juan Medina/reuters

Von Reiner Wandler

Die Welt des Flamenco ist in tiefer Trauer. Die Casa Patas, die Madrider Flamenco-Kneipe schlechthin, hat die Covid-19-Krise nicht überlebt. Anfang Juni gab Inhaber Martín Guerrero bekannt, dass sein Restaurant mit Bühne jetzt nach Ende des Lockdowns nicht wieder öffnen wird. Die Casa Patas, die Guerrero in zweiter Generation führt, ist das bekannteste der 20 hauptstädtischen „Tablaos“ – so der Name für die Flamenco-Kneipen.

„Wir werden geordnet zumachen“, erklärte Guerrero, denn anderenfalls drohen der Bankrott und damit schwere Verluste für Zulieferer, die noch Rechnungen offen haben, und auch für die Angestellten, die dann ihre Entschädigung für die Entlassung nach jahrelangem Dienst nicht erhalten würden. Außerdem rettet der geordnete Rückzug die angegliederte Flamenco-Akademie, an der Jahr für Jahr 140 SchülerInnen das Tanzen, 30 Gitarre und 15 den Cante jondo – den Flamenco-Gesang – und vier Perkussion studieren.

Seit der Verhängung des Alarmzustand und mit der Ausgangssperre am 14. März hat die Casa Patas alle Rücklagen aufgebraucht. „Jetzt wieder aufzumachen wäre, wie mitten in einem Gewitter schwimmen zu gehen, das lange genug dauert, dass du ertrinken wirst“, erklärt Guerrero. Der Grund, dass er ausgerechnet jetzt, wo das Land langsam den Weg aus dem Lockdown in die „neue Normalität“ nimmt, das Handtuch schmeißt, ist der Zusammenbruch des Tourismus.

„Die ausländischen Touristen machen 75 Prozent des Publikums aus“, erklärt Guerrero. Die einheimischen Besucher seien zu wenige, um durchzuhalten. Und vor Ende 2021 würden Städte wie Madrid nicht wieder so viele internationale Besucher haben, dass Einrichtungen wie die Casa Patas ihren Teil abbekommen, befürchtet Guerrero. Er schließt nicht aus, dann wieder zu öffnen.

Auch wenn die Casa Patas in keinem Tourismusführer fehlen darf, ist die Taverne alles andere als ein billiger Touristennepp. Alles, was im Flamenco Rang und Namen hat, stand hier auf der Bühne. Von den Gitarristen wie Paco de Lucia und Tomatito bis hin zu Sängern wie El Camarón de las Islas. Raimundo Amador spielte hier seinen Flamenco-Blues. Diego de Cigala trat hier ebenso auf wie Niña Pastori. Selbst die mittlerweile weltbekannte Rosalia stellte in der Casa Patas die Lieder ihre ersten Platte vor. Rund 300 Konzerte waren es jedes Jahr. „Keiner der um die 100 privaten Orte für Flamenco in Spanien würde ohne die ‚Touris‘, auf die so mancher abschätzig herunterschaut, existieren“, fügt Guerrero hinzu. Er prophezeit, dass auch die restlichen Tablaos in Madrid und in Spanien schon bald seiner Casa Patas folgen werden.

Genau das befürchtet auch die Nationale Vereinigung der Flamenco-Tablaos (Antfes), die während der Coronaviruskrise entstand. „Wir sind die Universität des Flamenco“, heißt das Motto des Zusammenschlusses der Tablaos von Barcelona ganz im Nordosten über Madrid bis nach Sevilla, Granada und Málaga im Süden Spaniens.

Antfes nimmt für sich in Anspruch, dass 90 Prozent der Künstler nur dank der Tablaos und ihren 6 Millionen internationalen Besuchern pro Jahr überhaupt von Gitarre, Gesang und Tanz leben können. Die Tablaos mit ihren 3.400 direkten Arbeitsplätzen sind das Herzstück der Branche rund um den Flamenco in Spanien, die jährlich 650 Millionen Euro einnimmt. „Wenn die Tablaos sterben, stirbt der Flamenco“, befürchtet deshalb Antfes-Sprecher Federico Escudero. Für ihn ist „der Flamenco Spanien und Spanien der Flamenco“. Nichts würde das Bild des Landes weltweit so bestimmen wie diese alte Kultur, die 2010 von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärt wurde.

Wie Guerrero von der Casa Patas mahnt auch Escudero, dass die Flamenco-Bühnen nur dann wieder funktionieren können, wenn sich die Lage normalisiert und nicht nur die Sonnenhungrigen an die Strände, sondern auch die Kulturtouristen in die Städte zurückkehren. Die Tablaos sind kleine Säle und kleine Restaurants mit maximal 80 bis 100 Gästen. Das schafft die besondere Atmosphäre, macht sie aber auch besonders anfällig für Krisen.

„Nur wenn wir wieder genauso viele Gäste einlassen dürfen wie vor der Pandemie, können die Tablaos überleben“, sagt Escudero. Mit nur der Hälfte der Besucher seien die Tablaos einfach nicht wirtschaftlich. Antfes fordert deshalb „einen Nationalen Hilfsplan für den Flamenco“. Unter anderem wollen sie Subventionen für die Kosten, die weiterlaufen, auch wenn die Lokale geschlossen bleiben, und eine Ausweitung der Kurzarbeitsprogramme mit ihren Zuschüssen bis mindestens zum Ende des Jahres. Eine Antwort seitens der Regierung gibt es bisher nicht.

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