In der Luft hängen oder abheben?

Traum und Wirklichkeit: Trotz aller Beschränkungen packen taz-Mitarbeiter*innen und Berliner Kreative ihre Koffer – und brechen in den Sommerurlaub auf. Dabei wollen mehr mit Fahrrad und Zelt ins regionale Umland als mit dem Auto oder Flieger in den Süden

Schwimmen in der Ostsee Foto: Kacper Kowalski/Panos

Von Klaudia Lagozinski undOle Schulz

Freizeit statt Festivals

Wunsch: Im Sommer verreise ich selten, da ist es ja auch in Berlin schön. Zwei Rituale habe ich jedoch: Aufs Melt!-Festival gehen, wo wir mit Freunden unser eigenes Programm verfolgen: Wir zelten einige Kilometer entfernt an einem See und gehen abends zur Musik. Das findet diesmal leider nicht statt. Außerdem zelte ich mit meinem Freund, der in England lebt, auf einer Farm am Meer, die jedes Jahr im August zum Zeltplatz wird.

Realität: Ich habe Radtouren für mich wiederentdeckt. Zudem gehe ich oft ins Freibad, aber das mache ich eigentlich immer. Man muss outdoor dieses Jahr mitnehmen, was mitzunehmen ist; der nächste Winter wird sicher extra ungemütlich. Eventuell fliege ich zum Zelten nach Großbritannien – wenn die Quarantänepflicht dort ausgesetzt wird. Eigentlich fahre ich lieber Zug, aber gerade scheint mir das Fliegen pragmatischer, wenn man nicht allzu lange mit Menschen in Räumen feststecken will.

Stephanie Grimm, taz-Shop & -Empfang und freie Kulturautorin

Joggen mit Bier in der Hand

Wunsch: Urlaub bedeutet für mich reisen und Freunde treffen. Das ist gerade schwierig. Zurzeit würde ich nur in ein Flugzeug steigen, um meine Familie in London und Brighton zu besuchen. Normalerweise ist mein Sommerurlaub eine Verlängerung eines Aufenthalts nach einem Auftritt irgendwo.

Realität: Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich beruflich schon viel fliege. Der Sommer ist sowieso die blödeste Zeit, um in den Süden zu reisen. In der Nähe Berlins gibt es doch schöne Seen, und die Ostsee liegt um die Ecke, das reicht eigentlich, oder? Wir sollten wirklich nicht meckern. Man konnte in Berlin während des Lockdown sogar mit einem Bier in der Hand joggen gehen, erzähl das mal einem US-Amerikaner! Im Winter bekomme ich dann wieder Sehnsucht nach Wärme und kulturellem Austausch.

Perera Elsewhere, DJ, Produzentin und Sängerin (EP „Thrill“, 2019)

Couchsurfen mit Zelt

Wunsch: Nach zwei Monaten im Homeoffice kann ich meine Wohnung nicht mehr sehen. Allerdings ist durch Covid-19 auch meine Sehnsucht nach anderen Ländern eingedampft worden. Positiv ist, dass man dadurch das lokale Umfeld wieder wertschätzen lernt. Und das Umland Berlins hat ja viel zu bieten.

Realität: Ich will mit meinem Freund eine Fahrradtour machen. Wir wissen noch nicht genau, wohin, nur dass es Richtung Norden gehen soll, vielleicht auch nach Polen. Dafür ist aber klar, dass wir zelten. Nur nicht auf Campingplätzen, sondern über die Webseite „1nighttent“. Das funktioniert wie Couchsurfen, nur mit Zelt. Auf einer Karte sind Gast­geber verzeichnet, die Campern etwa ihren Garten für eine Nacht kostenlos zur Verfügung stellen.

Bernadette La Hengst, Musikerin und Sängerin („Wir sind die Vielen“, 2019)

Dem Rauschen lauschen

Wunsch: Wir haben schon im Januar beschlossen, dass wir in Frankreich campen wollen. Ein Bekannter empfahl einen Campingplatz, den er seit den 1970ern ansteuert. Mit ihm waren wir vergangenen Sommer dort, da war ich noch eher skeptisch, was Camping angeht, musste aber wider Erwarten feststellen: Mehr als ein rudimentär ausgestattetes Häuschen am Meer brauche ich nicht!

Realität: In einem „Wir-passen-alle-gerade-so-rein“-Auto fahren wir, mein Freund, ich und meine zwei Kinder, in Etappen nach Frankreich. Morgens los, fünf Stunden fahren, abends in einer Absteige mit Pool unterkommen und weiter – bis nach Aquitanien. Wir freuen uns, wenn die Kinder baden und rumtoben können, während wir entspannen und lesen. Nach der Quarantänezeit sehne ich mich danach, dem Meer beim Rauschen zuzuhören.

Sunny Riedel, taz.eins-Redakteurin

Zimmer mit Aussicht

Wunsch: Mein Bedürfnis nach Tapetenwechsel ist groß. Aber mein Partner und ich entscheiden uns meistens spontan. Ich habe türkische Wurzeln, und als Kind bin ich mit meinen Eltern jeden Sommer zum Familienbesuch nach Istanbul und Ostanatolien oder ans Meer gefahren. Doch Strandurlaub in der Türkei habe ich das letzte Mal vor rund 30 Jahren gemacht. Später wollte ich lieber die weite Welt kennenlernen. Beruflich komme ich aber immer noch in die Türkei.

Realität: Die naheliegendste Option sind die Schweizer Berge. Freunde von uns haben im Engadin ein Haus, in einem Dorf nahe von St. Moritz fast ohne Touristen. Die Landschaft ist spektakulär: eine riesige Hochebene mit abgefahrenen Seen. Und im Sommer ist es nicht zu heiß, das mag ich. Wir sind da regelmäßig, quartieren uns aber inzwischen privat ein – unter den Corona-Umständen ist das ja eh besser.

Nevin Aladağ, Installationskünstlerin

An den Hund gewöhnen

Wunsch: Ich wäre gerne nach Georgien gefahren. Dahin konnten wir wegen Corona aber schon im März nicht, als der georgische Schriftsteller Giwi Margwelaschwili beerdigt wurde. Dabei habe ich ein Faible für den Südosten und zum Beispiel die Länder Ex-Jugoslawiens schon oft bereist.

Realität: Meine Frau Kristine und ich machen unsere Ferienplanung immer recht kurzfristig. Erst dachten wir, wir fahren zur Ostsee. Aber da wollen jetzt alle hin, das ist mir angesichts von Corona etwas suspekt. Jetzt fahren wir wahrscheinlich an den Chiemsee nach Bayern, wo eine Freundin ein Haus mit viel Platz hat. Und vor allem kommen wir auch ohne Probleme mit unserem Hund dahin. Den haben wir noch nicht lange. Wir wollen die freie Zeit dazu nutzen, um uns aneinander zu gewöhnen.

Jörg Sundermeier, zusammen mit Kristine Listau Leiter des Verbrecher Verlags

Wie als Kind nach Kärnten

Wunsch: Ich wollte schon letztes Jahr nach Österreich, das hat leider nicht geklappt. Deswegen hoffe ich, dass mein Wunsch dieses Jahr in Erfüllung geht und ich mit meiner Einzelfallhelferin dorthin fahren kann. Meine Kindheitserinnerung an Österreich: auf einem Bauernhof in Kärnten mit meiner Mutter, Schwester, Oma und Opa Kaiserschmarrn und Wiener Schnitzel mit Pommes essen. Wir hatten nicht viel Geld, und es war schon teuer für uns. Damals stand die Mauer noch, man musste mit Schilling bezahlen.

Realität: Wir warten noch ab. Damit wir in Österreich nicht in Quarantäne müssen, falls es wieder einen Lockdown gibt. Könnte ich Auto fahren, wäre ich längst los. Ich brauche aber immer jemanden, der mich begleitet.

Christian Specht, Aktivist in der Behindertenpolitik, hat seinen Arbeitsplatz in der taz

Sommer der Verwirrung

Wunsch: Vor 20 Jahren habe ich mich in die Kanareninsel Lanzarote verliebt. Ich mag die Stille, den Wind, den Atlantik, die Feuerberge und kann mich hier gut konzentrieren. Eigentlich wollte ich schon im April dorthin, um für meinen neuen Roman zu recherchieren, der auf der Insel spielt.

Realität: Mir geht es wie den Bewohnern Lanzarotes, die sind auch hin und her gerissen: Sie leben zwar vom Tourismus, aber es gab bisher nur ganz wenige Coronafälle auf der Insel. Der strikte zweimonatige Lockdown hat dazu geführt, dass an der Küste sogar wieder Delfine aufgetaucht sind. Eine andere Option wäre gewesen, in die Türkei zu fliegen, doch die Regeln dafür ändern sich ständig. Nun vielleicht in den Spreewald? Es ist der Sommer der Verwirrung.

Moritz Rinke, Dramatiker („Leonore“, 2020) und Schriftsteller

Urlaub mit dem Enkel

Wunsch: Meine Freundin und ich möchten unseren Enkel das erste Mal auf eine Fernreise mitnehmen. Er ist in der ersten Klasse, und wir wollten Anfang der Sommerferien für zweieinhalb Wochen mit ihm nach Korsika.

Realität: Wir müssen schauen, ob Korsika klappt. Wir buchen sowieso nie weit vorher und warten jetzt erst recht ab. Verunsicherung schwingt aber schon mit: Wir sind beispielsweise ein wenig besorgt darüber, mitten im Urlaub davon überrascht zu werden, dass man nicht zurückdarf. Einen Back-up-Plan gibt es aber, nämlich unsere Datsche mit Gartengrundstück im Brandenburgischen, direkt am See gelegen. Das kennt der Enkel schon und dort kann man auch wunderbar Urlaub machen

Andreas Bull, taz-Geschäftsführung