Enteignung kann kommen

Nach mehr als einem Jahr Prüfung steht dem Volksbegehren „Deutsche Wohnen enteignen“ offenbar nichts mehr im Weg: Es gilt als rechtlich zulässig. Damit können bald Unterschriften für einen Entscheid gesammelt werden

„Es gibt keine Zweifel mehr, ob Enteignungen möglich sind“

Kalle Kunkel, Enteignungsinitiative

Von Gareth Joswig

Die rechtlichen Prüfungen des Enteignungs-Volksbegehrens sind fast abgeschlossen – und werden für die Volksinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ wohl positiv ausgehen: Ihr Anliegen, Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften und in kommunale Wohnungsgesellschaften zu überführen, ist aus Sicht des Senats offenbar rechtlich zulässig. Letzte Bedenken wurden am Donnerstagsnachmittag in einem Gespräch zwischen Ver­tre­ter:innen des Volksbegehrens, des Senat und der Koalitionsparteien ausgeräumt. Anfang Juli könnte die Prüfung abgeschlossen sein.

Von Senatsseite waren neben dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) auch Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) sowie Senatskanzleichef Christian Gaebler (SPD) sowie Vertreter:innen aus den rot-rot-grünen Parteien dabei. Nina Stahr, die sich als Landesvorsitzende der Grünen an den Gesprächen beteiligte, sagte der taz: „Wir sind einen guten Schritt weitergekommen. Die Prüfung wird jetzt schnell abgeschlossen. Anfang Juli wird es wahrscheinlich in den Senat kommen.“ Und Kalle Kunkel vom Volksbegehren erklärte: „Es gibt keine Zweifel mehr, ob Enteignungen grundsätzlich möglich sind. Man hat uns zugesagt, dass die Prüfungen nun schnell abgeschlossen werden.“

Die Mietaktivist:innen hatten sich bei ihrer Enteignungsfor­derung gegen Mietenwahnsinn und renditeorientierte Wohnraumbewirtschaftung zulasten von Mieter:innen stets auf den Artikel 15 des Grundgesetzes ­berufen. Dieser ermöglicht grundsätzlich Vergesellschaftungen zum Wohle der Gemeinschaft – gegen eine Entschädigung.

Mit der rechtlichen Zulassung des Antrags auf ein Volksbegehren durch die Innenverwaltung von Andreas Geisel (SPD) muss sich der Senat binnen vier Monaten mit der Enteignungsrage befassen. Theoretisch könnte er das direktdemokratische Anliegen dann bereits umsetzen. Allerdings ist das unwahrscheinlich, weil Rot-Rot-Grün in der Enteignungsfrage uneins ist: Während die Linke das Volksbegehren vollends und Grüne mit ein paar Abstrichen befürwortet, lehnt die SPD es ab.

Für Grünenhefin Nina Stahr ist allerdings noch nicht ausgemacht, dass das Anliegen abgelehnt wird: „Mal sehen, ob der Senat das übernimmt oder nicht. Wir halten die Ziele für richtig, würden aber auf qualitative Kriterien gehen für die Vergesellschaftung – und halten sie nur als absolute Ultima Ratio für gerechtfertigt, etwa wenn Vermieter sich nicht an den Mietendeckel halten, mit Leerstand spekulieren oder nicht sanieren.“

Wenn der Senat nicht enteignen will und auch das Abgeordnetenhaus keine Gesetzesinitiative aus dem Anliegen schustert, kommt es zur nächsten Stufe der Volksgesetzgebung – dem Volksbegehren. Dann haben die Miet­akti­vist:innen vier Monate Zeit, rund 175.000 Unterschriften zu sammeln. Sollte die Initiative diese Unterschriften zusammenbekommen, wäre das Abgeordnetenhaus aufgefordert, das Anliegen der Volksinitiative unverändert zu übernehmen. Folgt das Parlament dem nicht, kommt es zum Volksentscheid. Bei zeitlicher Nähe werden Entscheide mit einer Wahl zusammengelegt. Der vor wenigen Wochen vorgelegte Entwurf des überarbeiteten Abstimmungsgesetzes sieht vor, dass bis zu acht Monate zwischen Abschluss der Prüfung der Unterschriften und einem Wahltermin liegen dürfen.

Beim Enteignungsvolksbegehren scheint dies mit Blick auf die Wahl im September 2021 zumindest nicht ganz abwegig. Beim Volksentscheid muss bei einer Wahlbeteiligung von wenigstens 25 Prozent der Wahlberechtigten eine Mehrheit der Abstimmenden dafür stimmen – dann könnte mit der Deutschen Wohnen erstmals ein DAX-Konzern enteignet werden.

Fast ein Jahr lang wird die Prüfung am Ende gedauert haben. Am 14. Juni 2019 hatten die Initiative 70.000 Unterschriften für die Zulassung des Volksbegehrens in der Innenverwaltung abgegeben, 50.000 davon waren gültig. Laut dem reformierten Abstimmungsgesetz wird eine solche Verschleppung künftig nicht mehr möglich sein: Nur noch fünf Monate hat die Innenverwaltung für die Prüfung eines Antrags auf Zulassung eines Volksbegehrens Zeit.