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„Das ist
völlig irre“

Ökonom Heiner Flassbeck ist strikt dagegen, dass die EU-Staaten ihre Schulden zurückzahlen

Foto: privat

Heiner Flassbeck

war bis Ende 2012 Chefökonom der Unctad, der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen in Genf. Er lebt in Frankreich.

Interview Ulrike Herrmann

taz: Herr Flassbeck, Frankreichs Präsident Macron und die deutsche Kanzlerin Merkel wollen einen europäischen Coronafonds von 500 Milliarden Euro auflegen. Die EU-Kommission fordert 750 Milliarden. Reicht dieses Geld?

Heiner Flassbeck: Diese Summen klingen beeindruckender, als sie sind. Beim Macron-Merkel-Plan würden die Hilfen nur etwas mehr als ein Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung pro Jahr betragen. Bei der EU-Kommission wären es immerhin 1,8 Prozent. Das ist nicht besonders viel.

Die EU-Milliarden sollen vor allem an besonders betroffene Staaten gehen. Wird das tatsächlich passieren?

Zwischen den EU-Ländern wird es noch gewaltiges Hauen und Stechen geben. Zudem werden die Staaten, die aus dem Coronafonds wenig bekommen, hinterher versuchen, aus dem normalen EU-Haushalt umso mehr zu erhalten. Am Ende ist nicht garantiert, dass das Geld wirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird. Die meisten EU-Länder werden versuchen, hohe Nettozahlungen abzuschöpfen.

Die EU will Zukunftsbranchen fördern. Also Digitalisierung, Klimaschutz und die Gesundheitsversorgung. Ist das vernünftig?

In Griechenland leidet aber vor allem der Tourismus. In Italien ist es unter anderem die Modeindustrie. Sind das keine Zukunftsbranchen? Gesundheit ist sicher wichtig, aber wir sollten nicht so tun, als wüssten wir heute, was in zehn Jahren erfolgreich sein wird.

Die EU-Kommission will die Kredite wieder zurückzahlen. Eine gute Idee?

Nein, das ist völlig irre. Der Staat kann seine Schulden nicht zurückzahlen.

Die EU-Kommission will aber neue Einnahmequellen erschließen – gedacht ist etwa an eine Plastikabgabe.

Mit Steuererhöhungen, wie man es auch dreht und wendet, geht es nicht. Staaten könnten ihre Schulden nur zurückzahlen, wenn die Wirtschaft deutlich wächst. Ein starker Aufschwung setzt aber voraus, dass die Unternehmen bereit sind, sich zu verschulden, um zu investieren. Das ist aber seit über einem Jahrzehnt nicht mehr der Fall. Deswegen muss der Staat jetzt und in Zukunft Kredite aufnehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Viele Bürger machen sich Sorgen, dass der Staat unter den Zinsen zusammenbrechen könnte, die für die Schulden fällig werden.

Diese Sorge ist unbegründet. Die Zinsen werden in absehbarer Zeit nicht steigen. Denn es fehlen die privaten Investoren und Schuldner. Fast niemand will derzeit einen Kredit aufnehmen. Das ist ja das Problem. Die Zinsen würden nur steigen, wenn auch die Wirtschaft deutlich wächst.

Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande wehren sich gegen die EU-Pläne. Die „Sparsamen Vier“ wollen Nettozahlungen an einzelne Staaten verhindern.

Diese „irren Vier“ sind noch dümmer als die Deutschen. Diese Länder haben alle – außer Österreich – sehr hohe Exportüberschüsse. Sie leben also davon, dass sich andere EU-Länder verschulden. Denn ein Plus kann es nur geben, wenn woanders ein Minus entsteht. Die „irren Vier“ schaden sich daher selbst, wenn sie jetzt Hilfsmaßnahmen für die Krisenländer verhindern wollen.

Viele Ökonomen haben gefordert, einfach Coronabonds aufzulegen, also gemeinsame Staatsanleihen aller EU-Länder. Wäre das besser gewesen als die jetzt geplanten EU-Hilfen?

Nein. Coronabonds wären auch extrem kompliziert gewesen. Zudem hätte es die gleichen Verteilungskämpfe zwischen den Ländern gegeben, die jetzt zu erwarten sind.

Welche Lösung schlagen Sie vor?

Es wäre einfach. Man müsste dafür sorgen, dass sich jedes EU-Land so stark verschulden darf, dass es die Coronaschäden überwinden kann. Dafür müsste die EU nur zwei heilige Kühe schlachten. Erstens: Man müsste die Schuldengrenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung dauerhaft abschaffen. Denn diese Vorgabe ist für die nächsten Jahre niemals einzuhalten. Zweitens: Die Europäische Zentralbank muss dafür sorgen, dass die Zinsen in allen Euroländern gleich niedrig sind. Die EZB ist die Zentralbank jedes Landes in der Eurozone. Wenn die Finanzmärkte das begreifen, ist endlich Schluss mit dem Unsinn, dass es für einzelne Staaten wie Italien oder Griechenland „Risikoaufschläge“ gibt.