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Mieter nicht nur zum Melken da

Das Landgericht Oldenburg hat die Rechte von Mieterinnen und Mietern gestärkt. Auch Neubaupläne für Wohnungen rechtfertigen nicht unbedingt eine Kündigung

So idyllisch wie die „Klostermühle“ ist es nicht in ganz Hude, aber auch ein eher ältliches Zweifamilienhaus darf hier nicht einfach einem Neubau weichen Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Von Jan Zier

Der Mieterin einer Wohnung darf nicht einfach gekündigt werden, damit dafür neue Wohnungen gebaut werden können. Das hat das Landgericht Oldenburg nun entschieden – und damit ein anderslautendes Urteil des örtlichen Amtsgerichts wieder aufgehoben.

Im konkreten Fall geht es um eine Heilpraktikerin, die für 860 Euro Warmmiete fünf Zimmer in dem niedersächsischen Städtchen Hude in der Wesermarsch bewohnt und seit 2007 dort auch ihre Praxis hat. Elf Jahre nach ihrem Einzug wurde ihr gekündigt.

Ein Bauunternehmer, der auch eine Zimmerei betreibt, hatte das offenbar sanierungsbedürftige Zweifamilienhaus gekauft und wollte dort nun einen Neubau errichten – mit acht neuen Wohnungen „in modernster energetischer Bauweise“, jede 70 Quadratmeter groß. Die Kündigung begründete er damit, dass hernach sein monatlicher Erlös von 1.000 auf 3.500 Euro steigen könnte.

Die Amtsrichter in Oldenburg fanden das okay – und verurteilten die Mieterin zur Räumung. Schließlich entstünden dem Hausbesitzer „erhebliche Nachteile“, wenn man ihn an einer „angemessenen wirtschaftlichen Verwertung“ seines Grundstücks hindere. Seine Baupläne seien „vernünftig“ und „wirtschaftlich“, fand das Amtsgericht.

Das bestehende Zweifamilienhaus entspreche nicht mehr „den heutigen Anforderungen an eine angemessene Wohnraumversorgung“, gerade mit Blick auf den Klimaschutz. Ja, es sei „nicht zumutbar“, die alte Immobilie „trotz ihres niedrigen Wohnwertes“ weiter bewirtschaften zu müssen, entschied das Amtsgericht. Es verwies dabei zugleich auf das Grundgesetz, in dem es heißt: „Eigentum verpflichtet“.

Beim Landgericht in Oldenburg legt man das Grundgesetz jedoch anders aus: Der Verfassungsgrundsatz, wonach Eigentum sozialpflichtig ist, sichere gerade „keinen Anspruch auf Gewinnoptimierung“, so schrei­ben es die RichterInnen in ihrem Urteil. Zudem sei auch das Besitzrecht der Mieterin vom Grundgesetz geschützt.

Rechtlich entscheidend ist bei der Abwägung aller Interessen ganz konkret die Frage, ob dem Vermieter ein „erheblicher Nachteil“ entsteht, wenn er auf einen lukrativeren Neubau vorerst verzichten muss – und ob der dann schwerer wiegt als das Interesse der Mieterin, dass alles bleibt, wie es ist, privat wie beruflich. Sie habe sich schließlich seit der Kündigung „vergeblich“ um andere Wohn- und Praxisräume bemüht, sagte sie dem Gericht.

Rechtlich entscheidend ist bei der Abwägung aller Interessen ganz konkret die Frage, ob dem Vermieter ein „erheblicher Nachteil“ entsteht, wenn er auf einen lukrativeren Neubau vorerst verzichten muss

Das Landgericht Oldenburg zweifelt aber schon an der wirtschaftlichen Vernunft der Baupläne in Hude: Denn bei einem Mehrerlös von 2.500 Euro im Monat würde sich die behauptete Investitionssumme von zwei Millionen Euro erst in rund 70 Jahren amortisieren, rechneten die RichterInnen vor.

Zwar gab der Bauunternehmer in der mündlichen Verhandlung an, dass er die Neubauwohnungen verkaufen wolle. Das aber widerspreche ja seinem Kündigungsgrund, argumentiert das Landgericht – nämlich dem monatlichen Mehrerlös.

Ohnehin hatte er, so die RichterInnen, den Rauswurf seiner langjährigen Mieterin „nur sehr oberflächlich“ begründet, wie ihm das Urteil beschied. Auch sein Argument, das Zweifamilienhaus sei „nicht wirtschaftlich sinnvoll zu sanieren“, wollten die RichterInnen nicht gelten lassen – weil dieser Grund im Zuge der Gerichtsverhandlung „nachgeschoben“ worden war, das aber rechtlich unzulässig sei.

Eine Revision ließ das Landgericht nicht zu.

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