Zoom und Microsoft im Corona-Aufschwung: Digital unabhängig werden
Angebote von Zoom und Microsoft boomen gerade. Für die Bildung sind vor allem Open-Source-Anwendungen besser.
Z wei Gewinner der Coronakrise stehen schon jetzt fest: Microsoft wegen seiner Software Teams, und Zoom wegen seines gleichnamigen Videokonferenzdiensts. Beiden gemeinsam ist, dass diese Dienste bis zu Beginn der Coronakrise nur wenigen bekannt gewesen waren.
Ebenfalls gemeinsam ist ihnen, dass man seither mit einem dieser Programme Bekanntschaft gemacht haben dürfte, wenn man im Homeoffice arbeitet oder als Schüler Tele-Learning macht: Innerhalb einer Woche stieg Mitte März die Zahl der täglich aktiven Nutzer von Teams weltweit um mehr als 12 Millionen auf 44 Millionen Nutzer; die Zeit, die das Angebot täglich genutzt wird, hat innerhalb des letzten Monats um 200 Prozent zugenommen. Zoom hatte Ende letzten Jahres 10 Millionen Nutzer, nun sind es 200 Millionen.
Eine weitere Gemeinsamkeit: Es gibt berechtigte Zweifel, ob die Daten ihrer Nutzer bei ihnen in guten Händen sind. Das deutsche Außenministerium hat seinen Mitarbeitern kürzlich verboten, für Dienstgeschäfte Zoom einzusetzen, weil der Service möglicherweise nicht der europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entspricht.
Microsoft betont zwar gerne, dass es sich an die europäische Datenschutz-Bestimmungen hält. Doch bei einer Untersuchung in den Niederlanden kam 2018 heraus, dass die Unternehmensversion von Microsoft Office in großem Stil personenbezogene Daten ihrer Nutzer speicherte, ohne sie darüber zu informieren. Mit diesen Informationen konnten Personen- und Verhaltensprofile erstellt werden. Auch wenn das Unternehmen seither Änderungen vorgenommen hat, um hohe Geldstrafen zu vermeiden, existiert in der Unternehmensversion des Programms nach wie vor das Modul „MyAnalytics“, das Aktivitäten wie E-Mail-Verkehr, Chats und Anrufe analysiert. Schon 2018 kam eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu dem Schluss: Das Office-Modul „Workplace Analytics“ ziehe „aus den Daten Informationen zu Quellen von Zeitverlust heraus, trägt Stressindikatoren zusammen, macht Aussagen zur Stimmung und dem Engagement der Belegschaft.“
Das Kollaborationsprogramm Teams, mit dem Schulkinder in den letzten Wochen möglicherweise online ihre Hausaufgaben gestellt bekommen haben, ist Teil von Microsoft Office. Das Unternehmen bietet Schulträgern eine kostenlose Lizenz von Office 365 Education in der Vertragsvariante A1 an, obwohl zum Beispiel der hessische Datenschutzbeauftragte das Programm nur unter Vorbehalt an Schulen in seinem Bundesland erlaubt.
Das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) warnte vor diesen Lockvogel-Angeboten, die Schüler an die Produkte von Microsoft gewöhnen sollen. Das Einhalten von Datenschutzbestimmungen sei dabei „kaum bis gar nicht zu garantieren“, die Daten deutscher Schüler könnten auf amerikanischen Servern landen, heißt es.
Stattdessen fordert FIfF, dass die deutschen Schulen eine eigene Infrastruktur auf der Basis von Open-Source-Software entwickeln sollten. Open-Source-Programme unterscheiden sich von den Angeboten von Unternehmen wie Microsoft dadurch, dass ihr Code öffentlich ist und von Dritten eingesehen, geändert und genutzt werden kann. Dadurch sind sie wesentlich transparenter als kommerzielle Angebote, bei denen – wie im Fall von Office und Teams – nicht immer klar ist, wie sie mit den Daten ihrer Nutzer umgehen und die entsprechende Prüfung „außerordentlich komplex und aufwendig“ sei, wie der hessische Datenschutzbeauftragte betont.
Im Mai 2019 wurde der Digitalpakt Schule verabschiedet, mit dem der Bund bis 2024 fünf Milliarden Euro für den flächendeckenden Aufbau moderner digitaler Infrastrukturen an Deutschlands Schulen bereitstellt. Das Geld ist zum Teil für die Anschaffung von Computern, Servern, Routern und WLAN gedacht, zum Teil aber auch für die Entwicklung von Lern- und Kommunikationsplattformen. Ausdrücklich werden hier „gemeinsame Server- und Dienstlösungen“ angestrebt, wobei „prioritär Open-Source-Angebote“ heranzuziehen seien. An diesem Ziel muss unbedingt festgehalten werden. Es kann nicht sein, dass als ein Ergebnis der Coronakrise nun proprietäre Programme wie Zoom oder Teams zum De-facto-Standard werden, weil Lehrer und Schüler mit ihnen umzugehen gelernt haben.
Dass es möglich ist, solche Lerninfrastrukturen in eigener Regie aufzubauen, zeigen die Hochschulen in einigen Bundesländern. An der Hochschule Mainz, an der ich unterrichte, können die Professoren mit Seafile auf eine eigene Cloud und mit Mattermost auf ein internes Chatsystem zugreifen. Beide sind Open-Source-Software und laufen auf den Servern der Hochschule, nicht auf Computern in den USA. Vorlesungen können bei Panopto, einer Art Hochschul-YouTube aufgezeichnet werden, als Lernplattform gibt es OLAT, ein Open-Source-Angebot der Universität Zürich, bei dem man online Lernmaterialien veröffentlichen kann, und für Online-Seminare das freie Konferenzsystem Big Blue Button.
Mit diesen Diensten kann man auch unter den gegenwärtigen Bedingungen online unterrichten. Wenn die deutschen Schulen zügig mit solchen Diensten ausgestattet werden, kann verhindert werden, dass ausgerechnet Microsoft als lachender Dritter aus der Coronakrise hervorgeht. Viel zu lange hat der Staat die Entwicklung digitaler Technologien in ähnlicher Weise dem Markt überlassen wie das Gesundheitssystem. Aber plötzlich scheint die Teilnahme an Telekonferenzen zum Teil der Daseinsfürsorge geworden zu sein – vor einigen Wochen wäre das noch ein absurder Gedanke gewesen. Diese Erkenntnis muss zu verstärkten Anstrengungen beim Aufbau einer eigenen digitalen Lerninfrastruktur führen, die jene „digitale Souveränität“ sicherstellt, die Innenminister Seehofer versprochen hat.
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