Buch über Kunstfälschungen: Grotesker Aufwand

In seinem Buch „Kunstfälschung“ beschreibt Hubertus Butin das komplexe Zusammenspiel, das den Betrugsversuch erst attraktiv macht.

Ein Mann mit Hut blickt über die Schulter und malt einen Mann mit Hut.

Wolfgang Beltracchi 2017 mit seinem Gemälde „Gruppenbild der blauen Reiter“ Foto: Peter Kneffel/dpa

300 gefälschte Bilder und Zeichnungen, ein Betrugsgewinn von rund 50 Millionen Euro und eine Haftstrafe von sechs Jahren. Ein Spur Titanweiß brachte vor genau zehn Jahren den Maler Wolfgang Beltracchi zu Fall. Jahrelang hatte der Künstler Werke der Klassischen Moderne wie solche von Max Ernst gefälscht und zu Fantasiesummen verkauft. Bis ihm Forscher auf die Schliche kamen. Seine Enttarnung galt als der größte Kunstfälscher-Skandal aller Zeiten.

Der Fall Beltracchi ist nicht der einzige haarsträubende Fall, der in Hubertus Butins Buch über Kunstfälschungen vorkommt. Aber der Berliner Kunsthistoriker will mit seinem Buch über ein schillerndes Phänomen nicht noch ein „Best-of“ besonders aufsehenerregender Fälle vorlegen.

Hubertus Butin: „Kunstfälschung. Das betrügliche Objekt der Begierde“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, 474 Seiten, 28 Euro

Butin, Jahrgang 1964, viele Jahre enger Mitarbeiter der Malerlegende Gerhard Richter, will vielmehr die „systemischen Bedingungen“ eines Verbrechens freilegen, das bevorzugt Stoff für die Yellow Press bietet. Fälschungen sind für ihn zwar individuelle Akte. Vor allem sieht er sie aber als Ausdruck „gesellschaftlicher Strukturen und Interessen“. Dass zu diesen Strukturen Gewinnsucht und Geltungsbedürfnis zählen, verwundert nicht. Selbst ein Pionier der Moderne wie Fernand Léger kopierte, weil er zu Beginn seiner Karriere am Hungertuch nagte, für eine Pariser Fälscherwerkstatt 30 Gemälde seines Landsmannes Camille Corot.

Kunst als Statussymbol

Die wichtigste Strukturbedingung für die immense Zunahme von Fälschungen sind für Butin freilich der gestiegene gesellschaftliche Stellenwert der Kunst sowie die „Ökonomisierung des Sammlerverhaltens“ in einem globalisierten Kunstmarkt. Weil Kunst, so Butins plausible These, zum prioritären Statussymbol, einer Art Ersatzwährung und zur globalen strategischen Geldanlage wird, lohnt sich der mitunter groteske Aufwand, den Fälscher betreiben.

Umso fahrlässiger ist es, dass bei vielen Käufen auch heute noch die drei, für Butin zentralen Grundregeln außer Acht gelassen werden: Provenienzrecherche, Laboranalysen und die skrupulöse Stilkritik. Im Falle von ­Beltracchis Max-Ernst-Fälschungen verließen sich die Beteiligten auf das Kopfnicken einer unhinterfragten Autorität, des Pariser Kunsthistorikers Werner Spies.

Es wäre schön gewesen, Butin hätte sich etwas mehr auf die postmoderne Debatte um Original und Fälschung eingelassen. Wie fließend die Grenzen zwischen Kopieren, Reproduzieren und Restaurieren sind, schildert er ja ausführlich. Aber er hat natürlich recht: Kopisten, die in „betrügerischer Absicht“ Werke fälschen, die „vom Künstler selbst geschaffen“ wurden, begehen das, was Juristen „Identfälschungen“, „Täuschungshandlungen“ und „Urkundenfälschung“ nennen.

Das unterscheidet eine Künstlerin wie Sherrie Levine von einem Wolfgang Beltracchi. Bei den Adaptionen, die die US-Künstlerin einst von Werken des amerikanischen Fotografen Walker Evans schuf, um den Originalkult zu kritisieren, war ihr „Betrug“ immer zu erkennen. Beltracchi dagegen klebte erfundene Aufkleber der Pariser Galerie Flechtheim auf seine Keilrahmen, um Auktionshäuser hinters Licht zu führen.

Notwendige Warnung

Butin schreibt in seinem materialreichen, flüssig lesbaren Werk keine Kriminalgeschichte der Kunstfälschung. So wie er das komplexe Zusammenspiel von Sammlern, Medien, Händlern, Museen und Spekulanten analysiert, liefert er im Grunde eine Art Querschnittsanalyse des Kunstsystems. Auch wenn er diesen Aspekt nicht erwähnt: Angesichts der verschärften Urheberrechtsdebatte kommt seine Warnung, dass mit Werken à la Beltracchi nicht nur das „Œuvre eines Künstlers verzerrt“, sondern auch die Kunstgeschichtsschreibung „verfälscht“ wird, zur rechten Zeit.

Seiner Forderung, gefälschte Werke lebender Künstler „aus dem Verkehr“ zu ziehen, kann man sich ebenso anschließen wie der, eine öffentlich zugängliche Datenbank von Fälschungen zu schaffen. Die „Datenbank kritischer Werke“ des Bundesverbands deutscher Kunstversteigerer ist nur für dessen Mitglieder einsehbar. Wenigstens in dieser Ahnengalerie dürfte Wolfgang Beltracchi dann den Platz für die Nachwelt finden, der ihm wirklich gebührt.

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