das portrait: Thae Yong Ho– der erste Nordkorea-Flüchtling mit Sitz in Seouls Parlament
Bis vor vier Jahren diente Thae Yong Ho noch einem Regime, das Wahlen lediglich pro forma abhält. Am Mittwoch errang der gebürtige Nordkoreaner schließlich selbst einen historischen Wahlsieg: Als erster Nordkoreaner gewann der 57-jährige Überläufer einen Sitz in der südkoreanischen Nationalversammlung. Im Nobelbezirk Gangnam in Seoul stimmten über 58 Prozent für den einstigen Diplomaten.
Kurz vor seinem Wahlsieg kündigte Thae an, dass seine Kandidatur auch eine Botschaft an die Eliten des Kim-Regimes in Pjöngjang sei: „Ich möchte ihnen zeigen, dass sie einen neuen Weg für die Zukunft haben.“ Es sei nicht ideologische Loyalität, die die nordkoreanischen Parteikader an das System bindet, sondern die schlichte Angst davor, nach dem Regime-Zusammenbruch entweder vor einem Strafgericht zu landen oder sich in einem wiedervereinigten Korea als Tagelöhner über Wasser halten zu müssen. Thae Yong Ho ist das beste Beispiel, dass es auch anders geht.
2016 war er in einer spektakulären Nacht-und-Nebel-Aktion mit seiner Familie übergelaufen. Als stellvertretender Botschafter diente er dem Kim-Regime zuvor in London, aufgrund seines exzellenten Englisch und seiner rhetorischen Brillanz galt er als die perfekte Propagandawaffe für das Regime.
In Südkorea nahm ihn eine Denkfabrik, die dem Geheimdienst unterstand, unter die Fittiche. Von nun an setzte der Nordkoreaner seine Intelligenz dazu ein, das Regime seines Heimatlandes zu Fall zu bringen. Seitdem jedoch in Seoul mit Moon Jae In ein linksgerichteter Präsident das Sagen hat, der die Annäherung mit Nordkorea sucht, waren Thaes Tage gezählt. Der öffentliche Druck wuchs gewaltig: Kritiker warfen ihm vor, mit seinen kritischen Aussagen gegenüber Kim Jong Un den Friedensprozess zu gefährden. Thae Yong Ho trat von seinem Denkfabrik-Posten ab.
Ein Rückblick: Mit Sonnenbrille und zwei Bodyguards betritt Thae Yong Ho am Morgen des 13. Juni 2018 ein Geschäftszimmer des Seouler Plaza Hotel zum Interview. In seinen Antworten schwingt Fassungslosigkeit und Wut mit: Dass US-Präsident Donald Trump am Vortag die Hand von Kim Jong Un beim historischen Gipfeltreffen in Singapur geschüttelt hat, hält er für einen naiven Fehler. Kim Jong Un würde niemals sein Land politisch öffnen.
Mit einer Mischung aus Melancholie und Stolz beschreibt er an jenem Morgen auch seine Fluchtgründe. Er wisse sehr wohl, dass seine zurückgelassene Verwandtschaft wohl leiden müsse wegen ihm, in Haft sitze oder gar gefoltert werde. Doch letztendlich habe er wegen seiner zwei Söhne sein privilegiertes Leben als nordkoreanischer Diplomat aufgegeben.
Über 33.000 geflüchtete Nordkoreaner leben derzeit in Südkorea, wo sie nach ihrer Ankunft automatisch die Staatsbürgerschaft erteilt bekommen. Dennoch fühlen sich viele wie Bürger zweiter Klasse.
Dieses Stigma will Thae Yong Ho bekämpfen. Kurz vor seiner Kandidatur änderte er seinen Vornamen in „Ku Min“, was übersetzt „Leben retten“ bedeutet. Fabian Kretschmar, Peking
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