piwik no script img

„Manche haben uns Wohnungenüberlassen“

An vielen Orten, an denen Geflüchtete übernachtet haben, ist es in der Krise zu eng geworden und die hygienischen Zustände gefährden die Gesundheit. Martina Vega vermittelt private Schlafplätze

Protokoll Katharina Schipkowski

Als die Diskussionen über Ausgangssperren anfingen, als Hotels und Restaurants schlossen, wussten wir Aktivist*innen, die seit Jahren antirassistische Arbeit machen, dass es hart wird für viele Geflüchtete. Wie schlimm es wird, hängt davon ab, was du für einen Asylstatus hast und wo du unterkommst. Wenn du zu viert in einem Container lebst und dir ein Bad mit noch viel mehr Menschen teilst, ist es natürlich hygienisch schwierig. Das Hamburger Ankerzentrum ist eine Vollkatastrophe, mit mehreren Hundert Menschen in einer Halle.

Der Worst Case ist, wenn du illegalisiert bist. In Hamburg leben viele Menschen seit Jahren, die sich ihrer Abschiebung in ein Kriegsgebiet, wie etwa Afghanistan, entzogen haben. Die haben über die Jahre wahnsinnige Fähigkeiten entwickelt, sich unsichtbar zu machen. Viele sind abhängig von illegalen Jobs als Tellerwäscher, Reinigungskraft im Hotel oder Straßenverkäufer. Die haben ohnehin schon von der Hand in den Mund gelebt und nebenbei Geld an ihre Familien geschickt, die auch jetzt weiter nach Geld fragen.

Manche waren schon obdachlos, andere teilen sich zum Beispiel mit drei anderen Geflüchteten ein Zimmer in einer Schrottimmobilie. Jeder zahlt 200 oder 300 Euro Miete, sie haben zu neunt eine Miniküche, eine Minidusche und ein Klo. Das sind natürlich illegale Mietverhältnisse. Die Vermieter haben jetzt Angst, denn es fällt plötzlich auf, wenn viele Leute vor dem Haus sitzen oder ein- und ausgehen. Das schafft viel Unsicherheit. Für offizielle Mietverhältnisse gibt es politische Lösungsansätze, aber die Geflüchteten fallen da raus. Es sorgt sich ja keiner darum, wie man illegale Vermieter bezahlt.

Auch unter den Refugees ist die Angst vor Corona groß. Einige, die in beengten Verhältnissen etwa bei Freunden oder Bekannten untergekommen sind, verlieren ihren Schlafplatz, weil ihre Bekannten jetzt auch lieber Kontakte meiden. Da sind innerhalb kürzester Zeit viele obdachlos geworden.

Anfangs haben wir uns nur zu zweit darum gekümmert, wo die Geflüchteten jetzt unterkommen können. Mittlerweile sind wir zu sechst. Teils langjährige Aktivist*innen, darunter von „Lampedusa in Hamburg“ und der Frauengruppe „NINA-Women in ­Action“, zum Teil auch Menschen, die sich vorher nicht organisiert haben. Manche haben jetzt plötzlich Zeit, weil ihre beruflichen Projekte auf Eis liegen. Wir haben zunächst die großen linken Wohnprojekte und kulturellen Einrichtungen in Hamburg angefragt. Dann haben wir Notrufe über Messenger-Dienste und Social Media verschickt mit der Aufforderung an alle Hamburger*innen, zu überlegen, ob sie freie Räume zur Verfügung haben. Wir haben eine Telefonnummer und eine Mail-Adresse angegeben, dann herumtelefoniert, koordiniert, Schlüssel abgeholt, Menschen zu Wohnungen begleitet.

Einige, die uns angerufen und gesagt haben, sie hätten ein freies Zimmer, haben dann noch mal mit ihren Mitbewohnern oder Nachbarn gesprochen und ihr Angebot danach zurückgezogen. Viele sind einfach gerade verunsichert oder wollen keinen Kontakt zu Fremden. Wir haben ein großes privates Netzwerk an solidarischen Menschen, aber seit die Schulen zu sind, sitzen viele mit ihren Kindern zu Hause und müssen ihr eigenes Leben erst mal auf die Reihe kriegen.

Tolle Erlebnisse sind, wenn WGs komplett ausziehen und uns ihre Wohnung überlassen. Manche sind für die Krise direkt zu ihren Liebsten gefahren, weil sie Angst haben, dass sie sich bald nicht mehr besuchen können, und weil sie ohnehin Homeoffice machen.

Martina Vega heißt eigentlich anders und ist seit über zehn Jahren in antirassistischen Netzwerken aktiv, unter anderem beim Bündnis „Recht auf Stadt – ­Never mind the Papers“.

Andere haben ein leeres Zimmer, weil etwa der Mitbewohner in einer anderen Stadt festhängt. Manche sind aufs Land gefahren zu Verwandten und haben uns ihre Wohnungen überlassen. Zwei Hostels würden gern ihre Zimmer öffnen und sind mit der Stadt in Verhandlung. Aktuell haben wir 60 Menschen untergebracht, manche für drei oder vier Tage, manche für ein, zwei Wochen, andere, bis die Krise vorbei ist.

Bis vor ein paar Tagen haben wir uns zu Arbeitstreffen draußen getroffen, inzwischen greifen wir auf Telefonkonferenzen, Messenger und Pads zurück. Aber wenn man sich physisch trifft, ist alles einfacher.

Was mit den Geflüchteten passiert, wenn die Schulen wieder öffnen und die Leute in ihre Wohnungen zurückkehren? Soweit können wir nicht vorausschauen. Klar ist das alles keine dauerhafte Lösung und es kann auch nicht unsere Aufgabe sein, uns darum zu kümmern. Wir sind an unserer Belastungsgrenze. Der Staat kann nicht sagen „Verschwindet alle von der Straße“ und dann die Leute vergessen, die nichts anderes haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen