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Herdanziehung

Kochen in Zeiten von Corona: Wer früher gerne ausging, versucht sich nun in der eigenen Küche. Wer gerne kocht, muss beim Einkaufen der Zutaten improvisieren

Plötzlich muss man alles selber machen. Haben wir überhaupt alle Zutaten? Damit nichts schiefgeht: ganz genau nach Vorschrift arbeiten! Foto: United Archives/Impress/picture alliance

Von Ulrike Schattenmann

Letztes Wochenende postete ein Nachbar ein Bild einer Portion Paprika-Gulasch und ein Glas Rotwein aus seiner Küche und schrieb dazu „Lecker“ mit drei Ausrufezeichen. Das ist deshalb erwähnenswert, weil besagter Freund, ein Handwerker im Außendienst, etwa 80 Prozent aller Mahlzeiten außer Haus einnimmt. Normalerweise sitzt er abends in der Pizzeria um die Ecke. Aber das geht jetzt nicht mehr.

Die Corona-Pandemie zwingt Menschen nicht nur in die eigenen vier Wände, sondern auch an den Herd. Gerade in einer Stadt wie Berlin mit ihrer ausgeprägten Imbiss- und Restaurantkultur von Falafel bis Fine-Dining fällt die Umstellung nicht leicht. Wir sind es gewöhnt, zu jeder Tages- und Nachtzeit irgendwo etwas zu essen bekommen. Doch Mittagstisch beim Burgerbrater, Espresso beim Kaffeeröster, Abendessen im Sushi-Restaurant, damit ist es erst einmal vorbei – auch wenn einige Gastronomen Lieferdienste anbieten.

Plötzlich müssen wir unser Essen selbst zubereiten, Tag für Tag. Und in viel größeren Mengen, denn auch die Kinder, die unter der Woche täglich mit bis zu drei Mahlzeiten – Frühstück, Mittagessen und Vesper – von der Schulmensa oder dem Kita-Caterer versorgt werden, sind jetzt zu Hause. Hungrig.

Bekommt Kochen in der Zeit der Krise eine neue Bedeutung?

Bekommt Kochen in der Zeit der Krise eine neue Bedeutung? Dafür spricht, dass Lebensmittel plötzlich zum begehrten Gut geworden sind. Nicht nur Supermärkte erleben einen nie gekannten Ansturm, auch regionale Wochenmärkte. Zwar sind die Touristen weg, dafür kaufen mehr Berlinerinnen und Berliner ein. Kürzlich musste auf dem Markt am Karl-August-Platz in Charlottenburg die Polizei den Einlass regeln, weil der Andrang so groß war. Ganz offensichtlich gibt es nicht nur eine erhöhte Nachfrage nach Nudeln, Mehl und Zucker, sondern auch nach frischen Produkten aus der Region.

„Die Frage nach der Produktion von Lebensmitteln, aber auch die Vorratshaltung rückt gerade wieder in den Vordergrund“, sagt der Ernährungssoziologe Daniel Kofahl. Ob all die Hamsterkäufer auch zu Hause lecker Essen kochen, sei allerdings dahingestellt. Denn die leergekauften Regalmeter zeigen vor allem eines, meint Kofahl. „Einen unverhohlenen Hang zu Convenience-Produkten: Dosen, Gläser, Tiefkühlsortiment.“ Laut einer Erhebung des Online-Portals Statista hat sich der Umsatz von Fertiggerichten und Tütensuppen innerhalb einer Woche mehr als verdoppelt. Anderseits schießt der Aktienkurs des Koch-Box-Versenders Hello-Fresh gerade durch die Decke, und auch das Berliner Unternehmen Kochhaus, in dem Kunden Lebensmittel nach verschiedenen Rezepten portioniert fertig einkaufen können, verzeichnet „eine stark gestiegen Nachfrage“, wie ein Mitarbeiter am Telefon sagt.

„Viele Leser wollen jetzt wissen, wie man das Essen für eine Woche vorplant und seine Vorräte entsprechend organisiert“, erzählt die Berliner Kochbuchautorin Julia Radtke, die auf ihrem Foodblog Tiny Spoon einfache und schnelle Alltagsrezepte veröffentlicht. „Die meisten gehen jetzt so wenig wie möglich einkaufen, manche Produkte sind nicht immer gleich erhältlich.“ Radtke empfiehlt sogenannte Vorratsgerichte, also Speisen aus Zutaten, die man ohnehin im Kühlschrank oder Vorratsfach hat und die man nach Bedarf mit frischen Zutaten aufpeppen kann – etwa Linsentaler aus gekochten gelben Linsen, getrockneten Brötchen, Eiern etwas Käse und Schnittlauch. Was sie immer im Haus habe, erzählt die Mutter eines kleinen Sohnes, sind nicht etwa Nudeln, sondern Haferflocken und Nüsse. „Haferflocken sind sehr vielseitig, man kann sie herzhaft und süß verwenden und Mandeln, Walnüsse und Saaten verfeinern Müsli, Süßspeisen, aber auch Salate.“

Für die meisten ist die Zubereitung von Lebensmitteln einfach auch willkommene Ablenkung. „Essen kann beruhigen, Kochen auch“, sagt Radtke. Im Netz zumindest gehen Quarantäne-Rezepte viral. Unter Hashtag wie „homecooking“, „quarantinefood“ oder „coronacooking“ posten Menschen in Echtzeit, was sie gerade in den eigenen vier Wänden zubereiten. In Singapur gibt es Käsebällchen, in Hongkong scharfe Schweinerippe, in Kalifornien veganen Kokosmilchreispudding. Der Netflix-Star und Fernsehkoch Antoni Porowski sendet „Cooking Lessons in Quarantine“ vom heimischen Herd, Sternekoch Nelson Müller lädt zum Corona-Kochen ein.

Holen und bringen

Support your Lokal: Die Küchen einiger Restaurants und Cafés haben auch in der Coronazeit geöffnet. Speisen muss man selbst abholen oder werden nach ­Hause gebracht. Eine Übersicht der Adressen gibt es unter https://die-gemeinschaft.net und www.berlinfoodstories.com. Wer sein Lieblingslokal mit einem Gutschein unterstützen will, kann das auf dem Portal https://helfen-shop.berlin/ tun.

Die ganze Welt steht unter Hausarrest und muss sich irgendwie beschäftigen. Und wenn man sich keine Gäste ein laden kann, sucht man sich eben virtuelle Tischgemeinschaften. Die Kommentare in den sozialen Medien zu lesen, hat etwas ungemein Tröstliches: „Das einzig Gute an dieser Zeit ist hausgemachtes Essen“, schreibt sizzlingfooddiaries. „Ich mache das Beste aus dem Lockdown, nämlich in Honig geröstete Karotten, Pilze-Quiche und Garnelensuppe“, postet Tim aus Cardiff.

„Ich hoffe ihr bleibt alle happy und gesund da draußen“, schreibt die Bloggerin Kyndra Claire, die ein Rezept für Kekse veröffentlicht hat, die aus Resten zubereitet werden. Harte Zeiten erfordern harte Gegenmittel. Schoko-Cookies gehören definitiv dazu.

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