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Integrer Jazzcore

Das Indielabel Noisolution feiert 25-Jähriges. Trotz abgesagtem Jubiläumsfestival geht es weiter

Der gute Geist von Kreuzberg 36: Arne Gesemann macht Noisolution Foto: Denis Laner

Von Jens Uthoff

Es hätte ein rauschendes Fest werden sollen. So, wie es sich für ein Independent-Label gehört, das sein 25-jähriges Bestehen feiert. „Eine gewisse Tragik liegt schon darin, dass die Feier jetzt ausfällt“, sagt Arne Gesemann, der die Plattenfirma Noisolution betreibt, „schließlich hat es fast ein Jahr Vorbereitungszeit beansprucht, so ein Programm hinzustellen.“ Eigentlich hätten am ersten Aprilwochenende unter anderem die US-Bluesrock-Recken Mother Tongue zum Jubiläumskonzert nach Berlin kommen sollen, doch dann tourte erst mal Sars-CoV-2 als Headliner durch Europa. Die Show: gecancelt.

Eine Katastrophe ist das für Gesemann nicht: „Da bin ich zu sehr Realist. Es gibt so viel Wichtigeres und Schlimmeres im Moment. Kultur und Kunst müssen jetzt gerade mal hintenan stehen.“ Es spricht für den 54-Jährigen, dass er angesichts der Coronakrise das große Ganze im Blick behält, denn der Pandemie-Crash trifft natürlich auch sein Label. Für seinen Mitarbeiter – Noisolution ist ein 2-Mann-Betrieb – muss er Kurzarbeitergeld beantragen.

Abgebrochene Tourneen

Umsatzeinbrüche sind sehr wahrscheinlich, denn nun können all seine Bands keine Konzerte spielen. Touren von eben Mother Tongue, Hathors, Coogans Bluff und Hodja wurden bereits abgesagt bzw. abgebrochen. Eine Promoagentur und ein Musikverlag sind dem in Kreuzberg ansässigen Label zudem angeschlossen; auch für diese Geschäftsbereiche ist unklar, welchen Schaden Corona anrichtet. Support bekommt Gesemann aber von Kunden und Fans des Labels: „Allein in den letzten zehn Tagen sind extrem viele Bestellungen eingegangen – das ist schon toll.“

Arne Gesemann, gebürtiger Kasseler, hat Noisolution 1995 gegründet. Zunächst betrieb er das Label unter dem Dach von Vielklang Musikproduktion. Nachdem Vielklang 2004 im Zuge der EFA-Pleite insolvent war, wurde Noisolution eigenständig. Eine dezidierte Ausrichtung gab es nicht: „Ich wollte Sachen veröffentlichen, die ich mag, an die ich glaube, die bei mir irgendetwas auslösen. Das ist im Prinzip bis heute so“, sagt er. Der Schwerpunkt bei den mehr als 200 Veröffentlichungen liegt auf Rockmusik im weitesten Sinne, unter den Subgenres sind vor allem Psychedelic, Stoner-, Progrock, Hardcore und Jazzcore vertreten. „Unser allererstes Release war von einer Hardcore-Band aus Los Angeles namens Bottom 12. Die hatten zwei Bläser, zwei Schlagzeuger und einen Perkussionisten, der auf Ölfässern getrommelt hat. Das war Musik, die schwer zu definieren war“, erzählt er im Telefongespräch. „Solche neuen Akzente im Gitarrenbereich zu setzen, darum geht uns immer noch.“

Das Labelprogramm steht für Kontinuität, Zuverlässigkeit und Realitätssinn

Große Hit-Veröffentlichungen hat Noisolution nie gehabt, es gab kein Album, das richtig durch die Decke gegangen wäre. Stattdessen hat man auf die Bands gesetzt, die in Punk- und Indierock-Kreisen für Integrität und Singularität standen, darunter etwa Lee Hollis’ Band Steakknife oder Schubladenverweigerer wie die US-Band Firewater und die australische Einmannband Foetus. Zugleich hält Gesemann jenen die Treue, die Punk und Underground in Deutschland über Jahrzehnte geprägt haben, wie etwa Jingo de Lunch, von denen er in den Zehnerjahren zwei Alben veröffentlichte, bevor sie sich auflösten. Mehr als das kurze Aufflammen und schnelle Verglühen einer Band interessiert ihn, wie sich deren Musik im Lauf der Zeit entwickelt. „Wenn ich das dritte, vierte und fünfte Album mit einer Band wie Coogans Bluff mache und merke, dass immer mehr Leute beginnen, die Band zu verstehen, dann gibt mir das mehr als irgendein One-Hit-Wonder.“

Coogans Bluff sind ihrerseits mit die treuesten Noisolution-Acts, die Blues-Funk-Kraut-Fusionisten aus Rostock und Berlin haben mit „Metronopolis“ kürzlich ihr fünftes Album beim Label veröffentlicht. Das Profil von Noisolution ergibt sich somit weniger aus Genres, die das Labelprogramm abdeckt, als vielmehr aus Werten, für die Noisolution steht: Kontinuität, Zuverlässigkeit, und auch Realitätssinn – gerade in der Musikbranche rare Qualitäten. Da verzeiht man es eher, wenn mal Veröffentlichungen dazwischen sind, die einen nicht vom Hocker hauen – auch die gibt es.

Im Schnitt, erklärt Gesemann, lasse er heute 500 LPs und 1.000 bis 1.200 CDs pro Veröffentlichung fertigen. Wenn’s gut läuft, wird dann nachgepresst, „und wenn ich zweitausend Alben verkaufe, ist das schon ’ne Sensation“. Durch das weitverbreitete Musikstreaming ist die Nachfrage nach physischen Tonträgern noch mal zurückgegangen. „Die Streaming-Sparte wächst, und sie bringt ungleich weniger Geld rein.“ Von einem Boykott gegenüber dem Marktgiganten Spotify hält Gesemann wenig: „Das ist ein Kampf gegen Windmühlen, denke ich.“ Schwarz malen will er nicht, was die Zukunft des Labels betrifft, ganz im Gegenteil. Gewisse Routinen hätten sich eingespielt, er könne Bands und den Musikmarkt besser einschätzen. So ist dann auch das Einzige, was ihn am silbernen Jubiläum stört, dass es auf ein fortgeschrittenes Alter verweist: „Rock’n’Roll ist doch eigentlich jung und sexy! 25-jähriges Dienstjubiläum zu feiern klingt für mich eher nach Metzgerei Schmidt …“ Nun, aber auch in der Hinsicht wird er Realist genug sein, um zu wissen, dass es wahrlich Schlimmeres gibt.

Alle Infos und Veröffentlichungen unter www.noisolution.de

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