corona in bremen: „Kann für viele lebens-bedrohlich sein“
Bertold Reetz,
66, ist Heilpädagoge und Geschäftsführer der Ambulanten Suchthilfe in Bremen.
Interview Sophie Lahusen
taz: Herr Reetz, wieso ist die Situation für Suchtkranke von illegalen Substanzen momentan besonders schwierig?
Bertold Reetz: Zum einen sind Konsumenten von harten Drogen wegen der Nebenerscheinungen und dem geschwächten Immunsystem automatisch Risikopatienten von Covid-19. Zum anderen sind alle möglichen Einrichtungen, die die Konsumenten sonst aufsuchen, nur sehr vermindert geöffnet, was ein großes Problem darstellt. Selbst Reha-Zentren sind betroffen.
Und Ihre Einrichtung?
Ja, wir haben nur sehr eingeschränkte Öffnungszeiten und beraten fast nur noch telefonisch. Eine Beratung auf Distanz ist bei Suchtkranken aber sehr schwierig. Nicht alle melden sich auch telefonisch, die sonst vorbeigekommen wären.
Wie lösen Sie das?
Wir haben von fast allen Klienten auch die Telefonnummer und gehen selbst auf sie zu und versuchen so, als Beratungsstelle über die Runden zu kommen, indem wir Aufklärung zur aktuellen Lage betreiben und zum anderen versuchen herauszufinden, wie die häusliche Lage ist und wie sich die Klienten besser schützen können. Wir versuchen auch ein Video-System für Gruppentherapien aufzubauen, dass wir die Menschen auch zu Hause weiter therapieren können, wo aber wahrscheinlich nicht alle mitmachen werden. In Notfällen haben wir auch einen Raum bereitgestellt, wo eine oder zwei Personen auf Abstand ein persönliches Gespräch erhalten.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), sagte vor einigen Tagen: „Unbegleiteter Entzug muss verhindert werden.“ Was meint sie damit?
Durch die aktuelle Lage ist das ganze System zusammengebrochen, auch von Drogen. Somit gibt es momentan nicht genug Nachschub und die Drogen auf dem Markt werden teurer. Manche können sich diese nicht mehr leisten und im schlimmsten Fall kommt es dann zu einem kalten Entzug, was für viele lebensbedrohlich sein kann.
Sind das auch die Sorgen, von denen Ihre Klienten berichten?
Ja, und auch davon, dass diese Treffen und Ansammlungen von Klienten an verschiedenen Orten im Moment zum Stillstand gekommen sind, was ein wichtiger sozialer Aspekt ist.
Was würde die Lage verbessern?
Es wäre toll, wenn es Konsumräume gäbe, natürlich in reduzierter Weise. Ein Raum, den vielleicht eine oder zwei Personen gleichzeitig nutzen können, als Ort, wo die Personen einfach hinkommen können. Aber wir sind vor allem froh, wenn das alles bald vorbei ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen