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Das rettende Auch

Das Werk des schwäbischen Dichters Friedrich Hölderlin war Schauplatz des Krieges der Ideologien und Gegenstand tümelnder Vereinnahmungen. Davon erlösen kann es nur der Norden – durch Aneignung zu Hölderlins 250. Geburtstag42, 43

Von Benno Schirrmeister

Fuck den Norden! Nie, nie, nie ist Friedrich Hölderlin, vor 250 Jahren in Nürtingen geboren, dort gewesen: obwohl, wenn es irgendwo frühe Fans gegeben hat, dann hier. Zum Beispiel Bremen: Der dortige Bürgermeister Johann Smidt besaß eins der nur 350 Exemplare der Erstausgabe des Romans „Hyperion oder Der Eremit in Griechenland“. Dem Senator Frie­drich Horn vertraute Hölderlin im November 1802 in Regensburg eigenhändig seine Sophokles-Übersetzungen an, die der im Verlag von Friedrich Wilmans unterbrachte, einem anderen Bremer. Auch Ulrich Böhlendorff, Empfänger der wichtigsten Hölderlin-Briefe, arbeitete seinerzeit als Hauslehrer in der besseren hanseatischen Kreise.

Aber insgesamt war Hölderlin die ganze Himmelsrichtung suspekt: In der symbolischen Geografie seiner Dichtung nennt er sie selten, und wenn, dann als Stätte, von der das Verderben über „die Blüten unsers Geistes“ kommt. Auch politisch: Das Ideal ist Griechenland, die Freiheit, und es liegt zwischen willkürbeherrschtem Süden – Ägyptens Pharaonenreich – und namenlosem Norden, dessen Sohn (es geht immer nur um Männer, bei Hölderlin, außer Diotima, aber die stirbt) „ohne Widerwillen die Gesetzesdespotie, die Ungerechtigkeit in Rechtsform“ erträgt. Steht so im „Hype­rion“.

„Im Norden“, führt der Briefroman weiter aus, der um nichts kreist, oder vielmehr ums Nichts, „glaubt man an das reine freie Leben der Natur zu wenig, um nicht mit Aberglauben am Gesetzlichen zu hängen“. Tja. „Man muß im Norden schon verständig sein, noch eh’ein reif Gefühl in einem ist, man mißt sich Schuld von allem bei, noch ehe die Unbefangenheit ihr schönes Ende erreicht hat [...]. Der blose Verstand, die blose Vernunft sind immer die Könige des Nordens.“

Gelobt wird allenfalls der Nordostwind, und das weicht nur scheinbar vom Schema ab: Er ist „Der liebste unter den Winden / Mir,“ ja nur, „weil er feurigen Geist / Und gute Fahrt verheißet den Schiffern“. Es geht also um Aufbruch nach dem Südwesten, ganz exakt nach Bordeaux, wo er eine Hauslehrer-Anstellung bekommen hatte – bei Consul Daniel Christian Meyer aus Hamburg. Der Stadt, aus der auch seine, große Liebe stammt, Susette, geborene Borkenstein, mit 17 nach Frankfurt zwangsverheiratete Gontard, verewigte Diotima.

Und wenn die Nordabwehr nur eine verwandelte Sehnsucht wäre? Oder, andere Idee: Ein erfolgreicher Versuch, sich dem Einfluss des Göttinger Hainbunds zu entziehen, des literarischen Zirkels, nach dessen Vorbild er noch in Tübingen mit Hegel & Cie den „Aldermannbund“ gründete? Und vor allem der übermächtigen Stimme des Hamburger Friedrich Gottlob Klopstocks zu entkommen, des viel Gefeierten?

Aber was sucht der Norden dann umgekehrt in Hölderlin? Warum sitzen gleich zwei Oldenburger Professor*innen im Vorstand der Hölderlin-Gesellschaft, einer sogar als Präsident? Wieso doktoren mit Andreas Reinecke und Uwe Gonther zwei Bremer und mit Jann E. Schlimme ein hannoverscher Psychiater seit Jahren an der vermeintlichen Schizophrenie des Dichters herum? Ginge es darum, ihn zu retten? Vor bräsiger Tümelei, vor Tourismusmarketing, vor den braunen Männern des Schwarzwalds?

Auch Südfrankreich, das für Hölderlin Griechenland war, war eine Rettung, vorübergehend: Es wird ein kurzer Aufenthalt an der Gironde, ein paar Monate nur, aber wenn Gedichte mit dem Leben zu tun haben, muss er glücklich gewesen sein: „Geh aber nun und grüße / Die schöne Garonne, / Und die Gärten von Bourdeaux / Dort, wo am scharfen Ufer / Hingehet der Steg und in den Strom / Tief fällt der Bach, darüber aber/ Hinschauet ein edel Paar / Von Eichen und Silberpappeln; // Noch denket das mir wohl und wie / Die breiten Gipfel neiget / Der Ulmwald, über die Mühl, / Im Hofe aber wächset ein Feigenbaum.“

„Ich, mein Herr, bin nicht mehr von demselben Namen. Ich heiße nun Killalusimeno“

Friedrich Hölderlin

So dichtet Hölderlin 1803 in der Hymne „Andenken“, die noch doppelt so lang weitergeht, ein Vers schöner als der andere, Klänge, Bilder, Düfte, Wein – während sich Philologen immer nur über die letzte Zeile beugen, den berühmten „Was bleibet aber, stiften die Dichter“-Vers.

Als Hölderlin das schreibt, gilt er schon als wahnsinnig. Es wird behauptet, das wäre sein letztes vollendetes Gedicht gewesen, und das muss stimmen, weil der Verfasser seines in biedermeierlich-gelassenen Reimen strömenden Alterswerks es mit italienisch klingenden Pseudonymen signierte und die Anrede als Hölderlin zurückwies: „Ich, mein Herr“, informierte er angeblich seinen Dichterfreund Wilhelm Waiblinger, der ihn Anfang der 1820er während seines Social Distancing in einem Turm in Tübingen besuchte, „bin nicht mehr von demselben Namen. Ich heiße nun Killalusimeno.“ Bedeuten könnte der Name „Schön- oder Reingewaschener“, wie Dietrich Eberhard Sattler vorschlägt, eine gräkisierende Lesart, in der Frankfurter Ausgabe. Die aus Bremen stammt.

Denn Sattlers historisch-kritische Hölderlin-Ausgabe war 1978 das erste Forschungsprojekt, das an der Bremer Reform-Uni angesiedelt wurde. Das war kein Zufall. Der Kampf der Ideologien war in der frühen Bundesrepublik über und mit Hölderlin ausgetragen worden. Theodor W. Adorno versuchte das Werk aus dem zu lösen, was er bei Martin Heidegger als „nationalistische Rabulistik“ bestimmt: eine machtvolle Lesart in Raune-Deutsch, oft genug gestützt auf die als kriegswichtig eingestufte und staatlich geförderte Stuttgarter Werkausgabe, begonnen 1941, vollendet 1974.

Das Ziel Sattlers war, Vereinnahmungen zu beenden, durch konsequenten Faksimile-Gebrauch, sodass jede editorische Entscheidung überprüfbar blieb. Eine Großtat, wenn auch ...: Ein bisschen Wahnsinn gehört halt dazu. Fertig geworden ist sie 2011. Da hatte Sattler die Forschungsstelle längst nach Treia verlegt. Nach Schleswig-Holstein. In den wahren Norden.

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