Vorsätzlich herumlungern verboten

Die Berliner Polizei setzt die im Rahmen der Corona-Eindämmung erlassenen Ausgehverbote streng um – nicht selten zu streng, wie Betroffene kritisieren. Kritik kommt auch von der Linkspartei. Einen Bußgeldkatalog gibt es noch nicht

Ist das Sport oder muss das weg? Schach im Freien am vergangenen Wochenende Foto: Karsten Thielker

Von Gareth Joswig

Alleine auf einer Parkbank zu sitzen und ein Buch zu lesen ist in Berlin vorerst verboten. Ebenso darf man sich derzeit nicht sonnen, eine Decke auf einer Wiese ausbreiten oder mit einer Freund:in ein Bier auf einer Parkbank trinken. Erlaubt sind hingegen Sport und Bewegung im Freien – mit 1,50 Meter Mindestabstand. Zur Erholung dürfe man sich dann auch kurz auf eine Bank setzen. Das bekräftigt der rot-rot-grüne Senat auf Nachfrage der taz, um seine Verordnung infolge der Coronapandemie auszuführen.

Auch Polizeipräsidentin Barbara Slowik betonte die Freiheitseinschränkungen am Donnerstag bei einem Pressegespräch: „Alles, was zum längeren Verweilen führt und dient, ist nicht zulässig und wird von den Einsatzkräften aktiv angesprochen und als Ordnungswidrigkeit geahndet“, sagte sie. Drei Hundertschaften seien fortwährend im Einsatz, um die Eindämmungsverordnung durchzusetzen. Zusätzlich seien Zivilkräfte, Fahrradstreifen und Funkwagen unterwegs. 500 Verstöße habe man bei Überprüfungen im Freien seit Inkrafttreten festgestellt.

Slowik lobte, dass die breite Mehrheit der Berliner:innen sich absolut vernünftig verhalte und die Wohnung nur noch für Ausnahmen wie Einkäufe oder den Arbeitsweg verlasse: „Die gesellschaftliche Selbstkontrolle ist groß.“ Im Zuge dessen bat sie darum, keine Hinweise zur Einhaltung des Infektionsschutzgesetzes über den Notruf mitzuteilen. Zeitweise sei die Notrufzentrale überfordert gewesen.

Auch weil das Berliner Ausgangsverbot vom Sonntagabend viele Auslegungs- und Spielräume gelassen hatte, haben in den vergangenen Tagen zahlreiche Bürger:innen Fragen an die Behörden und Polizei gerichtet. Und seit Inkrafttreten der Verordnung mehren sich Berichte über autoritäres Verhalten der Polizei in diesem Ausnahmezustand. Was ist etwa, wenn man beim Joggen kurz Pause macht, sich dabei auf eine Bank setzt und auf dem Handy liest? Was passiert mit Obdachlosen, die im Park eine Decke ausbreiten, um darauf zu übernachten? „Die Grenze im konkreten Fall treffen die Einsatzkräfte vor Ort“, sagt Slowik. Da sei das Fingerspitzengefühl der Kollegen gefragt.

Polizisten und Fingerspitzengefühl sind nicht immer eine gute Kombination, wie zahlreiche Erfahrungen der vergangenen Tage zeigen. So schilderte etwa Ann-Kristin Tlusty der taz, dass ein breitbeinig auftretender Trupp von Polizisten Leute auf der Admiralbrücke zu gehen aufgefordert hätte, weil derzeit nur kurze Spaziergänge erlaubt seien. „Ein Polizist veranschlagte zehn Minuten“, so Tlusty. Zuvor sei es „eine sehr friedliche Situation“ gewesen. „Die Personen dort hielten genug Abstand. Es war auch eine Person of Colour vor Ort, einige konnten kein Deutsch“, sagt Tlusty. Die Polizei sei nicht sehr freundlich aufgetreten, sondern eher rabiat.

Vorwurf: Racial Profiling

Aus dem Görlitzer Park berichtet eine Person per Mail, dass dort am Montag nur Schwarze kontrolliert worden seien – obwohl sie alleine und mit Mindestabstand auf den Stufen vor dem geschlossenen Biergarten gesessen hätten. Auch tags darauf seien Menschen mit zugeschriebenem Migrationshintergrund vermehrt kontrolliert worden, Weiße hingegen nicht. Aus anderen Städten gibt es ähnliche Berichte, die mittlerweile unter dem Hashtag #CoronaPolizei gesammelt werden.

Zarte Kritik gibt es unterdessen auch aus den eigenen Reihen. Stefan Zillich, parlamentarischer Geschäftsführer der Linken, sagte zum Charakter der Verordnung: „Prinzipiell sind wir skeptisch, ob die Grundlage einer allgemeinen Ausgehbeschränkung nötig war. Das hätte man auch über eine allgemeine Kontaktbeschränkung lösen können.“ Er sei aber mit Blick auf Bayern oder NRW froh, „dass der Senat nicht in den Wettbewerb um die schärfste Lösung eingesteigen ist“.

Berlins Polizeipräsidentin sagte zu Berichten von überzogenen Auftreten und Vorwürfen von Racial Profiling: „Ich erwarte, dass Polizisten empathisch und erklärend auf die Leute zugehen – umso mehr, wenn Menschen die Rechtslage und die Sprache nicht beherrschen.“ Generell seien alle angehalten, „konfliktmindernd und aufklärend“ aufzutreten. „Dass es Ausnahmen gibt, will ich nicht ausschließen, Beschwerden sind mir aber noch keine bekannt“, so Slowik. Ordnungswidrigkeiten würde nur bei bewussten Verstößen angezeigt. Einen Bußgeldkatalog gebe es in Berlin auch noch nicht. Es gehe in erster Linie darum, die Gesundheit der Bürger zu erhalten.

Fraglich bleibt insbesondere mit Blick auf gesellschaftlich ausgegrenzte Personen, was die strenge Reglementierung des öffentlichen Raumes bedeutet. So fallen Obdachlose bislang durch das Raster. Der Senat arbeite an der Etablierung von Aufnahmeprogrammen, heißt es beim Pressegespräch. Aber eine richtige Lösung dafür, dass einige Menschen eben nicht nach Hause können, weil sie kein Zuhause haben, gibt es nicht. Immerhin heißt es auf die Nachfrage, was mit einem Obdachlosen passiere, der eine Decke im Park ausbreite: „Unsere Einsatzkräfte werden keinen Obdachlosen aus dem Park vertreiben“, wie Jörg Dessin, Leiter des Pandemie-Krisenstabs der Polizei, sagte. Slowik ergänzte: „Wenn sich Obdachlose in Gruppen aufhalten, werden unsere Einsatzkräfte allerdings dazwischengehen.“