Bücher über die Raubgut-Debatte: Nur ja nichts falsch machen

Ein Patentrezept für den Umgang mit ethnologischen Sammlungen in Deutschland gibt es nicht. Aber interessante Ansätze.

ein Junge schaut sich eine Vitrine in einer ethnologischen Sammlung an

Ein Bild aus alten Zeiten: Südseeabteilung Ethnologisches Museum Dahlem, 2011 Foto: imago

Ist zum Thema Großflughafen genug gespottet, fast alles gesagt worden, so hält das Humboldt Forum im Berliner Schloss die Kulturpolitik, Feuilletons, Museumsleute, politischen Aktivist:innen bei Verstand und Laune; es finden Kongresse statt, erscheinen Artikel, Blogs, Bücher rund um den Themenkomplex Kunst, Raubgut und Kolonialismus. Eine hochpolitische Debatte, die, so ist zu hoffen, mit Eröffnung des Humboldt Forums nicht leerläuft, sondern auf eine neue, fruchtbare Ebene gelangt.

Dort wird es zur Sache gehen: Welche der etwa 500.000 Objekte aus der Sammlung des Ethnologischen Museums werden gezeigt? Was weiß man über sie, was erzählt man über sie, und, vor allem, wie erzählt man das? Und was passiert mit dem weit größeren Rest der Bestände? Bleibt er in den Depots, vergilbt, verstaubt, vergiftet, oder wird es eine intensive Provenienzforschung geben? Werden Restitutionen ermöglicht, und, wenn ja, wie und an wen? Zwei aus dem vergangenen Jahr stammende Veröffentlichungen zu dem Thema ergänzen sich, gerade weil ihre Autoren einen verschiedenen Ansatz gewählt haben.

Beide Autoren, der deutsche Journalist Moritz Holfelder und der US-Historiker H. Glenn Penny, sprechen sich, mit unterschiedlicher Gewichtung, für Restitution aus. Ein Patentrezept haben sie nicht, kann es nicht geben. In Deutschland herrscht in der Raubgut-Debatte ein eher zielloser „Aktionismus“, stellt Holfelder fest. Er ist für die unbedingte Rückgabe der Objekte – wo sie gefordert wird und wo sie möglich ist. Restitution durch Zirkulation zu ersetzen, von Museum zu Museum, von Land zu Land, ist seiner Meinung nach zu einfach. Eine solche Kooperation im Sinne eines ideellen Austauschs favorisiert hingegen Glenn Penny: das Museum als multinationale Forschungsstätte.

Von der französischen Zensur verboten

Beide Autoren führen in die Vergangenheit zurück: Penny ins 19. Jahrhundert, als Deutschlands ethnologische Sammlungen und Museen entstanden, Holfelder in die Nachkriegszeit, wo es bereits ernsthafte Bestrebungen gab, Objekte aus kolonialen Beständen an ihre Herkunftsländer oder -gemeinschaften zu überführen. Wer erinnert sich noch, dass sich die Vereinten Nationen in den 1970er Jahren bereits damit beschäftigten und FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher sich schon 1982 für eine Rückgabepraxis starkmachte?

Moritz Holfelder: „Unser Raubgut. Eine Streitschrift zur kolonialen Debatte“. Ch. Links Verlag, Berlin. 224 S., 18 Euro

Es folgten Jahrzehnte des Stillstands. Moritz Holfelder steigt in seinem Buch „Unser Raubgut. Eine Streitschrift zur kolonialen Debatte“ mit dem Film von Alain Resnais und Chris Marker „Les statues meurent aussi“ (Auch Statuen sterben) aus dem Jahr 1953 ein, einer 30-minütigen Bild- und Tonsinfonie, die der Schönheit afrikanischer Skulpturen huldigt und die ketzerische Frage stellte, warum diese im Musée de l'Homme und nicht im Louvre ausgestellt werden. Der Film wurde von der französischen Zensur verboten. Von ihm schlägt Holfelder einen Bogen zu der Rede von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in der Universität von Ouagadougou im November 2017, als er ankündigte, Kunstwerke aus den ehemaligen Kolonien zurückzugeben.

Eine radikale Geste, die in Deutschland eine lebhafte Debatte bewirkte und Frankreich einen Report bescherte, der – so meinen Kritiker:innen – weitgehend folgenlos blieb. Von dieser Rede bis zur Erklärung der deutschen Kultusminister im Frühjahr 2019 werden die wichtigsten Stationen der Debatte bei Holfelder verhandelt, veranschaulicht anhand einzelner Sammlungen, engagierter Museen und Persönlichkeiten. Er bezieht dabei Film, Kunst und Wissenschaft ein.

Die Angst der Kurator:innen

Holfelder ist journalistisch an das Thema herangegangen, er hat wichtige ethnologische Museen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz besucht, mit den Verantwortlichen gesprochen. Er stellt deren Sicht dar, deren Visionen und Ambivalenzen. Wie etwa die die Münchner Museumschefin Uta Werlich, die über ihre Zunft spricht und sagt: „Aus irgendeinem Grund habe ich unglaubliche Ängste davor, wenn ich etwas zurückgebe.“ „Falle ich im Ranking der Museen auf einmal weit zurück und bin bedeutungslos?“ Rückgabe ist nicht gleich Rückgabe, sagt Holfelder später, sondern auch ein juristisch komplizierter Prozess, der großen Reformbedarf hat. Denn jeder Fall ist anders.

Ein Kapitel ist dem Humboldt Forum im Berliner Schloss gewidmet, das eng mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) verbandelt und schon vor seiner Eröffnung ein juristisch undurchsichtiges Konstrukt sei. Holfelder entwirrt das institutionelle Geflecht und setzt Humboldt Forum, Preußen-Nostalgie und den abwertenden Umgang mit dem kulturellen Erbe der DDR zueinander in Bezug. Eine Leerstelle hinter historisierender Fassade, aber auch ein möglicher Ort der Zukunft, des Dialogs.

Sonderweg: deutsche Ethnologie

Auch H. Glenn Penny ist kein Fan des Humboldt Forums. Der US-Historiker hat in den 1990er Jahren über die Geschichte des Berliner Völkerkundemuseums promoviert und nun sein Wissen mit der aktuellen Diskussion über das Humboldt Forum zusammengeführt. Dabei erfahren die Leser:innen erstaunlich viel und Vergnügliches über die Geschichte der Berliner Sammlungen und der deutschen Ethnologie, der Penny einen Sonderweg zuschreibt.

H. Glenn Penny: „Im Schatten Humboldts. Die tragische Geschichte der deutschen Ethnologie“. C.H. Beck Verlag, München. 287 S., 26,95 Euro

Auch er entrümpelt, indem er die Mitte des 19. Jahrhunderts entstehende Wissenschaft von der Gleichsetzung mit der deutschen Kolonialzeit befreit. Das wissenschaftliche ethnografische Sammeln habe deutlich vorher eingesetzt.

Wo Holfelder das Gespräch mit den Akteuren von heute sucht, widmet sich Penny den Forschern und Museumsdirektoren von damals – anhand ihrer Reiseberichte, Schriften, Sammelaktivitäten. Vor allem Adolf Bastian kommt als global vernetzter und leidenschaftlicher Forscher, Sammler und Gründungsdirektor von Berlins erstem Völkerkundemuseum fast etwas heldenhaft weg.

Penny zeichnet Bastians Weg „im Schatten Humboldts“, so der Titel des Buchs, als Tragikomödie nach – auch wenn er ihn selbst als „tragische Geschichte der deutschen Ethnologie“ versteht, wie der Untertitel nahelegt. Leidenschaftlich schrieb Bastian gegen die Unterteilung in Natur- und Kulturvölker an. Sein Bestreben galt einem Archiv der Menschheitsgeschichte, davon ausgehend, dass alle Menschen gleich, aber kulturell unterschiedlich geprägt sind.

Sammelwut und Sammelwahn

Er hoffte, so viel wie möglich an materiellen Zeugnissen zu retten, die durch den Kolonisierungsschub noch nicht zerstört waren. Dass sich Bastian und sein Nachfolger Felix von Luschan dabei ohne Bedenken der Strukturen der deutschen Kolonialverwaltung bedienten, übergeht der Autor nicht. Allerdings entgeht ihm, dass dieser Praxis des „Hypersammelns“ eine Vermessenheit oder Größenwahn innewohnte. Es ist die wissenschaftliche Neugierde, der kollektive Prozess des Forschens, den der Autor als Ansatz für heute gern fruchtbar machen würde.

Öffnet die Magazine, investiert Geld in ihre Entwesung und digitale Erfassung

Bastians ursprüngliche Vision eines Archivs der Gesamtmenschheit, in dem geforscht, verglichen werden, Wissensaustausch stattfinden sollte, verkehrte sich übrigens in ihr Gegenteil: Um die rasant wachsende Sammlung zeigen zu können, trieb er den Bau des Völkerkundemuseums in Berlin voran, das 1886 eröffnet, sehr bald viel zu klein und als Rumpelbude verspottet wurde. Letztlich führte seine Sammelwut zu einer Aufspaltung der Sammlung: im Museum die auf Exotika setzende Schau, in den Magazinen der große Rest, bis heute teilweise ungesichtet und nicht benutzbar.

Internationale Regelungen sind fällig

Öffnet die Magazine, investiert Geld in ihre Entwesung und digitale Erfassung, macht die Museen und allen voran das Humboldt Forum zu Orten des Forschens und des Dialogs, dies fordern sowohl H. Glenn Penny wie Moritz Holfelder. Löst euch von der Idee von Dauerausstellungen, macht eure Schätze in Schaudepots zugänglich; schafft Stellen, Stiftungen, fördert die Provenienzforschung, übernehmt Verantwortung. Allerdings ist Glenn Penny in seiner Rolle als Historiker auf das (Berliner) Museumsmodell fokussiert.

Wesentlicher als Rückgabe ist ihm der Wissensaustausch. Wie der auf Augenhöhe stattfinden soll, führt er allerdings nicht abschließend aus. Er wünscht sich in Berlin-Dahlem, wo sich die Depots der Ethnologischen Sammlung befinden werden, einen Wissenschaftscampus mit internationaler Beteiligung. Das hat Charme.

Holfelder hat sich darüber hi­naus andere Museen angeguckt, die teilweise schon weiter sind als das noch vor seiner Eröffnung an Ansprüchen, restaurativer Architektur und inneren Widersprüchen erstickende Humboldt Forum. Er plädiert für eine Umkehrung der Perspektiven, für neue Ausstellungskonzepte und Interventionen zeitgenössischer Künstler:innen aus aller Welt. Er zieht dabei in Betracht, dass in Zeiten der Globalisierung ihre Positionen längst Teil des globalen Migrationsprozesses und Kunstmarktes sind.

Holfelders „Streitschrift“ streitet für etwas: die Aufarbeitung des Kolonialismus. Seiner Ansicht nach braucht es dafür internationale Regelungen nach Art der Washingtoner Erklärung von 1998 für NS-Raubgut. Und er fragt: Wie geht Restitution weiter, was passiert danach? Es geht gerade erst los.

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