Historikerin über sekundäres NS-Raubgut: „Erzwungener Verkauf“

Anneke de Rudder forscht nach sekundärem NS-Raubgut in der Hamburger Staatsbibliothek. Ihre Funde sind in einer Ausstellung zu sehen.

Außenansicht der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg

Arbeitet ihre Rolle im Nationalsozialismus auf: Die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Foto: SUB Hamburg

taz: Frau de Rudder, Sie arbeiten die Geschichte der Staatsbibliothek auf. Wie belastend sind die Ergebnisse?

Anneke de Rudder: Es ist nichts, was wir nicht vorher schon gewusst oder geahnt hatten. Die Bibliothek hat schon sehr lange nach direktem NS-Raubgut gesucht und auch gefunden. Im aktuellen Projekt geht es aber um sekundäres NS-Raubgut. Das sind Sammlungen, die von Menschen aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten verkauft wurden beziehungsweise werden mussten.

Wer waren die Verkäufer:innen?

In den meisten Fällen waren es Menschen, die als Jüdinnen und Juden verfolgt wurden. Durch die Einschränkung der Berufsausübung sahen sich viele gezwungen, ihre teils großen Sammlungen zu verkaufen, um den weiteren Lebensunterhalt zu bestreiten oder eine Emi­gration zu finanzieren. Meist lag der Preis aber deutlich unter Wert.

Und wie kamen die Sammlungen in den Besitz der Bibliothek?

„‚Sehr erfreuliche Vermehrungen‘ – Zur Suche nach NS-Raubgut in den Sondersammlungen der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg“, Eröffnung: Di, 19. 7., 18 Uhr, SUB, Von-Melle-Park 3, Hamburg. Bis 22. September

Diese Menschen haben ihre Sammlungen häufig an Auktionshäuser oder große Antiquariate verkauft. Und die Staatsbibliothek hat sie schließlich dort eingekauft. Das ist ja erst mal ein gewöhnlicher Prozess – auch wenn es in diesem Fall natürlich eine spezielle Ausgangssituation gab und oft nicht genau hingesehen wurde, woher die Werke stammten.

Was zählt zu sekundärem NS-Raubgut?

Es gibt dazu eine Leitfrage: Hätten die Menschen ihre Sammlungen auch verkauft, wenn es den Nationalsozialismus nicht gegeben hätte? In unseren Fällen ist die Antwort klar: Das hätten sie nicht.

Um was für Sammlungen handelt es sich?

Es geht jedenfalls nicht um jüdisches Kulturgut. In den meisten Fällen handelt es sich um Autografien von berühmten Schrift­stel­le­r:in­nen, Briefe oder um Büchersammlungen. Große Teile der Schriften sind auch sehr wertvoll und einzigartig.

Wie viele Werke haben Sie bisher untersucht?

55, ist Historikerin und Provenienzforscherin.

Mehrere Tausend. Bei mehreren Hundert habe ich einen Verdacht, dass es sich um sekundäres NS-Raubgut handeln könnte. Denen gehe ich genauer nach. In der Ausstellung werden rund Hundert Stücke zu sehen sein. Es ist also eine Art Werkausstellung aus einem laufenden Projekt.

Wie viele Sammlungen konnten Sie zurückgeben?

Bisher konnten wir Teile von zwei Sammlungen zurückgeben. Die Suche nach den rechtmäßigen Erben ist detektivisch und dauert sehr lange. Es muss alles genau geprüft werden, bevor es zu einer Restitution kommt.

Seit wann läuft das Projekt?

Die Provenienzforschung zu sekundärem Raubgut startete 2006. Ich selbst arbeite seit 2018 am Projekt, das noch bis 2024 dauert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.