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Ich ist eine andere

Francesca Woodman gilt als eine der wichtigsten Protagonistinnen der Feministischen Avantgarde der 1970er Jahre. Ihre Fotografien waren keine klassischen Selbstporträts

Alles andere als ein Selfie: Francesca Woodman, Untitled, New York 1979 Foto: C/O Berlin

Von Achim Drucks

In Zeiten von Selfie-Sticks und Instagram ist es nichts Ungewöhnliches, wenn sich ein Teenager vor der eigenen Kamera in Szene setzt. Doch 1972 war das noch völlig anders.

Francesca Woodman ist 13 Jahre alt, als sie anfängt zu fotografieren und die Kamera auf sich selbst zu richten. Bereits eine ihrer frühesten Aufnahmen dokumentiert, dass hier ein Ausnahmetalent am Werk ist. Das Bild zeigt Woodman auf einer Bank. Sie dreht den Kopf weg, verweigert uns den Blick in ihr Gesicht. Demonstrativ hält sie das Kabel des Selbstauslösers in der Hand und signalisiert selbstbewusst: Dies ist kein zufälliger Schnappschuss, sondern eine durchdachte Komposition – und ich bin die Autorin.

„Self-Portrait at Thirteen“ hat Woodman die kleinformatige Schwarz-Weiß-Aufnahme genannt. Sie zeigt bereits viel von dem, um das es in den späteren Arbeiten geht: die Selbstinszenierung vor der Kamera, das Spiel mit Zeigen und Verbergen, die Beziehung zwischen Körper und Raum. Und sie dokumentiert zugleich die formale Qualität ihrer Arbeiten. Woodmans gesamtes Werk entsteht in gerade einmal neun Jahren. Wegen ihrer Depressionen stürzt sie sich 1981 mit 22 Jahren in New York aus dem Fenster.

Zu Lebzeiten ist die Tochter einer Keramikerin und eines Malers kaum bekannt. Doch ein Jahr nach ihrem Tod entdeckt eine Kuratorin Woodmans Arbeiten und organisiert eine Ausstellung, die 1986 durch verschiedene amerikanische College-Museen tourt. Das war der Beginn einer steilen postumen Karriere: Museen wie das MoMA erwerben ihre Fotografien, das New Yorker Guggenheim widmet ihr eine Retro­spek­tive, der Nachlass wird von Großgalerien wie Marian Goodman vertreten. Neben fünf Monografien erscheint eine schwer überschaubare Menge von Texten zu ihrem Werk.

Heute gilt Woodman als eine der wichtigsten Protagonistinnen der Feministischen Avantgarde der 1970er-Jahre. Dem männlich dominierten Blick auf Frauen und ihren Körper setzen sie eigene Formen der Repräsentation entgegen, deren Radikalität junge Künstlerinnen noch heute inspiriert.

Dass Woodman ihren Star-Status völlig zu Recht besitzt, machte auch die aktuelle, nun geschlossene Ausstellung bei C/O Berlin klar. Ihre erste große Werkschau in Deutschland umfasste rund 100 Fotografien und sechs Videoarbeiten. „On Being an Angel“ war sie betitelt, doch viele ihrer Figuren lassen eher an Geister denken. Woodman arbeitet gerne mit Langzeitbelichtung. Daraus resultiert ein scharfer Hintergrund, doch die Konturen der sich vor der Kamera bewegenden Figuren verwischen, wirken wie Erscheinungen aus dem Jenseits.

Sie knüpft damit an die spiritistische Fotografie des frühen 20. Jahrhunderts an, die die „Lichtschwingungen der Seele“ einzufangen suchte. Für eine ihrer frühen Aufnahmen kriecht Woodman auf einem Friedhof nackt durch eine Öffnung in einem alten Grabstein. Auf dem Bild löst sich ihr Körper auf, erscheint als grauer Nebel. Ein Motiv wie geschaffen für das Albumcover einer Gothic-Band.

Doch Pop-Kultur hat Woodman nicht interessiert. Die surreale Ästhetik ihrer Fotografie ist meilenweit entfernt von der damals angesagten Coolness von Punk und New Wave.

Woodmans gesamtes Werk entsteht in nur neun Jahren. Wegen ihrer Depressionen stürzt sie sich mit 22 Jahren aus dem Fenster

Und während sich Cindy Sherman für ihre 1977–80 entstandene Fotoserie „Untitled Film Stills“ als Verführerin, Sekretärin oder Hausfrau inszenierte und dabei stereotype Frauenbilder aus Hollywood-Filmen, Fernsehen oder Werbung appropriierte, finden sich bei Woodman keinerlei Bezüge zur Bilderflut der Massenmedien.

Stattdessen erschafft sie eine hermetische Welt voller Verfall und Vergänglichkeit: In altmodischen Kleidern posiert sie in abgerockten Räumen. Putz liegt auf ausgetretenen Holzdielen, von bröckelnden Wänden schälen sich zerfetzte Bahnen einer Blümchentapete, hinter denen die Künstlerin ihren nackten Körper versteckt. Manchmal scheint es so, als würde sie mit den Wänden verschmelzen, in ihnen verschwinden. Viele dieser Aufnahmen entstehen in leerstehenden Altbauten und Fabriken in Providence, wo sie an der renommierten Rhode Island School of Design Fotografie studiert.

Zu ihren Lehrern gehört Aaron Siskind, ein Fotograf, der sich vor allem für die Struktur von Oberflächen interessiert. Eine Liebe, die Woodman teilt und die ihren Aufnahmen eine sinnliche, haptische Qualität verleihen, die in einem wohltuenden Gegensatz zur kühlen Glätte heutiger Digitalfotografie steht.

Obwohl Woodman auf den meisten ihrer Arbeiten selbst zu sehen ist, handelt es sich hier nicht um klassische Selbstporträts. Die anhand von Skizzen akribisch vorbereiteten Aufnahmen sind zwar überaus persönlich und intim, doch die fragmentierten, sich verflüchtigenden Körper und die hinter Masken verborgenen Gesichter zeugen eher von der Unmöglichkeit, so etwas wie Persönlichkeit mit der Kamera festzuhalten. Francesca Woodman ist Subjekt und Objekt ihrer Bilder – und zugleich eine geisterhafte Erscheinung, die sich immer wieder jeder Festlegung entzieht.

C/O Berlin ist bis auf Weiteres geschlossen, es liegen im Buchhandel verschiedene Fotobücher zu Woodmans Werk vor

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