Sportschütze über Waffengesetze: „Wir brauchen bessere Regeln“

Sportschütze Timo Schreiber wünscht sich strengere Waffengesetze, um rassistische Terroranschläge wie in Hanau künftig zu verhindern.

Eine Sportschützin in einem Schießstand

Ohne Lehrgang keine Waffe: Sportschützen wollen nicht unter Generalverdacht gestellt werden Foto: Westend61/Imago

taz: Herr Schreiber, im Februar hat ein Terrorist zehn Menschen in Hanau getötet. Er war Sportschütze. Was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Timo Schreiber: Eine ganze Menge. Die Tat ist fürchterlich. Zunächst habe ich gar nicht daran gedacht, dass der Täter Sportschütze ist oder wo er die Waffe herhat. Aber: Die Tat hätte nicht passieren dürfen. Vielleicht hätte sie auch vermieden werden können, wenn die Waffengesetze besser umgesetzt oder gesteuert worden wären.

Und wie?

Der Staat hätte schon vor zehn Jahren das Waffenrecht ändern und überprüfen müssen, ob die Menschen, die Waffen kaufen, vom Verfassungsschutz beobachtet werden oder polizeibekannt sind. Ein*e Sportschütz*in muss so oder so gewisse Voraussetzungen erfüllen, um sich eine Waffe kaufen zu dürfen.

Welche Voraussetzungen sind das?

Ich muss einen Lehrgang machen und so nachweisen, dass ich sachkundig bin und alle Gesetze und Regeln kenne. Wenn man sich eine Waffe kaufen will, muss man auch belegen, dass man seit Jahren mit dieser Waffe trainiert. Diese technischen Punkte sind nötig, um eine Waffenbesitzkarte zu beantragen. Die Behörden prüfen dann, ob die Person dafür geeignet ist.

Diskutieren Sie das Attentat von Hanau auch im Verein?

Seit der Anschlag in Hanau passiert ist, war ich noch nicht wieder im Verein. Ich habe wegen der Interviewanfrage der taz mit ein paar Leuten gesprochen. Viele haben dieser Tage Angst, öffentlich falsch verstanden zu werden. Auch ich habe gerade ein mulmiges Gefühl.

Fürchten Sie, nun unter Generalverdacht gestellt zu werden?

Nein, das nicht. Der mutmaßliche Täter war ja ein Sportschütze und die Regeln waren nicht gut genug, um die Tat zu vermeiden. Da mache ich mir nichts vor. Aber man will natürlich nicht missverstanden werden, wenn der eigene Name in der Zeitung steht. Ich habe für Nazis und Gewalt nur Verachtung übrig. Aber seine Schütz*innen zu kontrollieren – das kann ein Verein vielleicht gar nicht.

Schieben Sie da nicht Verantwortung von Vereinen weg?

Man kann Menschen nicht immer einschätzen. Es gibt ja gute Schauspieler*innen. Bei denen merkt man nicht, ob sie rechtes Gedankengut mit sich tragen und irgendwann auf beknackte Ideen kommen. Hier muss der Gesetzgeber für Sicherheit sorgen.

Was ist dann die Aufgabe der Schütz*innenvereine?

Vereine überprüfen, ob Menschen die technischen Voraussetzungen erfüllen, um eine Waffenbesitzkarte zu bekommen.

Das heißt?

Wer neu in den Verein kommt, probiert sich erst mal aus. Dann kann er oder sie über einen Verband einen Lehrgang machen. Es dauert mindestens zwölf Monate, bis man einen Platz dafür bekommt, eher länger. Der Lehrgang dauert so fünf, sechs Wochenenden und am Ende steht eine Prüfung. Hat man die Prüfung abgelegt, gilt man als sachkundig und kann eine Waffenbesitzkarte beantragen. Der Verband händigt den Zettel über die Sachkundigkeit aus, die Waffenbesitzkarte genehmigen Behörden.

Sollte nicht trotzdem mehr Kompetenz in die Schütz*innenvereine gelangen, um auch dort extremistische Ideologien zu erkennen?

Ja, wenn es da gute Ideen gibt – gerne! Ich bin der Letzte, der etwas dagegen hat. Manchmal kommen Leute, die schießen zweimal und fragen dann, wie man an eine Waffe kommt. Dann sagen wir: „Du gar nicht!“ Jeder Verein ist allerdings nur so gut, wie die Person, die in dieser Situation eine Antwort gibt.

Sie haben 13 Jahre lang Kinder und Jugendliche trainiert. Wird dabei über Verantwortung im Umgang mit Waffen gesprochen?

Selbstverständlich, als Allererstes! Wir bringen ihnen bei, wie man eine Waffe aufnimmt, ablegt und in welche Richtung man sie hält.

Was passiert, wenn sich Kinder oder Jugendliche nicht an die Regeln halten?

Dann werden sie verwarnt. Wenn es ein zweites Mal passiert, werden sie noch mal verwarnt. Beim dritten Mal war es das letzte Mal.

Dann werden sie aus dem Verein geworfen?

Da muss man abwägen, wie reif die Kinder sind. Vielleicht müssen sie eine längere Pause machen und können irgendwann wiederkommen. Wenn es auf Dauer nicht funktioniert, werden solche Menschen aus dem Verein ausgeschlossen.

Wie sind Sie zum Schießsport gekommen?

Ich komme vom Dorf. Mein Papa war im Schießverein und ich wollte das immer gern machen. Allerdings durfte ich erst mit zwölf Jahren anfangen. Dann bin ich dabeigeblieben, weil es Spaß macht.

Wie viele Waffen besitzen Sie?

Gar keine mehr.

Aber Sie haben welche besessen?

Ja, ein Luftgewehr.

Also nutzen Sie die Waffen in Ihrem Verein zum Schießen?

Ja, das ist mein Glück: Es gibt in meinem Verein einfache Luftgewehre, die man sich einstellen kann – je nach Körperbau. Die sind in der unteren Preisklasse, so ab 800 Euro. Wie bei allen Sportgeräten steigt der Preis, je mehr Technik in einem Gerät steckt. In meinem Verein nutze ich ein Luftgewehr, das ich für mich richtig eingestellt habe. Müsste ich ein anderes nehmen und das neu einstellen, bräuchte ich bestimmt sieben Trainingsabende, bis ich das Schulterstück und die anderen Module so angepasst habe, dass ich damit vernünftig schießen kann.

Und wenn jemand anderes aus dem Verein das Gewehr nimmt und es verstellt?

Dann habe ich Pech gehabt und muss es neu einstellen.

Warum brauchen Sport­schütz­*innen eigene Waffen?

Das kommt ab einem bestimmten Leistungsniveau. Die Geräte müssen an den Körper angepasst werden. Wer professionell schießt, braucht auch Schießkleidung. Das sind steife, schwere Sachen, in denen man sich kaum bewegen kann. Außerdem haben die Sachen angeraute Flächen, damit man das Gewehr gut in Anschlag nehmen kann und nicht verrutscht.

Was ist für Sie das Besondere am Schießsport?

Ich mag das Zusammenspiel. Ich muss mich auf mich konzentrieren, nur auf mich und das, was ich in dem Moment machen will. Das Ganze ist ein wiederkehrender Prozess: aufnehmen, in Anschlag gehen, zielen, abdrücken, absetzen und dann wieder von vorne.

Welcher Moment in dem Prozess ist der beste?

Wenn der Schuss weg ist und ich weiß, dass ich es richtig gemacht habe.

Schon bevor Sie den Schuss auf der Zielscheibe sehen, wissen Sie, dass er gut war?

Als Sportschütz*innen drücken wir nicht bewusst ab, sondern der Schuss bricht. Das ist ein antrainierter Reflex. Es wird nichts, wenn ich erst überlege: „Ich muss jetzt abdrücken und den Finger bewegen.“ Dann verziehe ich den Schuss und er geht nicht dahin, wo er hinsoll.

Das Schießen ist also keine bewusste Entscheidung, sondern eine Art antrainierter Reflex?

Ja, dazu gibt es auch Studien. Wirklich gute Sportschütz*innen auf olympischen Niveau schießen zwischen zwei Herzschlägen. Das kann man messen.

Warum zwischen zwei Herzschlägen?

Der Herzschlag lässt das Gewehr vibrieren. Damit würde man nicht genau treffen.

Ist das Schießen denn ein körperlicher Sport?

Natürlich. Dabei sieht man vielleicht nicht so cool aus wie jemand, der durch die Gegend läuft. Trotzdem muss man eine gute Atmung haben, sonst steht man nicht ruhig genug. Darum muss man neben dem Schießen die Kondition trainieren.

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Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

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