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: Der ganz normale Hass

Die Verachtung von Muslim:innen ist alltäglich. Nicht erst in Hanau hatte sie mörderische Konsequenzen. Es liegt an uns allen, daran etwas zu ändern

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Daniel Bax

ist Autor und Journalist. Sein letztes Buch „Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind“ erschien 2018 im Westend Verlag. Er ist im Vorstand der Neuen deutschen Medien­macher*innen

und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit.

Der Rechtsterrorist von Hanau mag unter Wahnvorstellungen gelitten haben, aber sein Hass war schrecklich normal. Nicht zufällig wählte Tobias R. für sein Attentat Orte aus, die keinen guten Ruf haben, und Opfer aus einer Gruppe, die häufig stigmatisiert wird – junge migrantische, vermeintlich „muslimische“ Menschen, überwiegend männlich, in Shisha-Bars. Tobias R. konnte sich dabei als Vollstrecker eines angenommenen „Volkswillens“ fühlen und auf das stillschweigende Einverständnis, wenn nicht gar die klammheimliche Freude eines Teils der Bevölkerung hoffen – oder zumindest auf dessen Gleichgültigkeit.

Denn Vorbehalte gegen Muslim:innen in Deutschland sind weit verbreitet, sie gehören praktisch zur „Leitkultur“. Das geht aus Studien hervor, die solche Vorurteile seit Jahren untersuchen. Rechtspopulistische Demagog:innen wie die AfD-Vorsitzende Alice Weidel greifen solche Stimmungen gezielt auf und bedienen sie zugleich, wenn sie gegen „Burkas, Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“ giften. Rechtsextremisten fühlen sich in deren Windschatten sehr wohl. Sie halten Shisha-Bars und Döner-Imbisse, genauso wie Moscheen und Flüchtlingsheime, gleichermaßen für Vorposten einer angeblichen „Islamisierung“ Deutschlands. Das ideologische Rüstzeug für diesen Wahn erhalten sie von der Neuen Rechten, die Verschwörungstheorien vom „Großen Austausch“ verbreitet. Demnach gäbe es einen geheimen Plan, die Bevölkerung Europas durch muslimische oder nicht-weiße Einwanderer:innen auszutauschen. Die Übergänge zwischen antimuslimischem, allgemein rassistischem und antijüdischem Gedankengut sind dabei fließend.

Der Attentäter von Hanau war von diesem Gedankengut beeinflusst. Ihn trieb aber vor allem der Hass auf Muslim:innen an. Es ist absurd, das in Abrede zu stellen – nur, weil der Mörder auch noch andere Gruppen hasste oder, weil seine Opfer nicht alle Muslim:innen oder überhaupt religiös waren. Der antimuslimische Terror trifft schließlich nicht immer nur Muslime. In den USA wurden immer wieder Sikhs angegriffen, weil sie aufgrund ihres Turbans irrtümlich für Muslime gehalten wurden. Und der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik ermordete 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya überwiegend Teilnehmer:innen eines sozialdemokratischen Jugendcamps, weil er Norwegens Sozialdemokraten für einen angeblichen „Massenimport“ von Muslim:innen verantwortlich sah.

Doch wer genau ist mit Muslim:innen gemeint? Sind es nur jene, die äußerlich erkennbar ihren Glauben leben? Oder sind damit alle gemeint, die als „Muslim:innen“ wahrgenommen werden ­– weil sie selbst oder ihre Eltern aus einem muslimisch geprägten Land stammen oder auch nur, weil sie so aussehen? Das liegt im Auge des Betrachters. Religiöse Muslim:innen aber sind stärker von antimuslimischem Rassismus betroffen als andere. 2019 wurden in Deutschland jeden zweiten Tag Übergriffe gegen Moscheen, islamische Friedhöfe oder Verbandsvertreter:innen behördlich registriert, berichtete die taz jüngst. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen, da nicht jede Tat angezeigt oder als antimuslimisch motiviert erkannt wird. Eine generell skeptische bis feindselige Stimmung gegenüber Muslim:innen in diesem Land sorgt dafür, dass sie als Opfer nicht immer die nötige Anteilnahme und Solidarität erfahren.

Und ja, auch Migrant:innen, die selbst als Muslim:innen wahrgenommen werden, können den antimuslimischen Rassismus verinnerlicht haben und Hass verbreiten. Rechte Demagogen wie der Autor Akif Pirincci, der Blogger Imad Karim oder der YouTuber Feroz Khan sind extreme Bespiele dafür. Ein noch extremeres Beispiel bietet der 18-jährige David S., ein Sohn iranischer Eltern, der 2016 in München neun Leute erschoss, fast alle mit türkischem, albanischem und anderem Migrationshintergrund. Diese Tat muss man als Vorläufer von Hanau sehen. Doch obwohl er sie am fünften Jahrestag des Breivik-Massakers verübte, wurde sie erst spät offiziell als rechtsextrem und rassistisch motiviertes Attentat eingestuft.

Vorbehalte gegen Muslim:innen sind weit verbreitet, sie gehören praktisch zur Leitkultur

Hat sich nach Hanau etwas geändert? Es war der dritte rechtsextremistisch motivierte Mordanschlag innerhalb eines Jahres, nach dem Anschlag in Halle im Oktober und dem Mord an Walter Lübcke im März 2019. Es gibt Anzeichen dafür, dass Hanau ein Wendepunkt sein könnte. Angela Merkel spricht nun endlich von Rassismus statt von „Fremdenfeindlichkeit“. Horst Seehofer will einen Expertenkreis einberufen, der den Hass gegen Muslim:innen untersuchen soll – analog zum Expertenkreis Antisemitismus, der vor einigen Jahren Empfehlungen für die Politik erarbeitete. Seit Hans-Georg Maaßen als Verfassungsschutzpräsident weg ist, nimmt das Amt die AfD stärker in den Blick, die Partei hat seitdem rhetorisch spürbar abgerüstet. Auch die anderen Sicherheitsbehörden sind aufmerksamer geworden. Erst vor drei Wochen, eine Woche vor Hanau, wurden bei bundesweiten Razzien zwölf Männer festgenommen, die Attentate auf Moscheen und Politiker:innen geplant hatten.

Der BKA-Präsident Holger Münch warnt davor, dass die rechte Szene bis in die Mitte der Gesellschaft hinein Akzeptanz findet. Aber die Stimmen migrantischer Verbände und anderer Teile der Gesellschaft, die diesen Hass nicht mehr akzeptieren wollen, sind lauter geworden. Letztlich liegt an uns allen, dafür zu sorgen, dass die Politik nach Hanau nicht wieder zur Tagesordnung übergeht. Der Hass gegen und das abfällige Sprechen über Muslim:innen muss, wie jeder andere Hass, stärker geächtet werden. Wir müssen uns stärker mit den Betroffenen solidarisieren. Das wird Taten wie in Hanau nicht verhindern. Aber es trägt dazu bei, dass sich Rechtsextremist:innen nicht mehr als Vollstrecker:innen einer „schweigenden Mehrheit“ fühlen können.