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Hauptsache gut aussehen

Bremen geht seit drei Jahren gegen sexistische Werbung auf öffentlichen Flächen vor, doch wer sich durch die Stadt bewegt, kommt um traditionelle Rollenklischees nicht herum

Von Teresa Wolny

Es gibt Beratungen, die mehr Fragen als Antworten aufwerfen. Zum Beispiel bei Akkuschraubern in einem Bremer Baumarkt. „Der hier ist wahrscheinlich was für Sie, der wird oft von Frauen gekauft, weil er so leicht ist“, erklärt der Verkäufer und drückt mir ein Gerät in die Hand. Anscheinend brauchen Frauen keine Löcher mit mehr als zehn Millimetern Durchmesser, denn solche schaffen nur die schweren Akkuschrauber – oder eben Bohrmaschinen. An der Kasse kommt dann noch eine Portion Altherrenhumor hinzu: „Brauchen Sie wirklich so eine große Bohrmaschine?“, fragt ein Mann in der Schlange und lacht.

Läuft man durch die Gänge findet man auf den Werbefotos an den Produkten nichts, was das Frauenbild des Kunden an der Kasse widerlegen könnte. Dabei gibt es auf den Fotos mindestens genauso viele Frauen wie Männer. Während Letztere aber viel Fliesen legen, bauen und sägen, pflanzen Frauen vor allem Blumen, zupfen mit pinken Gartenhandschuhen Unkraut oder streichen Wände. Noch häufiger liegen sie lächelnd und lesend im Bett, lassen sich von Ventilatoren die Haare verwirbeln oder sitzen auf dem Sofa und bedienen die Fernbedienung für die Rollläden – von einem Mann montiert, auch davon gibt es ein Foto.

Um gegen sexistische Werbung vorzugehen, hat das Land Bremen seit 2017 Leitlinien. Das Verfahren, bei dem Bürger:innen Werbung oft direkt melden, funktioniere sehr gut, sagt Bettina Wilhelm, Frauenbeauftragte in Bremen. „Es passiert sogar, dass Firmen von sich auf uns zukommen und vor der Veröffentlichung fragen, ob eine bestimmte Werbung sexistisch ist.“

Der Begriff „sexistisch“ ist hier allerdings recht eng gefasst und bezieht sich nicht auf alle diskriminierenden Geschlechterklischees, sondern nur auf Werbung, in der Frauenkörper selbst zum Produkt gemacht und Körper als reiner Blickfang genutzt werden. „Was da passiert ist ein unglaublicher Rückschritt in den Rollenbildern“, sagt Wilhelm. Beim Gendermarketing sei eine gesetzliche Regelung jedoch nicht möglich – hier könne man nur mit Kampagnen arbeiten. Da hinter der Marketingindustrie andere Summen steckten, als hinter öffentlich finanzierten Gegenkampagnen, stoße man damit allerdings schnell an Grenzen. Deshalb will Wilhelm vor allem bei den Unternehmen Verantwortungsbewusstsein für das Thema wecken.

Davon ist in den Kaufhäusern noch nicht viel zu sehen. Geht man nach der Einteilung der Modemarken sind Jungs die „Heros“, die „Kings“ oder die „Adventurer“, sie sind „wild, frech und laut“. Auch Mädchen sind wild, „but cute“. Sie sind „Drama Queens“ und ihre T-Shirts verlangen vom Gegenüber, entweder den ganzen Tag zu lächeln oder zum Regenbogen gebracht zu werden. Wenn man ein bisschen sucht, findet man auch T-Shirts ohne Sprüche und Herzchen.

Anders sieht es ein Stockwerk weiter unten in der Spielwarenabteilung eines Kaufhauses in Bremen aus. Auf den Spielzeugverpackungen kümmern sich Mädchen um Puppen und servieren Tee, während männliche Figuren Feuerwehrautos fahren und Helikopter fliegen. Die Figuren der Jungen sind Berufsgruppen zugeordnet, die der Mädchen haben Namen. Das Spielzeug ist so voneinander getrennt, dass Jungs und Mädchen sich, wenn sie sich an den Stereotypen orientieren, in den Gängen gar nicht unbedingt begegnen müssten.

Es gebe durchaus Jungs, die sich für Barbies interessierten, sagt Hanna Thalmann, Verkäuferin in der Spielzeugabteilung. Immerhin: Barbie gibt es heute auch mit Kurven oder als – sexy – Pilotin. In der Regel folgen Kinder beim Spielzeug aber den ihnen zugeschriebenen Rollen.

Bei Kindern ist Gendermarketing besonders gravierend. „Kinder nehmen Stereotype anders wahr als Erwachsene, sie können die Verallgemeinerungen und Verzerrungen noch nicht erkennen und binden die Stereotype aktiv in ihre Wirklichkeitskonstruktionen ein“, schreibt die Berliner Professorin für Soziale Arbeit Petra Focks. „Sie lernen dabei, dass es beim Geschlecht nur ein ‚Entweder-oder’ gibt, und erfahren, was überwiegend als ‚normal’ oder als ,abweichend’ bewertet wird.“

„Was da passiert, ist ein unglaublicher Rückschritt.“

Bettina Wilhelm, Bremer Frauenbeauftragte

Zu diesem Schluss kommt auch eine Hamburger Studie über die Lesekompetenz von Jungen und Mädchen. Die Forscher:innen fanden heraus, dass Jungen von dem Stereotyp, dass Mädchen besser lesen, erkennbar beeinflusst werden. Darunter leide sowohl die Leselust als auch die Lesekompetenz.

Die Produzenten hingegen profitieren von den Rollenzuschreibungen: Von Fahrrädern über Überraschungseier bis zu so absurden Dingen wie Brot oder Mineralwasser gibt es zwei Versionen, oft in rosa oder blau, die sich doppelt verkaufen lassen. Produkte und Dienstleistungen für Frauen unterliegen zudem oft der sogenannten „Pink Tax“, kosten also mehr als die männliche Version.

Die Internalisierung von Rollenklischees setzt sich später auch in der Berufswahl fort. Laut dem aktuellen Report der Hans Böckler-Stiftung zum Stand der Gleichstellung liegt eine der Ursachen für den Einkommensrückstand von Frauen in den „stabilen, geschlechtsspezifischen Präferenzen bei der Berufswahl“: Berufe mit einem hohen Frauenanteil, etwa im Gesundheitsbereich und in der Pflege, werden in der Regel schlechter bezahlt als technische Berufe.

Dabei sind Mädchen in Kinderbüchern mittlerweile auch detektivisch unterwegs, auch wenn die drei Ausrufezeichen als weibliches Pendant zu den drei Fragezeichen im Regal „Pferde und Co.“ stehen. Dementsprechend ermittelt das weibliche Detektivtrio dann auch auf dem Laufsteg, im Café oder auf dem Reiterhof. Eine der Protagonistinnen besitzt einen großen Kleiderschrank, die andere ein Pferd und die dritte fühlt sich oft zu dick. Dazu passt der Befund der Germanistik-Professorin Hilke Elsen, die Genderstereotype in Bilderbüchern analysiert hat: „Mädchen können mittlerweile alles tun, müssen aber gut aussehen.“

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