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Ein Ökodorf am Rande der Stadt

Sie propagieren Tiny Living statt Tiny Houses. Mit 500 geplanten Wohneinheiten gehört das Ecovillage Hannover zu den größten alternativen Wohnprojekten im Land. Es stellt so einige Gewissheiten infrage. Plötzlich geht es nicht mehr darum, wie man eine Holzhütte dämmt – sondern darum, wie künftig Zusammenleben aussehen soll

Blick aus einem Tiny House, in dem derzeit die Autorin Anne Weiss wohnt. Ihre Erfahrungen mit dem Wohnen auf kleinem Raum schildert sie in ihrem neuen Buch „Mein Leben in drei Kisten“ (Knaur) Foto: Miguel Ferraz

Aus Hannover Nadine Conti

Viele kommen hier rein und sagen: ‚Ich will auf jeden Fall ein Tiny House und keine Nachbarn‘ – aber viele landen am Ende eben auch bei etwas ganz anderem“, sagt Holger Michaelsen. Der Versicherungsmathematiker gehört zu den Mitgründern des Ecovillage Hannover. Eines hat er hier gelernt: dass Träume, Wünsche und Vorstellungen sich eben ändern.

Gestartet ist das Ecovillage mit der großen Welle des Tiny-House-Hypes. Mit dem Traum von Europas größter Mobilhaussiedlung. Dafür sollten Kleingartenflächen im hannoverschen Stadtteil Hainholz umgewidmet werden. Die Pläne zerschlugen sich – unter anderem am Widerstand der Kleingärtner. Aber die Stadt bot alternative Flächen an, darunter ein 50.000 Quadratmeter großes Baufeld am Nord­rand des Stadtviertels Kronsberg.

Der Kronsberg hat als stadtplanerisches Experimentierfeld Tradition: Das Viertel entstand zur Weltausstellung Expo 2000. Im Süden wird gerade die Erweiterung Kronsrode geplant – mit 3.000 Wohneinheiten Hannovers größtes Neubaugebiet. Und nun, als Tüpfelchen auf dem i, im Norden noch ein Ökodorf.

Der Vorteil für das Ecovillage: Es gibt schon Bebauungspläne, es gehen also nicht erst noch Jahre ins Land, um diese zu erstellen. Die Stadt will außerdem die Grundstücke in Erbpacht vergeben – damit schrumpfen die riesigen Investitionssummen, die sonst allein für den Grundstückskauf notwendig wären. Allerdings ist auch eine sehr viel dichtere Bebauung vorgesehen als sie mit Tiny Houses möglich wäre. 800 bis 1.000 Menschen sollen hier einmal leben, stadtnah und trotzdem im Grünen.

Für die Tiny-House-Fans mag das eine Riesenenttäuschung sein, aber in den Diskussionen im Ecovillage hat sich herauskristallisiert, dass die kleinen Holzhäuser für die Stadt nicht die optimale Lösung sind – dazu sind die Flächen zu knapp und zu wertvoll.

Tiny Living ist die Formel, auf die sie sich hier geeinigt haben. Das soll heißen: den persönlichen, privaten Flächenverbrauch möglichst zu reduzieren und dafür Flächen und Plätze für die gemeinschaftliche Nutzung zu schaffen. Suffizienz ist dabei das zweitliebste Buzzword. Möglichst genügsam, nachhaltig, ökologisch, klimaschonend, au­tark soll es eben auch sein, das Leben im Ökodorf. Wie genau das aussehen soll, wird gerade noch ausbuchstabiert. Von drei- bis vierstöckigen Geschossbauten mit kleinen Wohnungen, aber auch stapelbaren, variablen Modulhäusern aus Holz ist die Rede.

Allein der Beteiligungsprozess ist wahnsinnig aufwendig. Schon zu den Auftaktveranstaltungen kamen drei- bis vierhundert Interessierte, über 1.000 beziehen den Newsletter, 255 sind der Genossenschaft beigetreten.

Die soll das Quartier entwickeln und die Gebäude verwalten – auch wenn das den Verein noch einmal Interessenten gekostet hat. „Die Entwicklung von Privateigentum, zum Beispiel zur Altersvorsorge, ist hier nicht vorgesehen“, sagt Holger Michaelsen. „Das hat natürlich einige Baugemeinschaften abgeschreckt, die anfangs Interesse hatten.“ Eine Ausnahme werden voraussichtlich die Stellflächen für Tiny Houses sein – die können angemietet und mit einem privaten Häuschen belegt werden. Insgesamt wird das aber den kleinsten Teil ausmachen.

Der gesamte Entwicklungsprozess soll konsequent „bottom up“, also von unten nach oben, organisiert werden. Das ist ambitioniert angesichts der Tatsache, dass schon im kommenden Jahr Baubeginn sein soll.

Und dies Vorgehen stellt viele gewohnte Verfahrensweisen auf den Kopf: So musste man sich zum Beispiel in ein zähes Ringen mit der Architektenkammer begeben, um innerhalb des städtebaulichen Wettbewerbs, der jetzt ausgeschrieben wird, einen Rückkopplungsprozess zu ermöglichen. Üblicherweise bleiben die konkurrierenden Architekturbüros hinter den Entwürfen anonym – das geht aber natürlich nicht, wenn sie auf Einwände und Wünsche der künftigen Bewohner reagieren sollen.

In 18 Arbeitsgruppen und Entscheidungsgremien beackern die Ecovillager zurzeit einzelne Aspekte, von den Energie- und Stoffkreisläufen über Baumaterialien und Haustypen bis zum sozialen Leben, Gemeinschaftseinrichtungen und Mobilität. Sie debattieren über einen Concierge-Service genauso wie übers Abwassersystem, über ein Waschhaus, eine Werkstatt, eine „Bibliothek der Dinge“, vielleicht auch eine Kantine, gemeinsame Garten- und Ackerflächen.

Natürlich, sagt Dennis Klose, der als Sozialarbeiter im Projekt angestellt ist, steht Ecovillage damit vor dem gleichen Problem wie so ziemlich alle Formen des bürgerschaftlichen Engagements in der Republik: Es engagieren sich die, die Zeit und sonstige Ressourcen dafür übrig haben – das Bildungsbürgertum, die Älteren.

„Wir hätten gern mehr Leute mit Migrationsgeschichte, Geflüchtete, Behinderte, aber auch einfach Jugendliche“, sagt Klose. Immerhin sollen später auch 40 Prozent der Behausungen Sozialwohnungen sein.

Holger Michaelsen hofft, dass sich die Mischung noch ändert, wenn es konkreter wird. „Wer jung ist oder keine gesicherte Bleibeperspektive hat, interessiert sich natürlich nicht für Wohnungen, die erst in zwei bis drei Jahren bezugsfertig sein werden.“

Aber auch so gibt es durchaus ganz unterschiedliche Perspektiven und Zugänge bei diesem Projekt. Karin Cramm zum Beispiel hat die Angst vor der Einsamkeit im Alter hierher getrieben. Zur Zeit wohnt die 78-Jährige allein, hat eine hübsche, ruhige Wohnung in netter Nachbarschaft, wie sie sagt. „Aber wenn ich einmal umfalle, könnte es trotzdem sein, dass ich da zwei Wochen liege, bevor es jemand merkt.“ Ganz davon abgesehen, dass die Miete einen erheblichen Teil ihrer Rente frisst und das Putzen der eigentlich zu großen Wohnung langsam beschwerlich wird.

„Hier habe ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, gehört zu werden“

Karin Cramm will ihren 80. Geburtstag im Ecovillage feiern

Sie engagiert sich in der AG Soziales Leben, die sich etwa mit Modellen für die Entscheidungsfindung oder Regeln fürs Konfliktmanagement auseinandersetzt. Daran, dass die nötig sind, hatte sie nie einen Zweifel: „Ich habe nicht geglaubt, dass das einfach wird.“ Gleichzeitig, sagt sie, mache sie hier eine ganz neue Erfahrung: „Ich war nie besonders durchsetzungsstark. Aber hier habe ich zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, gehört zu werden.“ Ihr größter Wunsch: Ihren 80. Geburtstag schon im Ecovillage feiern zu können.

Thilo Gröbel hingegen träumt davon, im Ecovillage ein selbstbestimmtes Leben für Behinderte zu ermöglichen, wie es das in Hannover bisher nicht gab. Er sitzt im Rollstuhl und versucht, in der AG Inklusion zum Beispiel dafür zu sorgen, dass Barrierefreiheit immer schon mitgedacht und mitgeplant wird. Nicht als Anhängsel oder Sonderfall, mit ein oder zwei Wohnungen im Erdgeschoss – sondern so, dass auch ein Besuch beim Nachbarn im dritten Stock noch drin ist.

Für Holger Michaelsen ist Mobilität ein zentraler Baustein seiner Ecovillage-Vision – oder vielmehr Autofreiheit. Er wünscht sich vor allem für seine drei Kinder endlich die Freiheit, einfach so vor die Tür gehen zu können – ohne dass er ständig Angst haben müsste, dass sie unter die Räder geraten. Gleichzeitig ist er zutiefst davon überzeugt, dass man sich die „lokale Luxusblase“, in der man hier zurzeit lebe, in Zukunft schlicht und einfach nicht mehr leisten können werde – weil die globalen Ressourcen das nicht mehr hergeben.

Michaelsen und Klose treibt dabei auch der Ehrgeiz, zu beweisen, dass es eben besser geht. Ökologisch besser, aber auch gemeinschaftlicher, demokratischer, partizipativer. „Im Moment läuft das bei uns ja noch ein bisschen nach dem Prinzip der Meritokratie“, sagt Klose. „Wer macht, hat Recht.“ Vorleben statt ideologische Grundsatzdebatten zu führen, ist ein Prinzip, mit dem er sich gut anfreunden kann.

„Natürlich geht das nicht ohne Konflikte und wir werden Methoden und Verfahren entwickeln müssen, damit umzugehen“, sagt Michaelsen. Aber das gelte für die Gesellschaft insgesamt jawohl auch.

Und selbst für die hartnäckige Tiny-House-Fraktion gibt es noch Hoffnung. Der Kronsberg soll nämlich nicht der einzige Ecovillage-Standort bleiben. Nach weiteren Flächen wird gesucht.

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