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Festgenommen auf dem Weg in die Freiheit

Kurz nach seinem Freispruch am Dienstag wurde der türkische Bürgerrechtler Osman Kavala erneut verhaftet. Ein persönliches Essay über die Folter, rechtswidrig inhaftiert zu sein, von Banu Güven, die eng mit Kavala befreundet ist

Ayşe Buğra (links), Ehefrau von Osman Kavala, auf dem Heimweg nach seiner erneuten Festnahme Foto: Murad Sezer/reuters

Von Banu Güven

Osman Kavala ist ein guter Mensch. Ein Brückenbauer in Kunst, Kultur und Zivilgesellschaft in allen Richtungen. Durch seine Ini­tia­tiven kamen Regisseure von der Türkei und Armenien zum ersten Mal zusammen, um gemeinsam Filme zu produzieren. Er eröffnete Kunst- und Kulturzentren in den östlichen Provinzen der Türkei und unterstützte die freie Kunstszene mit Ausstellungen in dem alten Tabak-Depot in Tophane, Istanbul. Die Projekte, die er mit seiner Non-Profit-Organisation Anadolu Kültür unterstützte, setzten sich häufig mit der ungeschriebenen Geschichte des Landes und der Menschen auseinander. Kavala kommt selbst aus einer Familie mit Migrationsgeschichte. Seine Großeltern kamen mit dem Bevölkerungsaustausch in den Jahren 1922 und 1923 aus der Stadt Kavala im heutigen Griechenland in die Türkei. In den vergangenen Jahren beschäftigte sich Kavala viel mit Flüchtlingskindern und ihrer Integration in der Türkei.

Osman Kavala ist ein rücksichtsvoller, netter und bescheidener Mensch. Ich habe ihn noch nie empört oder fluchen gesehen. Das tut er immer noch nicht, selbst dann nicht, wenn Erdoğans Justiz ihn zum zweiten Mal rechtswidrig in U-Haft schickt, nur einen Tag nach seinem Freispruch im Gezi-Prozess. Die zwei Jahre und vier Monate, die er in Untersuchungshaft saß, waren eine Folter für ihn, für seine Frau Ayşe Buğra und seine Mutter, die inzwischen über 90 ist. Auch für seine vielen Freunde.

Am Dienstag wartete Kavala im Gerichtsaal in Silivri, dem größten Gefängnis Europas, wie alle Mitangeklagten auf einen Schuldspruch. Den 16 Angeklagten wurde vorgeworfen, die Gezi-Proteste im Sommer 2013 initiiert und finanziert zu haben, und dadurch versucht zu haben, die Regierung zu stürzen. Kavala war der Hauptangeklagte und sollte nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft mit lebenslanger Haft bestraft werden. Niemand hatte mit einem Freispruch gerechnet, außer ein paar Prozessbeobachter, die Kontakte zu Erdoğans Präsidentenpalast hatten. Es wurde behauptet, dass das Urteil bereits einen Tag zuvor gefällt wurde – nicht in Silivri, sondern in Ankara. Auch wenn der Verlauf der Verhandlungen auf das Gegenteil hinwies, kam der Freispruch im Gezi-Prozess. Wahrscheinlich hatten Erdoğan und seine Justiz einsehen müssen, dass aus diesem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für rechtswidrig erklärten Prozess nichts wird.

Der Foltereffekt verdoppelt sich, wenn der Inhaftierte denkt, es sei jetzt endlich vorbei und er komme frei, aber dann doch wieder verhaftet wird. Nach dem Freispruch freuten sich alle zuerst, und dann passierte das Übliche. Kavala erfuhr von dem neuen Haftbefehl in dem Minibus, der ihn in die Freiheit und zu seiner Familie bringen sollte, der aber vor den Toren des Silivri-Gefängnisses stehen blieb. Mit einem Anruf von der Staatsanwaltschaft, in der letzten Sekunde, war er wieder festgenommen.

Ich fragte mich, wie es ihm in dem Moment ging. Dann erfuhr ich, dass er seinen Anwälten gesagt hat, es sei doch ein guter Tag gewesen, weil mit dem Freispruch der Angeklagten auch die Gezi-Proteste rehabilitiert wurden. Als der Minibus ihn zur Anti-Terror-Polizeidirektion brachte, überließ er seinem Anwalt İlkan Koyuncu seine zwei Schnecken, die in Salatblättern versteckt in seine Zelle gelangt waren. Osman Kavala liebt Tiere. Hunde, Katzen, Vögel, auch Schnecken. Nun musste er sich von seinen Zellengenossen trennen.

24 Stunden später saß Osman Kavala in einem ähnlichen Minibus, erneut verhaftet, dieses Mal mit dem Vorwurf, den Putschversuch im Juli 2016 mitorganisiert und dadurch die verfassungsrechtliche Ordnung der türkischen Republik zerstört zu haben. Mit demselben Vorwurf wurde er bereits vor zwei Jahren inhaftiert. Das Hafturteil wurde aber im letzten Oktober widerrufen. Osman ging zurück ins Gefängnis, die Schnecken blieben draußen, in Freiheit.

Einen Tag bevor er 2017 zum ersten Mal festgenommen wurde, besuchte ich ihn in seinem Büro. Ich erzählte ihm, wie die regierungsnahen Medien mich und andere Journalisten zur Zielscheibe machten, weil wir unsere inhaftierten Kollegen in einem anderen Prozess, im Prozess gegen die Tageszeitung Cumhuriyet, unterstützten. Er erzählte mir von der Hetzkampagne, die gegen ihn von einer regierungsnahen Gruppe mit dem Decknamen Pelikan geführt wurde. Auf ihrer Webseite veröffentlichte diese Gruppe Artikel, voll von Hetze und Lügen mit üblichen Verleumdungen. Kavala sei „der rote Soros“ der Türkei, weil er im Vorstand der Stiftung Open Society in der Türkei saß, aber doch links war. Alle seine zivilgesellschaftlichen Initiativen und Förderungen in Kunst und Kultur wurden als regierungs- und staatsfeindliche Aktivitäten dargestellt.

Damals fragte ich ihn zum ersten Mal nach seinen Anwälten. Ich wollte wissen, wen ich anrufen sollte, wenn er eines Tages festgenommen werde. Ich hatte aber nicht damit gerechnet, dass ich seine Anwälte gleich am nächsten Abend anrufen würde. Als Osman aus dem südöstlichen Gaziantep zurückkam, wo er ein Projekt mit dem Goethe-Institut organisierte, wurde er am Flughafen noch im Flugzeug festgenommen. Ich konnte es nicht glauben.

Ich glaube, dass er sich am Anfang an der Hoffnung festhalten wollte, dass er bald freigelassen werde. Darauf musste er 841 Tage und Nächte lang warten, nur um dann wieder verhaftet zu werden.

Der eigentliche Grund hinter Osmans Verhaftung ist meiner Meinung nach seine Stellungnahme gegen das Präsidialsystem von Erdoğan. Er äußerte sich 2013 in einem Brief an den ehemaligen Co-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş. Er sagte kurzum, eine Lösung der Kurdenproblematik dürfte auf keinen Fall auf Kosten der Demokratie erreicht werden. Einen solch undemokratischen Regimewechsel dürfe die kurdische Seite auf keinen Fall akzeptieren. Osman sitzt jetzt wegen seines Engagements gegen Erdoğans undemokratisches System im Gefängnis. Genau wie Selahattin Demirtaş, der damals mit dem Slogan „Wir werden dich nicht Präsident werden lassen“ gegen Erdoğan warb.

Ich habe eben mit einem Anwalt gesprochen, der Kavala jetzt, während ich diese letzten Zeilen schreibe, im Gefängnis in ­Silivri am Anfang seiner zweiten Haftperiode trifft. Ich habe Osman Grüße bestellt. Ich habe ausrichten lassen, er müsse sicher sein, dass er wird bald wieder herauskommt. In einem Interview mit der Nachrichtenplattform T24 sagte er: „Ich habe es vermisst, mit meiner Frau, mit meiner Familie, mit Freunden zusammen zu sein. Ich vermisse mein Zuhause. Ich vermisse es, die Erde, die Bäume und die Pflanzen zu spüren.“

Lieber Osman Kavala, wir vermissen dich auch und werden alles tun, was möglich ist, um dich aus diesem Albtraum herauszubringen. Vielleicht folgen dann auch andere dir in die Freiheit.

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