: Dröhende Ohren in Kita und Schule
Kinder und Erwachsene leiden unter dem Lärm in Bildungseinrichtungen, aber es wird wenig dagegen getan
Von Eiken Bruhn
Wer jemals ein Kind aus dem Kindergarten oder der Schule abgeholt hat, fragt sich, wie Kinder und Erwachsene den ganzen Tag diesen Lärm aushalten können. Je nachdem, ob Schallschutzmaßnahmen eingesetzt werden und wie effektiv sie wirken, kann es sehr laut werden, in Abholsituationen und Schulpausen natürlich stärker als wenn sich „nur“ 20 bis 30 Kinder in einem Raum aufhalten. Es gibt Lehrer*innen, die nur mit Ohrstöpseln in die Schule gehen, Kinder, die nicht essen, weil es ihnen in der Mensa zu laut ist.
Der durchschnittliche Schallpegel im Unterricht an Schulen soll nach einer Messung in vier Grundschulen und einer Schule der Sekundarstufe I bei 60 bis 85 Dezibel liegen. „Das sind Schallpegel, die zum Teil um ein Mehrfaches die Schallintensitäten übersteigen, die von der Arbeitswissenschaft für Arbeitsstätten für Tätigkeiten mit informatorischer Arbeit, also zum Beispiel für Bürotätigkeiten, empfohlen werden“, schreiben die Bremer Autor*innen einer Studie aus dem Jahr 2004. Diese bildet die Grundlage für nahezu alle Ratgeber zum Thema „Lärm in Bildungseinrichtungen“.
Immer wieder heißt es in diesen, dass erst eine Dauerbelastung von 85 Dezibel und mehr als gehörschädigend anerkannt würde, aber auch niedrigere Werte „gesundheitlich beanspruchend“ seien, wie die Unfallkasse Nord in der Broschüre „Entspannung für alle Ohren – weniger Lärm in Kindertagesstätten“ schreibt. Und zwar nicht nur für die Erzieher*innen, sondern auch für die Kinder, die genau so unter Dauerlärm leiden können wie Erwachsene.
An einer Grundschule in Lengede bei Braunschweig soll eine verbesserte Schalldämmung dazu geführt haben, dass Schüler*innen ihre Abneigung gegen Gruppenarbeit verloren, heißt es auf einer Seite des niedersächsischen Kultusministeriums zu Arbeitsschutz und Gesundheitsmanagement in Schulen. Vorher sei der Lärmpegel zum Verdruss der Kinder stetig gestiegen. „Während die Gruppen an den Tischen versuchten, ein leises Gespräch zu führen, führten die Geräusche von den Nachbartischen dazu, dass lauter gesprochen werden musste, um sich gegenseitig zu verstehen.“
Auf der Seite ist auch der Brief einer Viertklässlerin veröffentlicht. „Für mich hat sich verändert, dass ich jetzt alle aus meiner Klasse verstehen kann und nicht mehr fragen muss, was jemand gesagt hat“, schreibt sie. Und: „Unsere Lehrerin muss nicht mehr so laut sprechen und meckern.“ Die sagt über sich selbst, sie sei seit dem Einbau der schallabsorbierenden Decken „wesentlich ruhiger und entspannter während des Vormittages“ und fahre „nicht mehr so ausgepowert und mit Kopfschmerzen nach Hause“. Vorher habe sie sich „oft gereizt gefühlt und musste die Schüler häufig, trotz gewöhnlicher Arbeitslautstärke, zur Ruhe mahnen“.
Dennoch gibt es keine Gesetze, die Behörden dazu verpflichten, die Lautstärken messen zu lassen und für Schallschutz zu sorgen. Und die betroffenen Erwachsenen? „Die haben sich nach unseren Erkenntnissen an den Lärm gewöhnt“, sagt Hans-Georg Schönwälder vom Bremer Institut für interdisziplinäre Schulforschung, das die Studie von 2004 erstellt hat. Die Kinder werden gar nicht erst gefragt.
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