Erstmals eine Chefin bei der DFG: Popularität und Integrität

Katja Becker hat ihr Amt als Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft angetreten. Eine Premiere: Sie ist die erste Frau auf diesem Posten.

Katja Becker

Die neue DFG-Chefin Katja Becker beim Neujahrsempfang Foto: DFG/David Ausserhofer

Mit besonderer Theatralik startet die neue Chefin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Katja Becker, in ihr erstes Amtsjahr. Im Rahmen der Kampagne „DFG2020“ wird das Berliner Theaterkollektiv Kompanie Kopfstand mit einem Kleinbus durch Deutschland touren, um der Bevölkerung in Mitmach­aktionen die „Wissenschaft“ nahezubringen.

Auf diese Weise sollen „gerade auch diejenigen erreicht werden, die bislang nur wenig mit Wissenschaft in Berührung gekommen sind“, erklärte die DFG-Präsidentin in dieser Woche auf dem Neujahrsempfang ihrer Organisation in Berlin. „Wir wollen die Begeisterung für die Potenziale der Wissenschaft vermitteln, aber auch ihre Arbeitsweise und ihre Grenzen erklären.“

Die bisher an der Uni Gießen tätige Biochemikerin und Medizinerin war im vorigen Jahr als erste Frau an die Spitze der größten deutschen Forschungsfördereinrichtung gewählt worden. Die DFG verteilt jährlich 3,2 Milliarden Euro staatliche Forschungsgelder in wissenschaftlicher Selbstverwaltung an über 30.000 Projekte in den deutschen Hochschulen. Becker, bisher auch DFG-Vizepräsidentin, löste zur Jahreswende den Münchener Historiker Peter Strohschneider nach dessen siebenjähriger Amtszeit ab.

Mit der neuen Kampagne wird die bisherige Aktionsreihe zur Wissenschaftsfreiheit, die sich letztes Jahr auf den Raum der engeren Wissenschaftspolitik beschränkte, nunmehr in die breite Bevölkerung ausgerollt. Unter dem Slogan „Für das Wissen entscheiden“ soll der Gesellschaft der „Wert freier Wissenschaft“ vermittelt werden. Nicht desinteressiert-neutral oder gar ablehnend sollten sich die Bürger zur Wissenschaft verhalten, sondern sich auf die Seite der Forscher schlagen.

„Leider ist die Freiheit der Wissenschaft nicht mehr und nicht überall selbstverständlich, obwohl sie durch die globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Artensterben, Ressourcenknappheit und Bevölkerungswachstum immer wichtiger wird“, sagte Becker zu der Aktion.

Luftballons mit Laienfragen

Die „Expedition“, die auch in den sozialen Medien stattfindet (#fürdaswissen), startet im April in Hamburg, als weitere Orte sind unter anderem Bad Münstereifel, Zeche Zollverein in Essen und Sankt Peter-Ording geplant. Transparente Kapseln werden zum Begegnungsort von Bürgern, Forschern und Künstler; der Bus mutiert zum Kino, garniert mit Musik und Soundcollagen. Beim Probeevent in Berlin wurden Luftballons mit Laienfragen beschriftet: „Warum schneit es nicht mehr in Berlin?“

Vor hundert Jahren, 1920, wurde die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gegründet

Wesentliches Ziel der Forschungsreise sei es, nicht nur in gewohnter Weise Antworten der Wissenschaft ins Volk zu vermitteln, erklärte Theatermacherin Julia Dihl: „Wir gehen einen anderen Weg, halten das Ohr ins Land und fragen, wie sich das Verhältnis der Menschen zur Wissenschaft gestaltet.“ Für die gesamte Kampagne gibt die DFG eine Million Euro aus.

Historischer Aufhänger ist ein Jubiläum. Vor 100 Jahren, 1920, wurde die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft gegründet, um der nach dem Krieg finanziell klammen Forschung mit Spendengeldern aus der Wirtschaft auf die Beine zu helfen. Daraus ist der heutige Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft entstanden. Die DFG gründete sich formell einen Weltkrieg später, 1949.

In ihrer ersten Rede als DFG-Präsidentin fand Katja Becker bemerkenswerte Worte zur Vergangenheit. „Wir dürfen niemals vergessen, dass in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts zu der sogenannten wissenschaftsgeleiteten Forschungsförderung auch national-völkisches Denken, unumwundener Rassismus und ein Pathos radikaler Sachlichkeit gehörten“, sagte Becker. „Daraus erwuchs eine kalte, menschenferne Wissenschaft, die ‚verbrecherische Humanexperimente‘ im Dienste einer faschistischen Politik durchführte, aber auch aus eigenem Antrieb.“

Die „menschenverachtende Barbarei der Nazis“ sei in Teilen auch „wissenschaftsgeleitet“ gewesen. Für die Gegenwart bedeute dies, dass „wissenschaftsgeleitete Forschungsförderung nur so gut ist, wie die Wissenschaft integer ist, wie wir selbst als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unserer Integrität arbeiten“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.