piwik no script img

Humor im Angesicht der Macht

Ein Stück über den Rohstoffhandel im Kongo – frei nach dem Hercules-Oratorium von Georg Friedrich Händel. Im Rahmen des CTM-Festivals für experimentelle und elektronische Musik wird „Herkules von Lubumbashi“ im Berliner HAU zu sehen sein

Von Linda Gerner

Ein Tänzer, ein Sänger, ein Minenchor. Ihr Thema: Rohstoffhandel. Der kongolesische Choreograf Dorine Mokha und der Schweizer Komponist Elia Rediger verhandeln mit dem Musiktheater „Hyperlink:=Her­ku­les von Lubumbashi“ eine Problematik auf der Bühne, die sonst lange Reportagen oder Experteninterviews versuchen zu erklären. Ein Schlüsselwort dabei ist Kobalt. Das seltene chemische Element kommt in der Demokratischen Republik Kongo weltweit am häufigsten vor. Das silbergraue Metall wird für die Herstellungen von Akkus benötigt. Es ist also unverzichtbar für die Produktion von Smartphones, Laptops und Tablets. Auch Elektroautos benötigen für ihre Batterien Kobalt, weshalb die ohnehin hohe Nachfrage zuletzt noch einmal gestiegen ist.

Trotz des Rohstoffreichtums zählt der Kongo zu den ärmsten Ländern der Welt. Reich werden durch das Kobalt-Geschäft in Zentralafrika, wie so häufig, nicht die Bevölkerung und die Minenarbeiter vor Ort, sondern große internationale Firmen. Etwa das Schweizer Rohstoffunternehmen Glencore. Eine kritische Aussage über genau diesen Konzern gab Elia Rediger den Anlass zu seinem neusten Bühnenwerk. Rediger wurde 1985 als Sohn von Entwicklungshelfern im Kongo geboren und wuchs in Basel auf. Nach seinem Kunststudium und der Gründung seiner Band „the bianca story“ machte der Musiker auch 2012 auf sich aufmerksam, indem er sich als Künstler für die Bürgermeisterwahl in Basel aufstellen ließ.

Als „singender Bürgermeister-Kandidat“ kritisierte er in einem TV-Interview die Arbeit von Glencore. Es überraschte ihn, dass er daraufhin mehrfach von der PR-Stelle des Unternehmens zum Gespräch gebeten wurde. Nachdem er die ersten Mails ignoriert hatte, traf er schließlich Glencore-Vertreter am Hauptbahnhof in Zürich: „Die wollten mich da natürlich einseifen, haben gesagt, wenn sie den Abbau nicht machen, dann machen es die Chinesen.“

Das Treffen hinterließ bei ihm das Gefühl, dass er „mit Kunst diesen Diskurs voranbringen kann“, sagt Rediger. Er ließ damals frotzelnd verlauten, dass er der Firma entweder eine Kinder-CD widmen würde, womit er jungen Leuten die Hintergründe von Rohstoffhandel erklären könne, oder eine Oper: „Ihnen sozusagen ein Werk der Hochkultur widmen, denn da pumpen sie ihr Geld auch rein.“

Geworden ist es nun ein Minenoratorium, frei nach dem Hercules-Oratorium von Georg Friedrich Händel. Vermischt wird der Barockklang mit afrikanischer Folklore und westlicher Pop-Musik oder wie es Rediger ausdrückt: „Es ist jedes Mal ein sehr wilder Abend.“ Mit einem Live-Orchester und einem kongolesischen Chor vor einer Bergbaumine auf der Leinwand.

Rediger selbst tritt als Sänger auf, der zweite Kopf hinter dem Stück ist der Choreograf und Tänzer Dorine Mokha. Mit ihm hat Elia Rediger bereits im Sommer 2017 bei seinem Theaterstück „Oh Boyoma“ zusammengearbeitet. Mokha ist in Lubumbashi im Südkongo geboren und kommt aus einer Familie von Minenarbeitern. Gemeinsam entwickelten sie in anderthalb Jahren das Konzept zu „Herkules von Lubumbashi.“

Das Warten wurde zur Krankheit

Für ihr Stück stellen sie sich vor, dass die Be­woh­ne­r*in­nen vom Lubumbashi auf ihren Herkules warten, der ihnen die Reichtümer ihrer Erde zurückgibt. „Ich habe nie verstanden, warum wir Kongolesen immer noch auf jemanden warten, der unsere Probleme löst, uns von unserem Leid befreit und uns neue Hoffnung gibt“, so Mokha. Das Warten darauf sei eine Krankheit geworden und im Kongo hätten sich viele fälschlich als Retter, als Herkules dargestellt.

Im Stück werden die dramatischen Seiten des Bergbaus im Kongo thematisiert: Ausbeutung, lebensgefährliche Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit und die Zerstörung von Lebensraum. Doch „Herkules von Lubumbashi“ soll auch amüsieren, sagt Elia Rediger. Mit Humor könne man das Thema erlebbar machen und das Publikum es trotz seiner Dramatik annehmen. Es entspräche der kongolesischen Art, „der Fratze des Monsters mit einem Lachen zu begegnen“, sagt der Schweizer Musiker: „Das ist eine der kongolesischen Komponenten des Stücks. Im Angesicht der Macht den Humor nicht zu verlieren.“

Dass Rohstoffhandel gesellschaftlich wenig thematisiert wird, intransparent ist und viele unwissend über die Produktionshintergründe ihrer Geräte sind, war ein weiterer Beweggrund für das Stück, so Rediger. Sich selbst nehme er da nicht raus: „Ich bin komplett überfordert mit der Thematik und das hat mich auch genervt, dass ich dem so ausgeliefert bin.“ Kunst könne da Aufmerksamkeit generieren, Kon­su­men­t*in­nen mobilisieren und sensibilisieren.

Nach der Uraufführung im Podium-Festival in Esslingen feiert das Musiktheater jetzt im Rahmen des CTM-Festivals Berlin-Premiere. Direkt im Anschluss fliegt das Ensemble in den Kongo, um das Stück auch vor Minenarbeitern zu spielen: „Es geht uns auch um das Brückenbauen“, sagt Rediger.

Das CTM-Festival für experimentelle und elektronische Musik findet jährlich an verschiedenen Spielstätten in Berlin statt.

In diesem Jahr hat es als Leitmotiv „Liminal“, also Liminalität, gewählt. Der Begriff beschreibt nach dem Ethnologen Victor Turner den Schwellen­zustand, in dem sich Menschen befinden, nachdem sie sich rituell von der herrschenden Sozial­ordnung gelöst haben. „Herkules von Lubumbashi“ gastiert am HAU1, im Anschluss an die erste Vorstellung am 28. Januar wird es eine Diskussionsrunde mit den Künstlern über die Situation in der Demokratischen Republik Kongo geben.

Auf eine Reaktion von Ver­tre­te­r*in­nen des in Stück kritisierten Konzerns Glencore warten Dorine Mokha und Elia Rediger bisher noch. Sie würden sie aber zu jeder Vorstellung einladen, versichert Elia Rediger. Dafür bliebe symbolisch ein Platz in der ersten Reihe für den Konzern frei: „Wir hoffen natürlich, dass sie jetzt in Berlin kommen“, sagt der Schweizer Sänger und lacht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen