heute in hamburg: „Bis weit in die 1990er keine Akzeptanz“
Vortrag zur Homosexuellen-Verfolgung „Zerbrochene Erwartungen“: 18–20 Uhr, Mahnmal St. Nikolai, Willy-Brandt-Straße 60
Interview Pia Grunwaldt
taz: Herr Lorenz, warum haben die Nazis homosexuelle Menschen verfolgt?
Gottfried Lorenz: Homosexuelle Männer haben keinen Nachwuchs produziert, insofern galten sie für die Nationalsozialisten als Volksschädlinge.
Homosexuelle wurden nach dem NS-Regime weiterhin verfolgt. Von wem eigentlich?
Diese Verfolgung hat ursächlich mit den Nationalsozialisten wenig zu tun. Sie kommt aus früheren Jahrhunderten. Die Gesetzgebung gegen Homosexuelle in der neusten Zeit ist durch das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches von 1871/72 in Kraft getreten und moralisch gerechtfertigt worden. Gleichgeschlechtliches Verhalten haben damals viele Staaten als unnatürlich bezeichnet. Diese Ausgangssituation ergab das Unterstrafestellen von homosexuellen Handlungen und erfuhr Akzeptanz in der Bevölkerung. Das war sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik so und wurde nach dem Krieg in breiten Teilen der Bevölkerung nicht anders gesehen.
Die NS-Zeit war also kein harter Bruch?
Nein, sie brachte „nur“ eine Verschärfung der gesetzlichen Situation, die nach dem Krieg unverändert beibehalten wurde. Die Nachkriegsverfolgung wurde in Hamburg nicht von alten Nazis durchgeführt, sondern von Leuten, die 1933 aus ihren Ämtern entlassen worden waren oder aus der Emigration zurückgekehrt sind. Auch die SPD und die KPD waren in Hamburg homophob eingestellt.
Welche Rolle spielte der Paragraf 175?
Gottfried Lorenz, 80, ist Soziologe und Historiker und veröffentlichte mehrere Bücher zur Geschichte der Homosexuellen in Hamburg.
Das war der Paragraf, der gleichgeschlechtliches Verhalten unter Strafe stellte. Er blieb bestehen, obwohl es auch Richter gab, die ihn ablehnten, denn es war der einzige Strafparagraf, der etwas unter Strafe stellte, was niemandem schadete.
Mit welchen Erwartungen kamen Homosexuelle aus dem KZ?
Die hatten gar keine Erwartungen. Sie waren froh, aus dem KZ raus zu kommen, es überlebt zu haben. Nach wie vor war der Paragraf 175 in Kraft, auch wenn einzelne Richter versuchten, ihn nicht anzuwenden. Diese wurden vom Bundesgerichtshof und später vom Bundesverfassungsgericht zurückgepfiffen und eines Schlechteren belehrt. Glücklicherweise gab es zur Aufhebung von Paragraf 175 keine Volksbefragung, denn die wäre kaum zu Gunsten der Homosexuellen ausgefallen. Die fanden bis weit in die 1990er-Jahre keine Akzeptanz.
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