Rechte Anschlagserie in Berlin-Neukölln: „Diese Gewissheit erleichtert eher“

Die linke Abgeordnete Anne Helm wurde von der Polizei informiert, dass sie seit 2013 auf einer rechten Feindesliste steht. Wie geht sie damit um?

Die Linken-Politikerin Anne Helm Foto: dpa

taz: Frau Helm, die Auswertung eines Datenträgers durch das Landeskriminalamt (LKA) hat ergeben, dass Sie sich seit 2013 auf der Feindesliste des Hauptverdächtigen der Anschlagsserie in Neukölln befinden.

Anne Helm: Mich selbst hat die Information nicht überrascht, mich hat diese Gewissheit jetzt eher erleichtert. Ich war bereits lange zuvor zu dem Ergebnis gekommen, dass der Neuköllner Täterkreis meine Privatadresse ausfindig gemacht hat. Im Winter 2013 wurde mein Briefkasten aufgebrochen, und ich habe schon damals einen politischen Hintergrund vermutet. Dass mich diese eigene Einschätzung nicht trügt, sondern das Landeskriminalamt sie teilt, hat mir da eine gewisse Sicherheit gegeben, eben im Sinne von Gewissheit.

Warum hatten Sie das bereits vermutet?

Ich habe schon 2013 Ausspähaktivitäten festgestellt. Nazis haben sich in der Nähe meines Wohnhauses aufgehalten, teilweise die verbale Auseinandersetzung mit mir gesucht. Das schafft natürlich ein Bedrohungsszenario, wo man sich zweimal umschaut, bevor man aus dem Haus geht, oder zweimal um den Block geht, wenn man sich verfolgt fühlt.

Anne Helm, Jahrgang 1986, sitzt für Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus, ist Sprecherin für Medien und Strategien gegen Rechts. Die Synchronschauspielerin ist in Neukölln aufgewachsen.

Handelt es sich bei der Auswertung des Datenträgers um einen Ermittlungserfolg der Polizei?

Das lässt sich noch nicht abschließend bewerten. Ob tatsächlich Informationen sichergestellt werden konnten, die den Hauptverdächtigen mit konkreten Taten in Verbindung bringen können, ist mir bis dato nicht bekannt. Man kann es nur hoffen, weil das ja nach mehreren verpassten Chancen der Strohhalm war, an den sich die Ermittler geklammert haben.

Sie haben per Twitter andere Menschen aufgefordert, die ebenfalls auf der Feindesliste stehen, sich bei Ihnen zu melden. Ist das schon passiert?

Ja, mehrere haben sich gemeldet. Und die Mobile Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus (MBR) hat mir gesagt, dass sich auch bei ihnen mehrere Betroffene gemeldet haben. Ich habe es öffentlich gemacht, da ich es für wichtig halte, darüber zu sprechen. Aber viele andere Betroffene stehen nicht so in der Öffentlichkeit wie ich und wollen auch nicht öffentlich darüber sprechen. Auf dem Datenträger sind mehr personenbezogene Daten gefunden worden als von den Menschen, die bereits Opfer von Anschlägen geworden sind.

Erhoffen Sie sich jetzt mehr Unterstützung von anderen Parteien für Ihre Forderung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses?

„Es hat große Patzer in den Ermittlungen gegeben, und wir brauchen konkrete Antworten, wie es dazu kommen konnte.“

Wir warten immer noch auf den Abschlussbericht der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) Fokus. Wenn wir danach weiterhin offene Fragen haben, werden wir sehen müssen, auf welchem Weg wir die beantworten können. Ich glaube, dass alle Regierungsparteien ein Interesse an einer lückenlosen Aufklärung haben. Wir sind uns nur uneinig darüber, auf welchem Weg wir das machen. Wenn die BAO Fokus keine Antworten finden kann, werden wir weiterhin darauf bestehen, dass wir als Parlamentarier:innen suchen müssen.

Welche politischen Konsequenzen müssen noch gezogen werden?

Der politische Hintergrund der rechtsextremen Taten wurde lange völlig übersehen – das ist ein Fehler, der sich auf gar keinen Fall wiederholen darf. Es hat große Patzer in den Ermittlungen gegeben, und wir brauchen konkrete Antworten, wie es dazu kommen konnte. Wieso ist beispielsweise Ferat Kocak nicht informiert worden, obwohl klar war, dass ein Anschlag geplant war? Das sind Fragen, die massiv das Vertrauen in die Ermittlungsbehörden erodieren. Das sollte im Interesse von niemanden sein. Eine Aufklärung von Fehlern, die gemacht worden sind, liegt im eigenen Interesse der Ermittlungsbehörden.

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