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Ein echtes Vorbild

In „Babylon Berlin“ agiert er als Gereon Raths Vorgesetzter eher im Hintergrund. Der reale Ernst Gennat setzte bei der Berliner Kriminalpolizei Standards – etwa mit dem „Mordauto“

Kriminalkommissar Ernst Gennat, 1880–1939 Foto: ullstein bild

Von Bettina Müller

Der am 1. Januar 1880 in Plötzensee geborene Ernst August Ferdinand Gennat war „vorbelastet“, als er sich als junger Mann für einen Beruf entscheiden sollte. Sein ostpreußischer Vater August war seit 1880 Gefängnisdirektor in Plötzensee. Sein älterer Halbbruder Georg war zuerst Staatsanwalt und ab 1892 Strafanstaltsdirektor in Hamburg. Gennat konnte entweder gegen sein Elternhaus rebellieren, Verbrecher und möglicherweise „Knastbruder“ werden oder selbst als „Auge des Gesetzes“ durch das Leben gehen.

Er entschied sich für Letzteres. Nach dem Abitur studierte er zunächst Jura, brach das Studium aber ab und heuerte 1904 als Kriminalanwärter bei der Berliner Polizei an.

Für einen erfolgreichen Kriminalisten brachte Gennat hervorragende Eigenschaften mit: Hartnäckigkeit, Gründlichkeit, eine exzellente Beobachtungsgabe, ein sehr gutes Gedächtnis und vor allem psychologischen Scharfblick. Und er hatte ein geschicktes Händchen dafür, wie man mit Kriminellen umging. Selbst gegenüber hartnäckig schweigenden Mördern fand er den richtigen Ton, um ihnen doch noch ein Geständnis abzuringen. „Nun erzähl’n Se mal! …“, pflegte Gennat die Verhöre jovial einzuleiten. Verbunden mit seinem Äußeren – Gennat war stark übergewichtig – wurde er manchmal unterschätzt, was vielen Verbrechern zum Verhängnis wurde.

Gennat muss aber sehr wortkarg gewesen sein, wenn er schlechte Laune hatte, wie der Schriftsteller Franz von Schmidt, der damals im Polizeipräsidium ein- und ausgehen durfte, 1955 in seinem Buch „Vorgeführt erscheint“ berichtete. Ebenso war Gennat „alles und jedem gegenüber“ extrem misstrauisch.

Zudem betrieb er kontinuierlich Raubbau am eigenen Körper, weil er nur für seine Arbeit lebte, oft brannte noch weit nach Mitternacht in seinem Dienstzimmer Licht. Gennat hatte im deutschen Kaiserreich noch eine wenig effiziente Berliner Mordkommission erlebt, die 1902 gegründet worden war, weil sich unaufgeklärte Kapitalverbrechen häuften. 1926 hatten Mängel in der sehr umständlich organisierten Kommission zu einer völligen Umstrukturierung und in Folge zur Gründung der Berliner Mordinspektion geführt. Gennat, der ein Jahr zuvor zum Kriminalrat befördert worden war, war maßgeblich dafür verantwortlich, dass die neue Abteilung wesentlich effektiver als zuvor arbeitete.

Hatte es 1902 in Berlin elf Fälle von Totschlag gegeben, so verzeichnete die Kriminalstatistik für 1926 bereits 59 Fälle von Mord und Totschlag bei einer auf fast das Doppelte angestiegenen Bevölkerungszahl, hinzu kamen in demselben Jahr noch gewaltsame Todesfälle „ohne nähere Angaben“.

Damit es nicht zu unnötigen Verzögerungen kam oder sogar Spuren vernichtet wurden, erfand Gennat im Rahmen seiner Tätigkeit als Leiter der „Mordinspektion A“, die eine von insgesamt neun Fachinspektionen der Abteilung IV des Berliner Polizeipräsidiums war, das sogenannte „Mordauto“. Mit diesem mobilen kleinen Labor und „Büro“ inklusive Stenotypistin konnten die Beamten gleich am Tatort Spuren auswerten und eine Tatbestandsaufnahme diktieren.

Zusätzlich wurden 1927 zwei Reservekommissionen gebildet. Insgesamt gehörten den drei Kommissionen unter Gennats Leitung 16 Kriminalkommissare an, darunter sein Vertreter Ludwig Werneburg, sowie Arthur Nebe, der später unter dem nationalsozialistischen Regime als gefürchteter Reichskriminaldirektor wütete.

Das schriftliche Erfassen von Delikten verschiedener Art war ein Steckenpferd Gennats, der so sukzessive die „Zentrale Mordkartei“ aufbaute, die heute als „Zentralkartei für Mordsachen und Lehrmittelsammlung“ im Landesarchiv Berlin aufbewahrt wird. Sie gibt auf 434 Seiten einen erschütternden Einblick in die Abgründe der menschlichen Seele. Mithilfe der Kartei konnten die Beamten schnell mögliche Verbindungen zu früheren Kriminalfällen herstellen.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs hatten sich aber auch neue Verbrechertypen herausgebildet. Dazu zählten der Fassadenkletterer oder der „Schlüsselkavalier“, der mit Dienstmädchen anbändelte, um sich so Zugang Haus der Herrschaft zu verschaffen.

Durch die Spezialisierung sowohl der Verbrecher als auch der Kriminalpolizei entstand ein ungewohnt vertrauliches Verhältnis zwischen den Beamten und ihrem Klientel. Zeitungsberichte über erfolgreich gelöste Fälle mit Namensnennung der ermittelnden Beamten trugen zur allgemeinen Beliebtheit bestimmter Personen bei. Die volksnahen Feste der Kriminalpolizei, bei denen das Publikum an kriminalistischen Wettbewerben teilnehmen konnte, förderten die gute Beziehung zwischen der vor dem Ersten Weltkrieg eher verhassten und straff militärisch organisierten Exekutive der Regierung und der Bevölkerung.

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 schützte Gennat seine hohe Erfolgsquote von bis zu 95 Prozent vor dem Verlust seines Jobs. Im Gegensatz zu seinem Bruder Georg, der in Hamburg als Reaktionär galt, weil er bei bestimmten Delikten die Prügelstrafe wieder einführen wollte, war Gennat Demokrat. Zwar hielt er sich aus politischen Diskussionen heraus, arrangierte sich aber widerstandslos mit dem nationalsozialistischen Regime. Schließlich übertrug man ihm die Leitung der neu gegründeten „Kriminalgruppe M“, 1934 wurde er zum Regierungsrat befördert, ein Jahr später zum ständigen Vertreter des Leiters der Berliner Kriminalpolizei, Liebermann von Sonnenberg.

Kurz vor seinem Tod sorgte der 59-jährige Junggeselle noch für eine Überraschung: Am 28. Juli 1939 heiratete er seine Kollegin Elfriede Dinger. Einen Monat später starb Gennat am 21. August mit fast 60 Jahren. „Unter Zurückstellung seiner Persönlichkeit hat der Entschlafene pflichtbewusst ein Menschenalter seinem arbeitsreichen Beruf gewidmet“, hieß es in seiner Todesanzeige, die seine Ehefrau für ihn aufgegeben hatte.

Bereits zu Gennats Lebzeiten setzte ihm 1931 der Regisseur Fritz Lang ein Denkmal in seinem Film „M“, in dem der Kriminalkommissar Lohmann Ernst Gennat nachgebildet war. Auch in den Gereon-Rath-Krimis von Volker Kutscher spielt Gennat eine prominente Rolle, was ab 24. Januar erneut zu sehen sein wird, wenn die dritte Staffel der auf den Kutscher-Krimis basierenden Serie „Babylon Berlin“ startet. Gennat wird da wieder von Udo Samel verkörpert. Der Mythos Gennat lebt fort.

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