: Die Gefahr in der Kurve
In Wandsbek überfährt ein Lastwagen einen Radfahrer. Er stirbt noch vor Ort. Ein Abbiegeassistent hätte den Unfall verhindern können. Doch der Lkw hatte keinen. Warum?
Von Sabrina Winter
Ein Radfahrer biegt am Montagmorgen in Wandsbek rechts ab. Neben ihm fährt ein Müllwagen und biegt auch rechts ab. Beide haben Grün. Doch der Müllwagenfahrer sieht den 76-jährigen Radfahrer nicht und erfasst ihn. Der Mann wird zwischen den Achsen des Lkw eingeklemmt. Er stirbt noch am Unfallort. Der 22-jährige Fahrer des Lkw erleidet einen Schock. Er, seine zwei Mitfahrer und eine Zeugin werden seelsorgerisch behandelt. Der Lastwagen war im Auftrag der Stadtreinigung unterwegs, gehörte aber einem privaten Entsorgungsunternehmen. Und: Er hatte keinen Abbiegeassistenten.
Dabei hätte ein solches Assistenzsystem den Unfall vielleicht abgewendet. Davon geht ein Bericht der Unfallforschung der Versicherer aus: 60 Prozent der tödlichen Abbiegeunfälle können durch Abbiegeassistenten verhindert werden.
Der 76-Jährige, der am Montag starb, ist Hamburgs erster toter Radfahrer in diesem Jahr. Bis September vergangenen Jahres starben vier Radfahrer*innen – zwei von ihnen durch einen Lkw.
Die Stadtreinigung erklärt, dass der Auftrag an die Entsorgungsfirma auf eine Ausschreibung von 2016 zurückgehe – also zu einem Zeitpunkt, zu dem „es auf dem Markt noch gar keine wirklich brauchbaren Abbiegeassistenzsysteme für Lkw gab“. Seit 2019 schaffe die Stadtreinigung nur noch Lkw mit Abbiegeassistenten an. Inzwischen habe sie 70 Lkw mit solchen Systemen in Betrieb. Bis Ende diesen Jahres will sie auch alle Lkw aus dem Altbestand mit Abbiegehilfen ausstatten.
Bisher besteht keine gesetzliche Pflicht für Abbiegeassistenten. Doch der Senat will sich dafür einsetzen, dass die Systeme in ganz Deutschland eingeführt werden. Noch im Januar soll eine flächendeckende Umrüstung aller Lkw beginnen, wie die Verkehrsbehörde mitteilt. „Nach erfolgreichem Abschluss des Testbetriebs durch den Landesbetrieb Verkehr folgt jetzt die flächendeckende Einführung bei allen schweren Nutzfahrzeugen von Behörden und öffentlichen Unternehmen“, sagt Behördensprecherin Susanne Meinecke. Eine Rahmenvereinbarung mit den Herstellern von Abbiegeassistenzsystemen sei Ende November im Senat verabredet worden.
Im Frühjahr 2019 hatte der Landesbetrieb für Verkehr (LBV) ein Pilotprojekt gestartet. Dabei testete er drei verschiedene Abbiegeassistenten ein halbes Jahr lang. Danach wertete das Statistikamt Nord das Projekt aus. Doch bisher liegen öffentlich keine Ergebnisse vor.
Was muss geschehen, damit solche Unfälle nicht mehr passieren? Dirk Lau vom ADFC Hamburg hat Vorschläge: „Der Straßenraum muss umgebaut und neu, gerechter verteilt werden. Abbiegeassistenten sind nur eine von vielen Maßnahme zum Schutz der Verkehrsteilnehmer. Weitere wichtige Maßnahmen sind zum Beispiel der Bau von sicherer Infrastruktur, Verkehrsberuhigung oder auch die Anpassung von Ampelschaltungen, sodass Radfahrer ‚Voraus-Grün‘ erhalten.“ Die Verkehrsbehörde verweist dagegen darauf, dass Schutzstreifen, Radfahrstreifen oder Fahrradstraßen immer unter den Aspekten der Verkehrssicherheit geplant werden würden.
Doch ADFC-Sprecher Dirk Lau fordert mehr: „Neben intensiver Aufklärung und Schulung der Lkw-Fahrer*innen müssen die Behörden laufend das Abbiegeverhalten kontrollieren, oder ob die Spiegel korrekt eingestellt sind, oder ob die Bremsen funktionieren.“
Auch die Stadtreinigung weiß, dass Abbiegeassistenten nur Teile des Problems lösen: „Da auch Abbiegeassistenten keine 100-prozentige Sicherheit bieten, werden unsere Fahrer/innen weiterhin ständig und intensiv geschult.“ In den Neuausschreibungen von Transportaufträgen will die Stadtreinigung künftig Wert darauf legen, dass bei Auftragnehmern Abbiegeassistenzsysteme vorhanden sind.
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