Opfervertreter zu päpstlichem Geheimnis: „Werden sehen, ob er Ernst macht“

Papst Franziskus hat den Schweigecode in Missbrauchsfällen beseitigt. Nun müsste die Kurie verlangte Dokumente aushändigen, sagt Francesco Zanardi.

Papst Franziskus ist seitlich zu sehen, wie er Treppenstufen hochsteigt

Franziskus stand unter Zugzwang – Opfer verlangten schon lange nach Transparenz Foto: reuters

taz: Herr Zanardi, Papst Franziskus hat entschieden, das sogenannte päpstliche Geheimnisse in Missbrauchsfällen, in denen Kleriker die Täter waren, abzuschaffen. Was bedeutet dies konkret?

Francesco Zanardi: Es öffnet vor allem staatlichen Ermittlungsbehörden einen neuen Zugang. Wenn zum Beispiel eine Anzeige gegen einen Priester eingeht, können sie in Zukunft Zugang zu kirchlichen Informationen erhalten, aus denen deutlich wird, ob dieser Priester schon eine Missbrauchsgeschichte hat. Bisher schmetterte der Vatikan immer wieder Rechtshilfeersuchen nationaler Justizbehörden aus anderen Ländern ab und versteckte sich dabei hinter dem „päpstlichen Geheimnis“. In Zukunft, das steht zu erwarten, wird der Vatikan dagegen die gewünschten Informationen bereitstellen.

Wäre damit das Schweigen, die systematische Vertuschung endgültig beseitigt?

Leider haben wir in Italien ein großes Problem, da keine Verpflichtung für die Kirche besteht, Missbrauchsfälle in ihren Reihen aus eigener Initiative bei den Staatsanwaltschaften zur Anzeige zu bringen. Allerdings ist es in meinen Augen nicht Sache der Kirche, diese Verpflichtung festzuschreiben, sondern Aufgabe der Staaten. Frankreich zum Beispiel hat dies schon getan. Und dort wurde im letzten März Kardinal Philippe Barbarin, Erzbischof von Lyon, zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, weil er einen Missbrauchsfall vertuscht hatte.

Sie erwarten jetzt also diesen Schritt von Italien und all jenen Staaten, die noch keine vergleichbare Regelung haben?

Gewiss, aber es muss noch mehr geschehen. Selbst wenn eine Anzeigepflicht eingeführt würde, wäre das noch nicht die Lösung. In Italien nämlich wird in den Missbrauchsfällen nur auf Anzeige des Opfers hin ermittelt. Selbst wenn ein gutwilliger Bischof einen seiner Priester anzeigen würde, würde das also nicht helfen. Auch hier muss das Gesetz geändert werden.

Francesco Zanardi, 48 Jahre, ist Leiter des italienischen Netzwerks der kirchlichen Missbrauchsopfer „Rete l’abuso“. Er selbst wurde im Alter von elf Jahren zum Opfer, drei Jahre lang verging sich der Priester an ihm. Verurteilt wurde der Täter zu eineinhalb Jahren Haft, verbrachte aber keinen einzigen Tag im Gefängnis.

Das „päpstliche Geheimnis“ hieß ja aber nicht nur, dass Informationen den staatlichen Stellen vorenthalten wurden. Was bedeutete es für die Opfer?

Oft genug tappten sie völlig im Dunkeln, erfuhren nie, welche Entscheidungen die Kirche in ihren eigenen Verfahren gegen die Täter getroffen hatte. Auf der anderen Seite wurde sowohl den Opfern als auch eventuellen Zeugen unter Androhung der Exkommunikation ein Schweigegebot auferlegt.

Charles Scicluna, Erzbischof und Stellvertretender Leiter der Glaubenskongregation im Vatikan, hat die Aufhebung des Päpstlichen Geheimnisses jetzt als „epochale Entscheidung“ bezeichnet. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ja gewiss, das ist durchaus eine historische Entscheidung. Nie vorher hat der Vatikan sich bereit erklärt, ihm vorliegende Informationen zu Missbrauchsfällen weiterzugeben. Und wir werden schnell sehen, ob er dann auch praktisch Ernst macht. Gerade läuft ein Rechtshilfeersuchen des italienischen Staats beim Vatikan, da geht es um den Missbrauchsfall eines Messdieners direkt in einem Vatikankolleg. Nach der Entscheidung von Papst Franziskus müsste die Kurie jetzt die verlangten Dokumente aushändigen.

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