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Aufstehen und stehen bleiben

Das Team des „Kiez-Döner“ ließ sich von dem Anschlag in Halle nicht zu Fremden machen, sondern schaffte ein Netz aus Solidarität. Aber was braucht es, damit die Solidarität andauert?

Von Pia Stendera

Es braucht offensive Al­lian­zen für den Umgang mit Hasskriminalität und Rechtsextremismus. Myriam Skalska, Rifat Tekin, Ismet Tekin und Izzet Cagac wissen das, denn für sie wurde die Bedrohung spätestens mit dem 9. Oktober 2019 unbestreitbar, in ihrer Stadt, in Halle.

Erinnern wir uns noch? An diesem Tag verübte ein 27-jähriger Deutscher in Halle einen antisemitischen und rassistischen Anschlag. Mit Anleitungen aus dem Internet hatte er sich Waffen und Sprengsätze gebaut. Mit diesen versuchte er an dem höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur, dem Tag der Sühne, gewaltsam in eine Synagoge einzudringen. Obwohl ihm dies glücklicherweise nicht gelang, hat der Täter an diesem Tag zwei Menschen getötet. Die Dateien über seine Tatvorbereitung hatte er in ein Forum hochgeladen, die Tat selbst übertrug er per Livestream.

Im „Kiez-Döner“ wurde der 20-jährige Kevin S. erschossen. Als der schwer bewaffnete Täter den Imbiss betrat, standen die Brüder Rifat und Ismet Tekin hinter der Theke. Myriam Skalska beobachtete das Geschehen aus einiger Entfernung. Ihr Partner Izzet Cagac, der damalige Besitzer des Ladens, kam einige Tage später in ein Leben zurück, das sich völlig verändert hatte.

Sie wurden von keiner der Kugeln getroffen, dennoch sind sie Opfer des Attentats. Nicht nur, weil sie den Anschlag beobachteten. Aus dem Video des Täters wird klar: Der tödliche Akt galt auch ihnen. Weil sie einen Dönerladen führen. Weil es Menschen gibt, die sie nicht als Teil Deutschlands begreifen. Es war ein Versuch, ihnen den Raum in dieser Gesellschaft abzusprechen.

Sie haben sich jedoch nicht zu Fremden machen lassen. Sie sind aufgestanden und haben sich mit anderen Opfern solidarisiert. Und sie haben Allianzen gestiftet, unabhängig von Herkunft und politischer Grundhaltung. Sie haben eine Beteiligung der Landespolitik gefordert. Sie haben sich ihren Platz in der Gesellschaft nicht streitig machen lassen, sondern ihn dort behalten, wo er schon war: mitten in Halle, nicht am Rande.

Anstatt aus dem Sichtfeld zu gehen, haben sie es genutzt. Izzet Cagac hat auf seinem Facebook-Account Linke wie Rechte dazu aufgerufen, zueinander zu finden, anstatt von Hass erfüllt zu sein. Daraufhin wurden er und sein Team mit Nachrichten und Solidaritätsbekundungen überschüttet. Es gab auch eine Gedenkdemonstration. Der Anschlag galt uns allen, und wir müssen zusammenstehen, lautete das Fazit.

Doch wie weit geht die Solidarität? Am Fall des „Kiez-Döner“ zeigt sich, dass sie nur wenig nützt, wenn sie lediglich punktuell passiert. Zur Wiedereröffnung des Ladens waren noch viele Menschen gekommen: aus der Nachbarschaft, aus dem Fanclub des Halleschen FC, dessen Fan Kevin S. war. Sogar ein Spieler des Halleschen FC und auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) waren unter den Besucher:innen. „Esst, das ist die beste Form der Solidarität“, sagte Haseloff. Was etwas platt klang, bewahrheitet sich nun.

Lohnt es sich überhaupt aufzustehen, wenn Solidarität eine andauernde Sensation braucht?

Der Laden hat heute massive Umsatzeinbußen. Die Dauer seiner Existenz ist nicht absehbar. Die Leute kommen nicht zum Essen. Der „Kiez-Döner“ war ein Tatort. Er wurde zu ­einem Gedenkort. Er bleibt ein Mahnmal. Dass so schnell keine Normalität einkehren würde, war abzusehen. Doch kann sich nicht auch die Solidarität aus der Sensation mit in die Normalität bewegen?

Lohnt es sich überhaupt aufzustehen, wenn Solidarität eine andauernde Sensation braucht? Was müssen wir tun, damit die Aufgestandenen stehen bleiben? Muss die Solidarität an Bedingungen geknüpft werden, um wirksam zu sein? Was braucht es politisch, was gesellschaftlich, damit der Wandel von der Defensiven in die offensive Bildung von Allianzen im Fluss bleibt?

Diese Fragen stellt auch die taz bei ihrem diesjährigen Kongress am 25. April. Der Fall „Kiez-Döner“ hat gezeigt, dass ein Aufbruch zum Besseren gewünscht ist. Er zeigt aber auch: Einmal aufgebrochen, ist die Ausgestaltung des Weges gar nicht so einfach.

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