: Dem Berufenen nachgespürt
Nicht immer verstandener, am Ende aber doch irgendwie großer Sohn Hamburgs: Auf den Spuren des Autors Hans Henny Jahnn – aus Anlass von dessen 125. Todestag
Von Frauke Hamann
Kerstin Kafke ist Wirtschaftsingenieurin, spielt Cello. 2008 stieß sie auf das Werk Hans Henny Jahnns (1894–1959), Hamburger Schriftsteller, Orgelbauer und Musikverleger, Landwirt und Hormonforscher. Mit „Perrudja“, diesem „Heimatroman der analen Zone“ (Walter Benjamin), und „Fluss ohne Ufer“, „einem der prächtigsten Prosawerke deutscher Sprache“ (Botho Strauß), hat er zwei große Romane geschrieben. Sein Drama „Medea“ interpretierte einen Mythos neu. Konventionen zu brechen, war ihm selbstverständlich. Er führte eine offene Ehe, lebte seine Homosexualität. Und als radikaler Pazifist verbrachte er beide Weltkriege im Ausland. Dieser „unbürgerliche Bürger“ opponierte: gegen den Verlust alter Kultur- und Handwerkstechniken, gegen die christliche Religion, vor allem opponierte er gegen die Endlichkeit.
Das Musizieren in der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi weckte Kafkes Interesse an der Arp-Schnitger-Orgel – und damit an Jahnn. Denn der Erhalt und die Restaurierung dieses barocken Schatzes, das war auch etwas, das Jahnn betrieb. Aus dem musikalischen Auftakt Kafkes wurde inzwischen ein Blog: „Im Kielwasser von Hans Henny Jahnn“ findet sich eine Fülle von Wissenswertem über Jahnn und seine Heimatstadt. Und die Jahnn-Aficionada Kafke bietet gelegentlich thematische Rundgänge an – wie jetzt, zu seinem 125. Geburtstag.
Der Nachlass
Treffpunkt an diesem 17. Dezember ist nicht die Högenstraße 61 in Stellingen, heute ein Hamburger Stadtteil, wo Jahnns Geburtshaus gestanden hat. Sondern die Staats- und Universitätsbibliothek, wo Jahnns Nachlass lagert. Mehr als 100 Zeichnungen sind darunter, viele Skizzen von Grabmalen und Sakralbauten. Vor uns liegt das Manuskript des „Holzschiffs“. Jahnn benutzte Schulhefte. Seine Handschrift: rund und gut lesbar. Wir sehen mehrere Typoskript-Fassungen von „Fluß ohne Ufer“. Auch der Tisch aus dem Arbeitszimmer auf Bornholm, an dem Jahnn diesen Großroman geschrieben hat, gehört zu den Archivalien; und seine bronzene Totenmaske.
Per Bus geht es an die Landungsbrücken: Vor der „Rickmer Rickmers“, diesem Vollschiff aus Stahl, berichtet Kerstin Kafke von Jahnns Kindheitsprägungen: Auf die Realschule in der nahen Seilerstraße ist er gegangen, kannte also die umliegenden Werkstätten und Hafenbetriebe. Vor allem: Jahnns Vater war Schiffbauer, und die Werft von Jahnns Onkel lag gleich auf der anderen Elbseite. Gebaut wurden dort damals – hölzerne Schiffe. Auf der Fahrt mit der Fähre nach Altona liest Kafke aus dem „Holzschiff“ vor. Ohne den Hafen und seine Welthaltigkeit ist Jahnn nicht denkbar.
„Orgelbauer bin ich auch“
Ein kurzer Fußweg führt zur Christianskirche, am Beginn der Elbchaussee. Ein Grabmal: „JAHN“, die eigentliche Schreibweise des Familiennamens. Hans Henny hat den dreibogigen Granitstein 1919/20 selbst entworfen, als Aufsatz für das Grab seiner Mutter in Stellingen. Nun steht er nahe dem Klopstock-Grab.
Abschluss und Höhepunkt des Geburtstagsrundgangs: ein Orgelkonzert in der vielen auch als „Klopstock-“ bekannten Kirche. Geschaffen hat das dortige Instrument ein Schüler Arp Schnitgers. Als offizieller Orgelsachverständiger wirkte Jahnn in den 1920er-Jahren daran mit, es zu re-barockisieren. Und an diesem Erinnerungsabend im Dezember ist Jahnn wieder gegenwärtig: Organist Rudolf Kelber spielt jene barocken Stücke, die Jahnn selbst einmal ausgewählt hat, 1931 war das, für ein Gedenkkonzert zu Ehren seines verstorbenen Geliebten Gottlieb Harms.
Die Grabrede auf Jahnn selbst hielt 1959 Dichterfreund Hans Erich Nossack: „Jeder von uns spürte den Engel hinter dir, der den Berufenen beigegeben ist.“ Und weiter, nicht ohne Pathos: „Du hast kein einziges mal Verrat an Dir geübt.“ Kirsten Kafkes Rundgang führt Menschen zusammen, die Jahnn berührt. Einer erzählt: „Ich habe „Perrudja“ während meines Referendariats gelesen, über mehrere Wochen.“ Ein anderer erinnert sich: „Ich habe im Deutschkurs ein Referat über „Das Holzschiff“ gehalten, weil ich aus dem üblichen Lektüre-Angebot ausscheren wollte.“ Und ein Dritter weiß noch: „Ich bin zu Jahnn ins Witthüs im Hirschpark gegangen“: ein reetgedecktes, 300 Jahre altes ehemaliges Gästehaus der alteingesessenen Familie Godeffroy im Stadtteil Blankenese. Später lebte Jahnn dort – „und er hat mir seine Bücher signiert“.
Geschick, Kenntnisse und Begeisterung: Wer mit Kerstin Kafke auf Spurensuche geht, lernt Jahnn als einen außerordentlichen Künstler in seiner Stadt kennen – und als einen „Mann ohne Ufer“: extrem in seinen Begabungen, in seinem Begehren. So stärkt sie das Gewebe von Künstler, Stadt und Werk.
https://jahnns-kielwasser.blogspot.com
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