Bremer Landeshaushalt: Kein Plan fürs Geld
Wie nach jedem Wahljahr steht Bremen aktuell ohne Haushalt da – freie Träger leiden darunter. Andere Bundesländer hätten für das Problem Lösungen.
Wann immer in den letzten 20 Jahren in Bremen gewählt wurde, gab es zum Jahresende keinen Haushaltsbeschluss, zum ersten Januar konnten keine neuen Projekte begonnen und keine Investitionen getätigt werden. Schließlich müsse sich die neue Regierung erst finden, so die Begründung. „Es gab einige neue Ressortzuschnitte, für zentrale Aufgaben musste neues Personal gefunden werden“, erklärt dieses Jahr Dagmar Bleiker, Sprecherin von Finanzsenator Dietmar Strehl (Die Grünen).
Die Eckwerte des Bremer Haushalts, also die Frage, wieviel Geld die einzelnen Ressorts bekommen sollen, hat der Senat im Oktober beschlossen. Bis zum Jahresanfang musste geprüft werden, ob die Behörden mit ihren Planungen diese Werte einhalten können.
Nun müssen die Deputationen beraten, bis dann Ende Mai endlich ein Haushaltsentwurf an die Bürgerschaft übergeben wird. Die soll in zwei Sitzungen bis zur Sommerpause abstimmen; am Ende stünden nach diesem Plan sechs Monate ohne Haushalt.
Eva Henkel, Sprecherin des Berliner Finanzressorts
Tatsächlich könnte sich der endgültige Beschluss sogar noch weiter verzögern. „Aktuell will die Regierung, dass die Bürgerschaft nur drei Wochen Zeit für die Haushaltsberatungen bekommt“, so der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Jens Eckhoff. „Wir lassen uns da aber nicht durchjagen.“ Eventuell steht ein Haushalt für 2020 und 2021 deshalb sogar erst im September. „Mehr als neun Monate, das geht gar nicht“, findet Eckhoff. „Das gab es so noch nie.“
Die Regierungsfraktionen und das Finanzressort verteidigen den langen Abstimmungsprozess. „Wir sind dieses Mal zu dritt – das macht es nicht leichter“, sagt Arno Gottschalk (SPD). „Die Schuldenbremse verschärft die finanzielle Lage. Da müssen wir einfach diskutieren“, so Klaus-Rainer Rupp (Linke).
Dazu kommt, dass der Koalitionsvertrag wenig konkrete Vorgaben für die Verhandlungen macht. Der damalige Grünen-Chef Hermann Kuhn hatte schon im Herbst angekündigt, die Haushaltsverhandlungen würden „zu den nächsten Koalitionsverhandlungen.“
Nun bedeutet eine haushaltsfreie Zeit nicht, dass das Land stillsteht. Für Pflichtaufgaben können die Ausgaben weiterlaufen: Personal, die Fortführung bereits begonnener Projekte, die Erfüllung eingegangener Verträge. Ausgenommen von der Sperre hat der Senat auch bestimmte Verstärkungsmittel.
Leidtragende gibt es trotzdem. In Bremen sind das klassischerweise etwa die freien Träger der Offenen Jugendarbeit. Ihre Projekte können zwar weiter gefördert werden. Allerdings beurteilt das Amt für Soziale Dienste die Zuwendungen nicht auf Basis des tatsächlichen Bedarfs, sondern gewährt die Mittel vorläufig, auf der Grundlage des vergangenen Jahres, „als ob es einen Haushalt gäbe“ – auch dann, wenn, wie dieses Jahr, Tarifverträge zu Gehaltssteigerungen führen und das Geld damit hinten und vorne nicht reicht.
Im Mädchentreff in Huchting bekommt man die Einschränkungen zu spüren. „Der Hauptteil unseres Geldes ist für fixe Ausgaben verplant, für Personal und Mieten“, so Leiterin Susan Ella-Mittrenga. „Spielmasse“ sind Angebote wie Ausflüge oder Ferienkurse – im Zweifel fallen sie weg. Dazu kommt: Mitarbeiter*innen würden bei einer unsicheren Finanzierung durchaus mit Jobwechsel reagieren, so Ella-Mittrenga. „So kommen bestehende Strukturen immer wieder zum Erliegen“, klagt die ehemalige Grünen-Politikerin.
Andere Bundesländer haben Lösungen
Viele andere Bundesländer haben das Problem nicht. Wenn der Haushalt in Hamburg nicht pünktlich steht, beantragt der Senat bei der Bürgerschaft die vorläufige Haushaltsführung. Und in Berlin und Niedersachsen scheint eine haushaltslose Zeit über ein halbes Jahr für dortigen Finanzressorts schwer vorstellbar: „Wahlen sind ja ein ganz normales demokratisches Verfahren. Es ist ja nicht so, als wäre eine Apokalypse über Bremen hereingebrochen“, sagt etwa Eva Henkel, Sprecherin des Berliner Finanzressorts.
In Berlin verabschiedet vor Wahlen die alte Regierung den Haushalt auch fürs neue Jahr – entweder als Doppelhaushalt oder, in ungeraden Wahljahren wie 2021, über einen vorläufigen Haushaltsbeschluss. Das neue Parlament kann dann nach der Wahl eigene Schwerpunkte über einen Nachtragshaushalt setzen. Nach der Berlin-Wahl vom September 2016 stand dieser Anfang 2017 fest.
In Bremen sieht man das Problem nicht
In Bremen habe man über so etwas noch nicht nachgedacht, erklärt Gottschalk. „Ich sehe auch den Sinn nicht ganz. So oder so muss eine neue Regierung ihr Programm in den Haushalt umsetzen.“ Die haushaltslose Zeit sei auch kein rechtsfreier Raum: „Die meisten Programme laufen ja weiter.“
Ella-Mittrenga hat ihre eigene Vermutung: „Ich glaube, dass diese Zeit viel Geld spart, das ist politische Absicht.“ Gespart wird tatsächlich bis ein fester Haushalt steht, das bestätigt die Finanzbehörde – Absicht sei das aber nicht. Das glaubt auch Eckhoff: „Aber ich weiß nicht, was schlimmer wäre: absichtlich zu sparen oder aus Unvermögen.“
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