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Filmen verboten

Dashcams sollen bei Autounfällen die Schuldfrage klären. Dabei ist permanentes Filmen illegal – als Beweisstück sind Aufnahmen aber trotzdem zulässig. Datenschützer setzen auf technische Weiterentwicklungen

Wer beim Fahren filmt, hofft auf Vorteile vor Gericht – und bewegt sich selbst auf rechtlich unsicherem Terrain Foto: Rene Ruprecht/dpa

Von André Zuschlag

Auf Videoplattformen sind kurze Filme, die mit einer Dashcam aufgenommen wurden, äußerst beliebt – zeigen sie doch vielfach den alltäglichen Wahnsinn im Straßenverkehr und besonders spektakuläre oder skurrile Momente abseits der Straße. Wobei die Kameras eigentlich Autofahrer*innen dienen, um Verkehrsabläufe zu dokumentieren und so die Frage des Verschuldens bei Verkehrsunfällen zu klären oder Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer nachzuweisen. Doch rechtlich betrachtet, ist der Einsatz von Dashcams eigentlich verboten. Eigentlich.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte Mitte vergangenen Jahres entschieden, dass der Betrieb einer Dashcam, die ohne konkreten Anlass permanent den öffentlichen Straßenraum aufzeichnet, gegen geltendes Recht verstößt. Bei einem anlasslosen Dauerbetrieb einer Dashcam überwiegt das Recht der unbeteiligten Verkehrsteilnehmer*innen auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten. Die Datenschutzaufsichtsbehörden können bei einem Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung empfindliche Bußgelder verhängen. „Permanentes und anlassloses Filmen des öffentlichen Raums bleibt für Privatpersonen verboten“, sagt Daniela Mielchen, Fachanwältin für Verkehrsrecht in Hamburg.

Allerdings hat die Entscheidung des BGH einen Haken: Das Gericht sieht die Verwendung entsprechender Aufzeichnungen zu Beweiszwecken als zulässig an. „Über die Frage der Verwertbarkeit ist vielmehr aufgrund einer Interessen- und Güterabwägung nach den im Einzelfall gegebenen Umständen zu entscheiden“, schob der BGH in seiner Begründung nach.

Anwältin Mielchen kritisiert das: „Damit ist noch immer keine Rechtssicherheit gegeben.“ Weiterhin entscheidet sich also im Einzelfall, welche Rechtsidee höher zu werten ist: Datenschutz oder Beweissicherung? Bundesweit gab es in den vergangenen Jahren verschiedene Urteile zur Verwendung von Filmaufnahmen mit Dashcams als Beweismaterial. Einerseits gilt das allgemeine Interesse des Persönlichkeitsschutzes, andererseits ist es nachvollziehbar, dass Dashcams in der Rechtspraxis weiterhelfen können.

Der BGH verwies auf „das Interesse des Beweisführers an der Durchsetzung seiner zivilrechtlichen Ansprüche, seinem im Grundgesetz verankerten Anspruch auf rechtliches Gehör in Verbindung mit dem Interesse an einer funktionierenden Zivilrechtspflege.“ Heißt konkret: Kann jemand mit einer Aufnahme nachweisen, dass sich ein Unfall anders darstellt als vermutet, sollten Richter*innen das Material verständlicherweise auch nutzen können, um kein Fehlurteil zu fällen.

Eine einfache Dashcam gibt es bereits ab rund 30 Euro mit Full-HD-Bildqualität, Weitwinkelobjektiv und Nachtsichtfunktion. Noch günstiger ist eine App fürs Handy. Inzwischen gibt es die Ausrüstung auch für Radfahrer*innen, die entweder eine Dashcam am Lenker oder aber eine eingebaute Actioncam direkt am Fahrradhelm nutzen können.

Damit, so die Hoffnung, hätte man als Radfahrer*in gegen Autos oder Lkws, die beim Abbiegen nicht auf die schwächeren Verkehrsteilnehmer*innen achten, zumindest anschließend vor Gericht eine deutlich bessere Ausgangsposition. Sonst steht in den Auseinandersetzungen meist Aussage gegen Aussage.

Momentan sind es vor allem die Datenschutzbehörden von Bund und Ländern, die sich Gedanken machen, wie die Rechtsunsicherheit gelöst werden kann. Dort finden derzeit Gespräche über Anforderungen an einen bundesweit einheitlichen Betrieb der Dashcams statt. Eine Lösung könnte darin liegen, die technischen Fähigkeiten der Dashcams zu erhöhen.

„Im Sinne des Datenschutzes sind technische Lösungen zu nutzen, die das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten wahren, wie es beim Einsatz von nur anlassbezogen speichernden Crashcams der Fall ist“, sagt der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar.

Akten in einen Hamburger Gerichtssaal: Aufzeichnungen von Dashcams sind als Beweisstück zulässig Foto: Axel Heimken/dpa

So wäre es denkbar, dass Dashcams zwar weiterhin durchgehend filmen, aber erst langfristig speichern, wenn es einen konkreten Anlass gibt. „Durchaus legitime Interessen von Fahrzeughaltern müssen insofern nicht zwangsläufig mit dem Datenschutzrecht kollidieren“, sagt Caspar.

Allerdings: Die Dashcams würden im ersten Moment die Aufnahmen trotzdem speichern, nur würden sie nach einer gewissen Zeit durchgehend überschrieben werden. Auch das sieht die Verkehrsrechtsanwältin Mielchen kritisch: „Technische Lösungen gehen damit ein Stück weit am geltenden Recht, das anlassloses und permanentes Filmen verbietet, vorbei.“ Das zeigt: Solange diese Frage rechtlich nicht geklärt ist, bleibt der Einsatz von Dashcams kritisch zu sehen.

Zu Recht. Denn es stellt sich die Frage nach dem grundsätzlichen Nutzen von Dashcams – vom Unterhaltungsfaktor auf Videoplattformen abgesehen. Denn im Schnitt 1,6 Mal pro Leben hat jeder Mensch einen Autounfall. Und dabei wiederum ist die Schuldfrage in den allerwenigsten Fällen unklar – und nur dann könnte eine Dashcam tatsächlich weiterhelfen.

„In unserer Kanzlei erleben wir das höchstens in zwei bis drei Prozent der Fälle“, sagt Daniela Mielchen. Und moderne Autos sammeln ohnehin schon unzählige Daten bei Unfällen, was meist völlig ausreichend ist. Hinzu kommt: Wer während des Fahrens filmt, setzt sich auch immer der Gefahr aus, dass damit eigenes Fehlverhalten dokumentiert wird. Zudem läuft man Gefahr, dass bei einer Polizeikontrolle nicht nur Bußgelder drohen. Die Polizei kann die Dashcam samt der Aufnahmen zur Auswertung auch problemlos beschlagnahmen.