piwik no script img

SiesinddieCoolsten,wennsiecruisen

Aufheulende Motoren, knatternde Auspuffe – in Norwegen existiert eine Jugendkultur, die angesichts des Klimawandels aus der Zeit gefallen scheint. Die Fotografin Claudia Neubert hat die „Rånere“ begleitet

Nach der Schneeschmelze kommen sie zum Vorschein, die Reifenspuren. Sie schlängeln sich über den Asphalt wie kleine Kunstwerke, ziehen sich kilometerweit durchs Tal und bilden einen bizarren Kontrast mit der unberührten Landschaft Norwegens. Als die Fotografin Claudia Neubert vor drei Jahren diese besondere Art der Straßenmalerei entdeckte, war sie fasziniert von ihrer industriellen Anmutung, die so gar nicht zu der ländlichen Umgebung zu passen schien. Und fragte sich: Wer steckt dahinter?

Da ist zum Beispiel Mikkel, der jeden Samstag stundenlang die einsame Fjordstraße im Dorf rauf- und runterfährt, als sei es ein altes Ritual. Und Mikkel ist nicht der Einzige, der so etwas macht. Er ist ein „Råner“, wofür es auf Deutsch kein eigenes Wort gibt, was aber so viel heißt wie: Jugendlicher, der ziellos mit dem Auto herumfährt. Mikkel ist Teil einer weit verbreiteten Subkultur auf Rädern. Vor allem auf dem Land und in Kleinstädten sind die Råner unterwegs, meist mit einem alten Volvo, Mercedes oder BMW.

Was die Råner so machen? An Tankstellen herumstehen. Abhängen. Und natürlich fahren, einfach um des Fahrens willen. Das Rånebil, das Auto, ist Treffpunkt, Statussymbol und mag angesichts der Klima­krise wie ein aus der Zeit gefallenes Relikt wirken, aber im Gegensatz zu den aufgemotzten und extraschnellen Autos in anderen Liebhaberkreisen haben die Råner alte Karren, die teilweise höchstens 40 Kilometer pro Stunde fahren.

Es geht eben nicht primär um Geschwindigkeit, sondern darum, in Bewegung zu bleiben, in Dörfern, in denen es oft kein richtiges Zentrum gibt und die Höfe meilenweit auseinanderliegen. Viele übernehmen später den elterlichen Betrieb, werden Mechaniker, bleiben in der Gegend. So sorgen sie auch dafür, dass die Dialekte nicht aussterben.

Doch vorher gilt es, ein paar Jahre der Freiheit zu genießen. Die Råner hören norwegische Countrymusik und singen laut mit, kutschieren Mädchen auf dem Rücksitz durch den Ort und küren bei Autotreffen die lautesten, abgefucktesten und schönsten Modelle. Sie fahren freitagabends im Konvoi um die Tankstelle, manchmal vor 200 Zuschauern, und dann ist es laut und stinkt, und alle sind begeistert.

Die Schnörkel auf den Straßen sind der Höhepunkt; die Entsprechung dessen, was für junge Großstädter Graffiti sind: Seht her, ich war hier! Die kleinen Kunstwerke entstehen übrigens durch sogenannte Burn-outs, eine nicht ganz unkomplizierte Fahrtechnik, bei der man gleichzeitig Gas gibt und bremst. Womöglich die perfekte Analogie auf die sozialen Dimensionen und Dynamiken des Erwachsenwerdens im ländlichen Norwegen. Franziska Seyboldt

„Råne“ ist die Abschlussarbeit von Claudia Neubert an der Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Vom 25. Januar bis zum 8. März sind ihre Bilder in einer Ausstellung in Schloss Wiligrad bei Schwerin zu sehen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen