Auf Du und Du mit den Niederlanden: Zwei Semester Frittenstudim

Ein Lern-Aufenthalt in den Niederlanden bringt vielfältige Erkenntnisse mit sich. Über die Freude an Fettgebackenem und Teilzeit arbeitende Chefs.

Zwei Damen in orangen Hüten und Jacken essen Pommes mit Mayo

Niederländer stehen auf Frittiertes: Zwei Damen essen Pommes mit Mayo Foto: Britta Pedersen/dpa

HAMBURG taz | Patat oorlog – Pommes „Krieg“ – das sind Fritten mit Mayonnaise und Erdnusssoße, garniert mit kleinen Zwiebelstückchen. Klingt fies? Schmeckt aber leider geil. Wenn man sich für eine Weile – zum Beispiel als Austauschstudentin – in den Niederlanden aufhält, merkt man schnell: Die lieben ihr Frittiertes.

In der Gemeinschaftsküche meines Wohnheimtrakts gab es zwei Herde, zwei Mikrowellen und fünf Fritteusen. Und diese Zuneigung zur Pinda, der Erdnuss, stammt noch aus Zeiten, als die Niederländer eine stolze Handelsflotte und Kolonien unter anderem in Nederlands-Indië, dem heutigen Indonesien, unterhielten. Damals war man noch eine Republik und ein Global Player! Das heutige Königshaus hat man sich erst später wieder zugelegt.

Warum genau ich vor 16 Jahren ein Studium der vergleichenden Landeswissenschaften Niederlande-Deutschland aufnahm, kann ich nicht mehr so richtig sagen. Ich weiß noch, dass ich Lust hatte, etwas Gesellschaftswissenschaftliches zu machen und eine neue Sprache zu lernen. Eine eindeutige Berufswahl folgt daraus natürlich nicht – man sieht ja, wohin das geführt hat.

Der Satz „Ich spreche fließend Niederländisch“ macht einen aber zum Star jeder Küchenparty, und auf so manchem europäischen Campingplatz bringt dich Niederländisch sogar weiter als Englisch. Die anderthalb Jahre in der kleinen Universitätsstadt Nijmegen zähle ich zu den besten meines Lebens.

Zwischen den Jahren geht es der taz nord um ihre Grenzen – und darum, was die Menschen daraus machen. Heute: die - in fast allem - liberalen Niederlande.

Dass Marihuana in den Niederlanden geduldet ist, war zu jener Zeit ziemlich spektakulär. Umso erstaunlicher war die Erkenntnis, dass eigentlich nur die Touristen und Erasmus-Studenten kifften; die Einheimischen fanden rauchen generell eher uncool. Gute Fahrradinfrastruktur war ich aus Münster gewöhnt, aber bei den Nachbarn funktionierte das alles nochmal deutlich besser.

Das Internet im Wohnheim war rasend schnell – damals begann ich, Serien staffelweise und im Originalton zu schauen. Und dabei wurde mir auch schnell klar, warum hier Generationen übergreifend so gut Englisch gesprochen wurde. Fünf Staffeln „Grey's Anatomy“ im Original mit Untertiteln sind für das Hörverständnis enorm förderlich.

Skandalös war die TV-Sendung „Spuiten en Slikken“ (Spritzen und Schlucken), bei der zwei junge Typen im Joko-und-Klaas-Format pro Folge eine Droge und eine Sexpraktik testeten, begleitet von medizinischem Fachpersonal. Das lief auf dem öffentlich-rechtlichen Sender. Bei RTL testete man derweil ein neues Format namens „Boer zoekt Vrouw“, das meine Mitbewohnerinnen begeistert verfolgten – und das kurz darauf erfolgreich exportiert wurde.

An die zwei Semester Studium hängte ich ein sechsmonatiges Praktikum in der Handelskammer. Erstaunliche Erkenntnis dort: Einige Führungskräfte aus dem mittleren Management arbeiteten in Teilzeit, sogar Männer! – in Deutschland undenkbar. Überhaupt gab es viel mehr Teilzeitarbeit und viel mehr arbeitende Mütter.

Und im Albert-Heijn-Supermarkt gab es eine riesige Vielfalt fertig geschnippelten Gemüses, sodass auch mit wenig Zeitaufwand noch ein gesundes Abendessen gekocht werden konnte. Das musste übrigens um Punkt 18 Uhr auf dem Tisch stehen. Mittags wurde dafür kalt gegessen und in der Kantine gab es nur Sandwiches und Snacks (natürlich frittiert).

Die meisten Niederländer, mit denen ich zu tun hatte, pflegten eine Art Hassliebe zu Deutschland. Einerseits sind die Deutschen in Europa recht dominant und nerven damit ein bisschen. Sowohl politisch als auch durch die schiere Anzahl an Menschen – allein Nordrhein-Westfalen hat mehr Einwohner als die gesamten Niederlande. Als eine dieser latent nervigen Deutschen wurde ich aber stets freundlich aufgenommen und fand schnell Anschluss.

Leider geil

Wenn Niederländer ein bisschen betrunken sind und Deutsche nachahmen wollen, sprechen sie mit lauter, tiefer Stimme und sagen sehr oft „Jaah jawohl ja“. Vielleicht auch, weil die niederländische Sprache schon grammatikalisch deutlich schnörkelloser ist als das Deutsche, empfand ich die Nachbarn oft als erfrischend direkt.

Einen Konjunktiv gibt es natürlich, er wurde aber selten benutzt. Und man scheute sich nicht, die Dinge beim Namen zu nennen: Eine der ersten Lektionen in meinem Niederländischlehrbuch drehte sich um „hondenpoep“ – Hundekacke.

Heutzutage schaffe ich es viel zu selten über die Grenze. Doch jedes Mal erfasst mich eine wunderbare Heimeligkeit – die natürlich viel mit Nos­talgie zu tun hat. Und das erste, was ich dann tue, ist einen Imbiss aufzusuchen, mein völlig eingerostetes Niederländisch zusammenzukratzen und mir eine Portion patat oorlog zu bestellen. Sorry, leider geil.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.