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Schaut auf diese Uni!

Studierende der TU Darmstadt solidarisieren sich mit den Protesten in Hongkong.
Darunter zwei Austauschstudenten aus China. Anderen Landsleuten geht das zu weit

Symbol der Proteste in Hongkong: die geräumte Poytechnische Universität, hier am 29. November Foto: Justin Chin/bloomberg/getty images

Aus Darmstadt Kevin Culina

Es ist eine erstaunliche Kooperation: Lee aus Hongkong, groß und mit Brille, der sagt, dass er für Frieden und Demokratie in Hongkong bete. Und Franklin aus China, etwas kleiner, der schnell und aufgeregt spricht und seine Argumente mit unzähligen Videos zu untermauern sucht. Beide studieren in Darmstadt und sorgen sich um die Zukunft Hongkongs. So sehr, dass sie zu drastischen Worten greifen. „Ich sehe hier, von außen, wie meine Hongkonger Freunde vielleicht vernichtet werden“, sagt Lee und wirkt dabei sehr ergriffen. Die beiden Austauschstudenten haben beschlossen, nicht mehr länger zusehen zu wollen, wie die Demokratie in der Sonderverwaltungszone vor die Hunde geht.

Seit Mai dieses Jahres protestieren immer wieder Zigtausende Hongkonger gegen den zunehmenden politischen Einfluss aus China. Die Peking-nahe Regierung geht gewaltsam gegen die Proteste vor, Demonstrant*innen liefern sich immer wieder Straßenschlachten mit der Polizei. Zum Sinnbild des Protestes wurde die gewaltsame Räumung der Polytechnischen Universität. Weltweit solidarisierten sich Politiker*innen, Künstler*innen und natürlich Hochschulen mit den Hongkonger Studierenden (siehe Spalte).

Einstimmig für Resolution

So auch in Deutschland. Unter anderem in Lüneburg, Heidelberg und Berlin haben sich Studierendenvertretungen solidarisch mit Hongkong erklärt – und dank Lee und Franklin auch in Darmstadt. Mit vier weiteren Mitstreiter*innen initiierten sie eine Resolution. „Solidarität mit Protesten in Hongkong“ heißt sie und wurde am 20. November einstimmig vom Studierendenparlament der Technischen Universität Darmstadt beschlossen. Doch wie auch an anderen Hochschulen sind nicht alle mit dieser Resolution einverstanden.

In Darmstadt sei eine über 10-köpfige Delegation des Vereins der Chinesischen Wissenschaftler und Studenten in Darmstadt (VCWSD) in den Büroräumen der Studierendenvertretung aufgetaucht und habe eine Rücknahme der veröffentlichten Resolution gefordert, erinnert sich AStA-Vorstand Felix Ziegler. „Das Auftreten war teilweise feindselig“, beschreibt er den Besuch. Man habe versucht, im Gespräch den Entstehungsprozess verständlich zu machen, aber „aus dem Gespräch ist keine Versöhnung mehr entstanden“. Die Delegation habe angekündigt, „weiter gegen uns vorgehen zu wollen und Proteste zu planen“, so Ziegler.

Unter ausländischen Studierenden an deutschen Universitäten ist die Gruppe der Chinesen am größten, 42.676 waren es im Wintersemester 2018/19. Wie viele Chinas Rolle in Hongkong kritisch sehen, ist schwer zu sagen. Lee und Franklin zumindest sind zwei von ihnen. Lee studiert Informationstechnik, arbeitet zudem bei einem großen deutschen Technikunternehmen. Seinen vollen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er hat Angst vor Verfolgung. Anlass dazu geben ihm die hitzigen Diskussionen über die Rolle Chinas in Hongkong, die nicht nur an seiner Hochschule entbrannt sind. So berichtet der AStA der TU Berlin von Morddrohungen nach ihrer Soli-Aktion mit Hongkong. Einschüchtern wolle man sich jedoch nicht lassen.

Auch Franklin ist besorgt. Der 23-Jährige, der eigentlich anders heißt, wohnt erst seit Kurzem in Darmstadt, studiert Maschinenbau. Das Leben in Deutschland ermögliche ihm „persönliche und akademische Freiheit“, die er aus China nicht kenne. In seiner Heimat sieht Franklin derzeit keine Zukunft für sich. „Mir war früh klar, dass ich raus will aus China“, sagt der im Südwesten des Landes aufgewachsene junge Mann. „Das chinesische Regime bedroht die Freiheit der Welt“, sagt er. Und, „wir müssen etwas gegen die aufstrebende Macht der Regierung unternehmen“, insbesondere an einem auch für China so wichtigen Technikstandort wie Darmstadt.

Bei vielen seiner Kommiliton*­innen stoßen Lee und Franklin mit ihrem Anliegen auf offene Ohren. So bewundert das Studierendenparlament in seiner Resolution den „Mut“ der Demonstrant*innen, „trotz der lebensbedrohlichen Umstände für ihre Grundrechte und die Menschenrechte in Hong Kong einzustehen“, und verurteilt „die kompromisslose, gewalttätige und menschenrechtsverletzende Vorgehensweise der Regierung und der Polizei“. Außerdem solle die TU Darmstadt prüfen, ob Kooperationen und Austauschprogramme mit den Partneruniversitäten in Hongkong angesichts der Polizeigewalt „noch ethisch tragbar sind“.

Die TU Darmstadt sieht jedoch „keinen Anlass“, die Kooperationen mit den Partner­uni­versitäten in Hongkong „in irgendeiner Weise einzuschränken“, heißt es in einer Stellungnahme. Man betrachte „enge internationale Beziehungen zwischen Hochschulen unter demokratischen Bedingungen als sehr sinnvoll“ und schätze die „‚Brücken bauende‘ Funktion von Netzwerken“, heißt es. Man biete Darmstädter Austauschstudierenden jedoch eine umgehende Rückholung an. Einer von vier hätte dieses Angebot angenommen.

Ähnlich zurückhaltend ist auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK): „Nach aller Möglichkeit sollten die Kommunikationskanäle, gerade auch in schwierigen Zeiten, offen gehalten werden“, heißt es auf Anfrage der taz. Der Zusammenschluss deutscher Hochschulen und Universitäten wolle den „akademischen Austausch“ aufrechterhalten und „gerade jetzt eine wichtige Stütze sein“, so die HRK. Fast wortgleich plädiert auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) für die Fortführung bestehender Programme.

Der AStA der TU Berlin berichtet gar von Morddrohungen nach ihrer Soli­aktion mit Hongkong

„Ich bin ganz froh über die Reaktion der Uni“, kommentiert Ziegler vom AStA der TU Darmstadt. Ziegler betont, dass die Resolution ein Zeichen der Solidarität mit den Protesten in Hongkong sein sollte, die Forderung nach Aussetzung der Kooperation empfinde er im Nachhinein als „etwas unglücklich“. Auch der AStA setze auf „wissenschaftlichen Austausch als Zeichen der Solidarität“.

Die Reaktionen auf die Resolution seien heftig und unerwartet ausgefallen. Einige wütende und vorwurfsvolle Zuschriften habe der AStA bekommen, insbesondere von den chinesischen Studierenden der TU. „Hongkong gleicht aktuell einem Kriegsschauplatz“, schreibt der Verein, dessen Mitglieder beim AStA vor der Tür standen, im chinesischen sozialen Netzwerk WeChat. Man sei „nicht gegen rationale, friedliche Demonstrationen“, die Proteste in Hongkong seien angesichts der massiven Gewalt, etwa durch Brandstiftung, „nicht akzeptabel und sollten auch nicht unterstützt werden“, heißt es. Der VCWSD verweist auf ein Video, in dem ein Passant, der sich negativ über die Proteste äußerte, in Brand gesetzt und verletzt werde. Bis Redaktionsschluss konnte der VCWSD der taz keine studentische Ansprechperson aus Darmstadt nennen.

Lee und Franklin berichten von Anfeindungen. Lee sei vermehrt auf WeChat gesperrt worden, Franklin kürzlich auf einer Party von anderen chinesischen Studierenden als „Vaterlandsverräter“ bezeichnet worden, weil er Verständnis für die Hongkonger Proteste andeutete. Die TU Darmstadt teilt mit, dass ihr „keine Fälle von ‚Anfeindungen und Bedrohungen‘ unserer Austauschstudierenden bekannt“ seien.

Öffentliche Positionierungen würden Lee und Franklin vermeiden, bei einer kleinen Kundgebung in Frankfurt am Main verhüllten sie ihr Gesicht, erzählen sie. Weitermachen wollen die beiden aber auf jeden Fall, der Zuspruch vieler Studierender auf die Resolution habe sie bestärkt.

Von vielen positiven Rückmeldungen ist auch an der TU Berlin zu hören. In Lüneburg und Heidelberg seien sogar gar keine negative Zuschriften eingegangen.