: Kein Platz für Liberale
Die FPÖ war von Beginn an von Nazis geprägt, wie die österreichische Historikerin Margit Reiter zeigt
Von Ralf Leonhard
Im August hat die FPÖ eine Zusammenfassung eines „Historikerberichts“ über die braune Vergangenheit der Partei veröffentlicht. Die Kritiken fielen vernichtend aus. Statt sich der eigenen Geschichte zu stellen, unternahm die FPÖ einen Reinwaschungsversuch. Die Geschichtsklitterung ist Parteilinie. Erst anlässlich der Nationalratswahlen Ende September hat Parteichef Norbert Hofer die FPÖ als „in der Tradition von 1848“ dargestellt, also als Erbin der liberalen Burschenschaften, die für die Demokratie auf die Barrikaden stiegen. Hofer hätte das Buch der Historikerin Margit Reiter lesen sollen. Es ist die bisher umfangreichste Aufarbeitung der Entstehungsgeschichte der Freiheitlichen Partei Österreichs. Und an der Wiege standen nicht liberale Demokraten, sondern völkische Ex-Nazis, die „Ehemaligen“.
Obwohl weder die FPÖ noch die dieser nahestehenden schlagenden Burschenschaften der Historikerin ihre Archive öffneten, hat Reiter aus verschiedensten Quellen dokumentiert, wie stark die einzelnen Protagonisten dem Denken der Nationalsozialisten verhaftet waren. Bei ihren Recherchen stieß sie auch auf die Aufzeichnungen von Anton Reinthaller, dem ersten Parteichef. Der Großbauer, der sich immer seiner niedrigen NSDAP-Mitgliedsnummer gerühmt hatte, diente als Landwirtschaftsminister im Übergangskabinett nach dem Anschluss Österreichs 1938 und bekleidete dann den Posten des Unterstaatssekretärs im deutschen Landwirtschaftsministerium. Er gehörte zwar altersbedingt (Jahrgang 1895) keiner kämpfenden Truppe an, war aber SS-Mitglied und Träger zahlreicher Auszeichnungen. Nach dem Krieg wurde er vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zu drei Jahren Kerker verurteilt, aber bald darauf von Bundespräsident Theodor Körner begnadigt. Namhafte ÖVP-Politiker und ein Bischof hatten sich für ihn eingesetzt.
Reinthaller hatte sich während des Prozesses als Opfer inszeniert, das an das Gute im Nationalsozialismus geglaubt habe, aber von einer „korrupten Führung getäuscht“ und enttäuscht worden sei. Von seiner völkischen Gesinnung rückte er in keinem Moment ab. Auch aus seinen nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Notizen geht klar hervor, dass Reinthaller dem Gedankengut des Nationalsozialismus verhaftet blieb. Sie stehen unter dem vielsagenden Titel „Gedanken, die ich seit 1945 gezwungen bin zu wälzen“. Es geht um „üble wirtschaftliche Machenschaften“ des „zugewanderten Judentums“. Den Vorwurf, Deutschland habe „den Militarismus gezüchtet“ und den Krieg „planmäßig vorbereitet“, weist er zurück. Der Nationalsozialismus habe immer nur aus der Defensive gehandelt.
Im Diskurs der Ehemaligen wurden Leute mit NS-Vergangenheit oft als „die Anständigen“ bezeichnet, ein Terminus, den noch Jörg Haider in den 1990er Jahren bezüglich SS-Veteranen bemühte. Die Internierungslager der Besatzungsmächte wurden mit KZs gleichgesetzt und die Befreiung 1945 als „Zusammenbruch“ beklagt.
Als Sammelbecken für die „Ehemaligen“ war 1949 der Verband der Unabhängigen (VdU) gegründet worden. Er wollte allen, die nach der Entnazifizierung wieder ihre bürgerlichen Rechte ausüben, also auch wählen durften, politische Heimat sein. Das erhoffte politische Gewicht stellte sich aber nicht ein. Und nach inneren Richtungskämpfen, bei denen die „Liberalen“ gegen die „Nationalen“, also Deutschnationalen, unterlagen, bildete sich 1955/56 aus dem VdU die FPÖ heraus, an deren Spitze Männer mit SS-Vergangenheit gewählt wurden, allen voran Anton Reinthaller.
Anders als die heutige Parteispitze behauptet, war die FPÖ von Beginn an eine von Nazis geprägte Partei, in der die Liberaldemokraten keinen Platz hatten. Während Reinthaller als NS-Bürokrat vor allem Schreibtischtäter war, hatte sein Nachfolger als FPÖ-Chef, Friedrich Peter, als SS-Obersturmführer in einer Einheit gedient, die hinter der Front systematisch Hunderttausende Juden ermordete. Ihm muss man zugutehalten, dass er zu seiner Vergangenheit auf Distanz ging und die Partei für „Liberale“ zu öffnen versuchte.
Die Autorin zeigt die personellen und ideologischen Kontinuitäten zum Nationalsozialismus in der FPÖ auf und füllt die Forschungslücke, die die von der FPÖ beauftragten Historiker mit ihrem 1.000-seitigen Bericht weit offen lassen.
Margit Reiter: „Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ“. Wallstein, Göttingen 2019, 392 S., 28 Euro
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