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Lasst uns zu den Kindlein kommen

Die Schule ist in Bremen dank Landesverfassung säkularer als die der übrigen Bundesländer im Westen. Der Religionsunterricht ist hier bekenntnisneutral. Die evangelische Kirche drängt trotzdem ans Kind und verlagert den Akzent auf interventionistische Arbeit

Von Benno Schirrmeister

Die Bremische Evangelische Kirche (BEK) schließt Mitte kommenden Jahres ihre Jugendkirche in Gröpelingen. Das wurde bei der Herbstsitzung ihres Parlaments, des Bremer Kirchentags, bekannt gegeben. Die Jugendlichen will sie deshalb aber noch lange nicht allein lassen: Sie setzt stattdessen auf mobile Angebote und verlagert den Akzent auf stärker aufsuchende, vielleicht gar interventionistische Arbeit: Schulen hätten „die Möglichkeit, diakonische MitarbeiterInnen zu buchen“, so Schriftführer Bernd Kuschnerus, der Leitende Theologe der BEK. Man kooperiere mit Schulen „in Form von divers ausgerichtetem Unterricht, Exkursionen und Seminarfahrten“, heißt es in einem Handout.

Das säkulare Forum Bremen sieht das als Teil einer „gigantischen Unterwanderung des konfessionsfreien Unterrichts an Bremens Schulen“, so dessen Sprecher Herbert Thomsen. In Bremen ist, anders als in den anderen westdeutschen Bundesländern, selbst Religion kein bekenntnisorientiertes Fach, eine im Grundgesetz getroffene Sonderregelung, die in der Landesverfassung wurzelt: Säkularer ist Schule sonst nirgends. Jetzt aber hätten immerhin „schon 22 oder 23 Schulen“ an den Kirchenprojekten teilgenommen, so Thomsen.

Die Zahl, die auch der Darstellung der Bremischen Evangelischen Kirche entspricht, kann von der Senatorin für Bildung nicht bestätigt oder bestritten werden. Man erhebe „keine Daten zu den Kooperationen einzelner Schulen“, heißt es. Man betrachte sie aber „wohlwollend“, auch wenn dabei klar sein müsse, dass „Kooperationen kein Ersatz für durch ausgebildete Lehrkräfte erteilten Unterricht“ darstellen dürften.

Keine Sorge hat man, dass das Neutralitätsgebot verletzt werden könnte. „Projekte in Kirchen und Schule“ heißt das entsprechende Programm, wohl auch der Abkürzung „Piks“ halber.

Vielleicht wäre demgegenüber Skepsis angebrachter als Wohlwollen. Denn Piks ist angesiedelt im „Lighthouse“. Das ist nach Selbstdarstellung „ein missionarisches Projekt“. Leiter ist der Evangelikale Johannes Müller. Der betet mitunter dafür, zu lernen, als Mann „die Frauen dienend zu leiten“. Seine erklärte Absicht ist es, „dass wir das Evangelium an den Menschen platzieren“.

Müller ist mehr so der Kuschelrocker unter Bremens Neo-Frommen, die der stark missionarisch ausgerichteten Evangelischen Allianz angehören. Verwalterisch direkt der Landeskirche unterstellt, gehört das Lighthouse räumlich zur Martini-Gemeinde, wo der Hardcore-Pastor Olaf Latzel sein Wesen treibt. Von dessen Hasspredigten hatte sich 2015 selbst die Bremische Evangelische Kirche distanziert, deren Gemeinden theologisch autonom sind.

Auch dem dreiköpfigen Piks-Team gehört mindestens ein Allianz-Aktivist an: Während Müller mehrere Jahre lang Stellvertretender Vorsitzender des evangelikalen Jugendkongresses Christival war, gehörte Klaus-Peter Naumann dem Orga-Team an. Geistig zu Hause fühlt er sich in der neofrommen Ephiphanias-Gemeinde. Hauptberuflich aber ist er laut BEK „missionarisch-evangelistisch“ unterwegs und für Organisation und Durchführung von Klassenfahrten zuständig: die „Bremer Klassentage“.

Es sei „nicht die Aufgabe von schulischen Veranstaltungen, für Kirchengemeinden zu werben“, sagt der bildungspolitische Sprecher der Grünenfraktion, Christopher Hupe. „Wenn es da Verdachtsmomente gibt, sollte das die Senatorin prüfen.“ Ähnlich sieht es die Fraktionsvorsitzende von Die Linke, Sofia Leonidakis: „Für mich ist die Grenze überschritten, wenn die religiösen Gruppierungen selbst Veranstaltungen ausrichten sollten.“

„Für mich ist die Grenze überschritten, wenn die religiösen Gruppierungen selbst Veranstaltungen ausrichten sollten“

Sofia Leonidakis, Fraktionsvorsitzende der Linken in Bremen

Das scheint hier der Fall zu sein. Denn die Klassentage werden für die PädagogInnen auf der Projekt-Homepage als Rundum-Sorglos-Paket angepriesen: „Das Programm und den Kontakt zu den Häusern organisiert das Team der Bremer Klassentage für Dich und Deine Klasse“, wendet sie sich im vertraulichen Du an die LehrerInnen.

Der Schulbehörde liegen zu den Klassenfahrten „bislang keine Informationen vor“, so die Auskunft. Die Gefahr der Missionierung sieht man paradoxerweise „angesichts der auch im Hinblick auf Religionszugehörigkeiten durchgehenden Heterogenität der Bremer Schülerschaft eher nicht“ – als ginge es bei Mitgliederwerbung nur um bereits geworbene Mitglieder. Tatsächlich hat die Senatorin nach taz-Informationen sogar dem Piks-Team vorgeschlagen, für das Angebot bei den Schulen durch entsprechende Info-Schreiben zu werben. Und man geht bei der Senatorin davon aus, „dass außerschulische Exkursionen gemeint sind“.

Das ist aber offenkundig falsch. Auf der Klassenfahrten-Kundenliste hat Piks bereits fünf städtische Oberschulen, vor allem aus sozial benachteiligten Stadtteilen. Manche nehmen mit allen SechstklässlerInnen daran teil, mal im Schullandheim Ahlhorn, mal auf dem Jugendhof Sachsenhain, der als „die perfekte Adresse, um für drei Tage dem Schulalltag entfliehen zu können“ angepriesen wird.

Meistens scheint es inhaltlich um Teambuilding zu gehen: „Die Klasse hat sich gewünscht zum Thema #zusammenhalt und #gemeinschaft zu arbeiten. Das haben wir natürlich umgesetzt!,“ heißt in einem Instagram-Post von vergangener Woche. Positive Gemeinschaftserlebnisse und kleine Fluchten aus dem Alltag sind bewährte Mittel der Mitgliederrekrutierung.

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