: „Auf den wirtschaftlichen Diskurs einlassen“
Jesko Henning von „Fridays for Future“ über das „G20-Trauma“, zivilen Ungehorsam, die Emanzipation von den Eltern und das deutsche Bedürfnis, Exportweltmeister zu bleiben
Von Katharina Schipkowski
taz: Herr Henning, beim Klimastreik im September waren in Deutschland 1,4 Millionen Menschen auf der Straße. Was, wenn dieser Streik kleiner wird?
Jesko Henning: Wir erwarten das. Allein aufgrund des Wetters und weil wir weniger Vorlauf hatten. Tragischerweise hat außerdem das Klimapaket der Bundesregierung bei vielen Menschen Befriedigung ausgelöst, einfach weil das Wort Klima drinsteckt und es eine politische Maßnahme ist. Es fühlt sich so an, als würde was passieren, aber das Gegenteil ist der Fall. Effektiv wird Windkraft rückgebaut und Kohle weiter ausgebaut. Es ist unsere Aufgabe, das zu zeigen: Das Klimapaket ist nicht nur teuer und sozial ungerecht, es ist vor allem klimapolitisch wirkungslos.
Wäre es kein Misserfolg, wenn die Mobilisierungskraft von „Fridays for Future“ (FFF) stark nachlässt?
Nur wenn sich der Trend verstetigt. Aber das Datum 29. November hat uns der Klimagipfel diktiert, wir haben es eher dazwischengeschoben als ausgesucht. Ich freue mich sehr auf den 21. Februar vor der Hamburger Bürgerschaftswahl: Da schauen alle nach Norden.
Wird es Aktionen zivilen Ungehorsams von FFF geben?
FFF leistet vom ersten Moment an zivilen Ungehorsam: Wir bestreiken die Schulpflicht. In Hamburg bleiben wir der Aktionsform Demonstration treu, in anderen Städten wird es aber andere Aktionen geben.
Die Hamburger Ortsgruppe ist also weniger radikal?
Das kann man so sehen. Die Frage ist: Hat man das Gefühl, die Demonstration wird als politisches Ausdrucksmittel wahrgenommen? Wenn nicht, macht man sich irgendwann Gedanken über Alternativen. Die Antwort mit dem Klimapaket auf den Streik am 20. September war ja deutlich: Friedliche Massenproteste wurden mit Symbolpolitik und Kohlesubventionen abgetan.
War das frustrierend?
Ja. In Hamburg haben wir trotzdem noch die Hoffnung, dass der Protest was bringt. Dass wir gesellschaftlich etwas in Gang setzen, was dann auf die politische Bühne kommt. In anderen Städten hat man diese Hoffnung schon ein Stück weit aufgegeben und setzt auf andere Aktionsformen.
Aber gerade die Hamburger Politik bietet doch gar keinen Anlass zur Hoffnung. Wir haben eine konservative SPD und neoliberale Grüne …
Unsere Rolle ist nicht, die Politik zu etwas zu zwingen, sondern gesellschaftlich etwas aufzubauen und das Klimathema präsenter zu machen. Gemeinsam als Zivilgesellschaft können wir Politik selbst machen, wenn wir nur genug Menschen mitnehmen. In Hamburg haben Teile der Bevölkerung Angst vor zivilem Ungehorsam – vielleicht ist es das G20-Trauma. Deshalb sind wir hier sehr vorsichtig.
Wie wird entschieden, ob eine Ortsgruppe sich auf ein neues Aktionslevel begibt?
Demokratisch. Wir haben abgestimmt: „Wollen wir zivilen Ungehorsam auf unserer Demo?“ Und eine eindeutige Mehrheit war dagegen. Wichtig ist uns, unsere Demonstrationen offen für alle zu gestalten – nicht jede*r kann sich auf ein neues Aktionslevel einlassen.
Nach der Demo wäre okay?
Wir meinen damit schon den ganzen Tag.
Warum sind Sie bei FFF?
Weil es notwendig ist. Es werden einem immer – neben dem Elternhaus – zwei Autoritäten vermittelt: die Wissenschaft und die Politik. Wenn die sich so radikal widersprechen – die Wissenschaft ruft den Notstand aus und die Politik sagt: „Nee, so schlimm ist das nicht“ – dann stimmt da was nicht. Da sollten wir schauen, welche Instanz vertrauenswürdiger ist, und für die auf die Straße gehen. In unserem Fall ist das die Wissenschaft.
Haben Sie sich vorher schon politisch engagiert?
Nee. Aber ich bin froh, dass es jetzt so ist. Eine ganze Generation, die als unpolitisch galt, wurde über FFF politisiert, hat jetzt eine Stimme. Aber darin liegt auch die Tragödie: Wenn diese Generation die Erfahrung macht, wir können auf die Straße gehen wie wir wollen und kriegen von der Politik nur Heuchlerei und Trauerspiele zurück, ist das nicht gut als politisches Ersterlebnis.
Wie gehen Sie damit um?
Wenn man uns eine Bühne und ein Mikrofon gibt, reden wir darüber. Vor 30 Jahren war die Klimakrise auch schon bekannt. Der Unterschied: Die Wissenschaft wendet sich heute nicht mehr in Beiräten und Kommissionen an die Politik, weil es nichts bringt, gegen die Lobbyisten anzureden. Stattdessen wendet sie sich jetzt an die Gesellschaft. Und wir unterstützen sie dabei.
Wie viel von der Klimakrise kann man durch individuelles Verhalten lösen?
Fast gar nichts. Es bringt nicht viel, Leuten zu erzählen, dass sie vegan werden oder ihren Diesel ausschalten sollen. Was hingegen viel bringt, ist politisch aktiv zu werden.
In dieser Woche hat an mehreren Unis die Public Climate School stattgefunden, die Sie mitorganisiert haben. Was steht dahinter?
Das ist eine deutschlandweite Aktion aller „Students for Future“. Wir haben ein Konkurrenzprogramm zum normalen Lehrplan aufgestellt, um das Thema an die Unis zu holen, die Unis für alle zu öffnen und einen Raum für Diskurs zu schaffen.
Arbeiten FFF und Students for Future getrennt?
Das variiert von Stadt zu Stadt. In Hamburg sind die Students eine Untergruppe von Fridays – anders als die Parents oder Scientists for Future, die unabhängig sind.
Jesko Henning,
18, studiert Politikwissenschaft, „aber eher so halbtags“. Für FFF engagiert er sich drei bis zehn Stunden pro Tag. Er ist Bundespressesprecher in der Hamburger Ortsgruppe.
Die Parents sollen teilweise etwas übergriffig geworden sein – sind Eltern ja häufig.
Deshalb finde ich den Namen auch doof: Sie sollen ja nicht dabei sein, weil sie unsere Eltern sind. In Hamburg nehmen sie aktuell hauptsächlich unterstützende Funktion war. Am Anfang war das ein bisschen wie zu Hause: Junge Menschen emanzipieren sich und die Eltern tun sich schwer damit, loszulassen. Aber jetzt ist die Zusammenarbeit gut.
Haben Sie sie in die Schranken gewiesen?
Man muss darauf achten, dass alle Gruppen ihre eigene Identität bewahren und ihre eigenen Stärken für das gemeinsame Ziel einsetzen. Ich wünsche mir gerade von den älteren Generationen eigene Handlungs- und Lösungsansätze.
Im Aufruf der Parents zum heutigen Streik ist die Rede von der führenden Rolle Deutschlands als Exportweltmeister innovativer Technologien. Klingt irgendwie unangenehm.
Das ist der Versuch, alle mitzunehmen. Ich weiß nicht, ob man in Deutschland mehrheitsfähig sein kann, ohne zu sagen „Wir wollen Exportweltmeister sein“. Ein großer Teil der Bevölkerung ist stolz darauf. Deshalb muss man manchmal betonen, dass die Klimakrise auch eine ökonomische Chance darstellen kann. Auch wenn man lieber betonen würde, dass man keine Lust hat, seine Zukunft zu verlieren, oder den globalen Süden zu opfern. Solange es dem 1,5-Grad-Ziel zuträglich ist, ist das okay.
Diese Rolle Deutschlands geht aber zu Lasten anderer Länder. Mit der Klimagerechtigkeit wird es dann schwierig.
Ja, das stimmt. Wir müssen immer wieder betonen, dass schon jetzt Menschen wegen des Klimas sterben oder fliehen – aber die Leute sind abgestumpft, was ethische und Gerechtigkeitsfragen angeht. Da wir keine Zeit haben, das auszudiskutieren, muss man sich auf den wirtschaftlichen Diskurs einlassen: „Klimaschutz kostet viel, aber kein Klimaschutz kostet uns schlussendlich sehr viel mehr.“
Verraten Sie so Ihre Ideale?
Es geht um das 1,5-Grad-Ziel. Diese Bewegung wiederholt nur den wissenschaftlichen Konsens, verbunden mit der Forderung: „Wir wollen auch mal guten Gewissens Kinder kriegen können“. Unter dieser Prämisse kann man sich auf den Diskurs einlassen. Irgendwer muss anfangen und die Richtung vorgeben. Das ist mit staatlichen Investitionen verbunden, und dafür braucht man gewisse Menschen auf seiner Seite. Es sei denn, man schafft es, das gesellschaftliche Klima so zu verändern, dass Gerechtigkeitsfragen wieder eine Rolle spielen. Ich glaube, da tragen wir auch zu bei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen